Erstellt am: 30. 10. 2012 - 05:15 Uhr
Sandy at Home
Am gruseligsten waren die grünlichen Blitze über Manhattan. 10 bis 15 flashten durch den nächtlichen Himmel. Was wir zunächst für ein besonders ausgefallenes Naturschauspiel hielten, war in Wahrheit der Explosionsreigen mehrere Kraftwerkstransformatoren. Windböen klopften drohend an die Fenster. Auch die Livebilder der Überschwemmungen in den bereits am Nachmittag evakuierten, wassernahen Gefahrenzonen, erinnerten an ein Roland-Emmerich-Desaster-Movie.
Christian Lehner
In weiten Teilen Lower Manhattans und Brooklyns ging das Licht aus. Einige Straßenzüge des East Village verwandelten sich kurz nach Eintreffen von Sandy um 9 Uhr abends (Eastern Time) in "Little Venice". Der „Frankenstorm“ kappte Leitungen, entwurzelte Bäume, knickte einen Wolkenkratzerkran, knapperte in Chelsea ein Wohnhaus ziemlich spektakulär an und holte sich die ersten Menschenleben. Sogenannte Brownouts, kurze Aussetzer des Stromnetzes, ließen unser Licht flackern. Und keine Frage, die Schäden für Stadt, Land, und Leute an der Ostküste sind enorm.
Christian Lehner
Und doch verbrachten wir die stürmische Nacht so wie das Gros der New Yorker, die nicht unmittelbar in einer der Gefahrenzonen wohnen: besorgt, aufmerksam aber nicht ungemütlich vor dem Fernseher. Das Gegenteil der über die Medien transportierten Katastrophen-News ist ja auch wahr: Hunderttausende mussten evakuiert werden, Hunderttausende waren und sind noch immer ohne Strom, aber Millionen saßen den Sturm einfach zuhause in den eigenen Vier Wänden aus.
Christian Lehner
Als gelernter New Yorker entwickelt man ja eine gewisse Routine im Umgang mit den großen Winden und Wassern, den Blizzards im Winter und tropischen Stürmen im Sommer. Also legt man sich Wasservorräte zu, kauft Konservendosen und Kerzen, stellt sich brav in der Schlange an, rückt das Bett vom Fenster weg, lässt die Badewanne mit Wasser volllaufen, schließt sich mit Freunden und Verwandten kurz und lernt aus den übervorsichtigen Anweisungen der Behörden und der Panikbewirtschaftung der Medien die wirklich brauchbaren Informationen herauszufiltern.
Christian Lehner
Wir hatten Glück; kein Stromausfall, kein Wegschmieren der Internetverbindung. Jetzt ist es Mitternacht, der Regen hat nachgelassen. Gelegentlich streichen noch Windböen über die Straßen und Fenster. Einsam patrouilliert ein Einsatzwagen des NYPD durch die Hood. In den Gefahrenzonen ziehen sich die Wassermengen langsam zurück in den East und Hudson River. In den Morgenstunden kann die Flut noch einmal gefährlich werden. Vermutlich wird man Tage brauchen, um die gefluteten U-Bahnlinien wieder in Betrieb zu nehmen und die betroffenen Viertel mit Strom zu versorgen. Doch in New York ist das unmittelbar Schlimmste überstanden. Schon setzt in den Medien der statistische Nachruf und die allgemeine Schadenschau ein.