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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

28. 10. 2012 - 19:22

Die ultramoderne Tanzmusik

Der Samstag beim Elevate Festival Graz: Pional, Le1f, Sensational, Moodymann.

Alle Geschichten vom Elevate Festival

Mit dem jungen spanischen Produzenten Pional hat das Elevate Festival einen Mann im Programm, den man vielleicht einen vielversprechenden Newcomer nennen könnte, einen Geheimtipp, ein "heißes" "Eisen". Spätestens nächstes Jahr jedenfalls, falls die Welt denn ein bisschen eine faire ist, dürfte sich einiges an Hype und Glitzer über Herrn Pional, der auf der Hauptbühne im Dom im Berg auftritt, zusammenbrauen. Drei EPs hat Pional bislang veröffentlicht, allesamt nachgerade wunderbar. Eine beim sehr guten Münchner Label Permanent Vacation, wo sonst beispielsweise Menschen wie Midnight Magic, Tensnake oder auch Wolfram mit abgebremster Neo-Disco und weichem House zärtlich den Dancefloor massieren, zwei auf Hivern Discs aus Barcelona.

Crowd

Lupi Spuma

Bei letztgenanntem Label hat einer der Durchstarter schon dieses Jahres, John Talabot, seine Finger im Spiel, er ist ein Kollege und guter Spezl von Pional. Zwei Stücke auf John Talabots Debütalbum "fin" hat Pional dieses Jahr dann auch mit seiner Stimme veredelt, den Song "So Will Be Now" gibt er bei seinem Auftritt in Graz zum Besten. Er hat aber auch genügend sehr gute eigene Stücke im Gepäck: "We Have Been Waiting For You" beispielsweise, ein Überhit, man soll ihn sich merken, oder "Into A Trap". Auch bei Pional bilden verschlafener House und Disco im unteren Tempobereich das Fundament, mit seinem teils an geschmeidigen R’n’B angelehnten Gesang schiebt er jedoch einige seiner Stücke Richtung Pop.

Der Auftritt selbst ist hinsichtlich der Schauwerte kaum aufsehenerregend: Pional schraubt an einem Macbook und ein paar Geräten, die vor ihm auf einem Tisch ruhen, dann und wann haucht er traurig in sein Mikrofon. Hier spricht tatsächlich, um es mit einem angestaubten Wort zu sagen, die Qualität der Musik. Trotz des Gesangs werden die Stücke von Pional nie richtige "Lieder", sondern bleiben stets schemenhafte Gebilde, Tracks, die von verwaschenem Shoegaze und benebeltem Manchester Rave genauso viel Energie zu ziehen scheinen wie aus elektronischer Tanzmusik. Vielleicht der beste Auftritt des ganzen Elevate Festivals: Es ist ein leiser Triumph der Unaufdringlichkeit, eine gaaanz langsame Beschleunigung hinein in einen mit rosa Wattebäuschen ausgekleideten Club, in dem man gleichzeitig schlafen und tanzen kann.

Le1f

Lupi Spuma

Le1f
Le1f

Lupi Spuma

Schon um einiges größer ist der Hype, der den leider fast zeitgleich mit Pional auf dem zweiten Floor auftretenden MC und Beat-Producer Le1f im Moment umgibt. Rund um KünstlerInnen wie Le1f, Mykki Blanco oder Zebra Katz wird gerade allerorts eine frische New Yorker Queer-Rap-Szene zum Teil glücklicherweise dokumentiert und sichtbar gemacht, zum Teil aber auch bloß ein bisschen herbeigeschrieben. In jedem Fall großartig ist das heuer erschienene Mixtape namens "Dark York"“: Mit mehr als einer Handvoll Produzenten, z.B. dem famosen Duo Nguzunguzu, und auch unter Zuhilfenahme selbstgeschnitzter Beats hat Le1f da ein wildes Flickwerk zusammengeschustert, das sich an Rap genauso abarbeitet, wie an topaktuellen elektronischen Club- und Tanzmusiken und so Ideen von Juke, House, Trap und bratzigem Neon-"Elektro" munter durch die Gegend schleudert. Live tritt Le1f gemeinsam mit dem Produzenten Boody auf, der auch eine demnächst vielleicht ein bisschen merkwürdigerweise auf Boys Noize Records erscheinende EP von Le1f betreut hat. Auch wenn man Le1F einen besseren Sound und vielleicht auch schon eine größere Bühne wünschen möchte, ist sein Auftritt in performativer wie musikalischer Hinsicht ein Höhepunkt des Elevate.

DJ Scotch Bonnet

Lupi Spuma

Sensational

Lupi Spuma

Sensational
Sensational

Sensational

Ganz oben im Berg, im "Dungeon" genannten, von DJ Scotch Egg/Scotch Bonnet kuratierten Floor findet am Samstagabend eine im besten Sinne krude Verschränkung von HipHop, Noise und harscher Bestrafungs-Elektronik statt. DJ Scotch Bonnet selbst tritt da zum Beispiel gemeinsam mit dem Lärm-Allrounder KOYXEN und dem New Yorker MC Sensational auf. Über die stilistischen und auch prinzipiellen Ungewissenheiten im Leben und Werken von Sensational stand hier vor kurzem erst einiges, auch sein Auftritt beim Elevate ist eine prachtvolle Abfolge von Absurditäten: Lange, lange lässt Sensational sich bitten, bis er endlich vor den mit Kabeln, Tasten und Schiebereglern vollgeparkten Tisch von DJ Scotch Bonnet tritt und zum Mikrofon greift. Hauptsächlich ist er sein eigener Hypeman, feuert sich selbst und das Publikum an :"Oooh Yeah! Check it!"

Es entfährt ihm dann aber freilich doch noch ein ziemlich atemberaubender Flow, Scotch Bonnet zaubert dazu rohe und raue Beats aus dem Equipment. So entstehen Momente von hohem Erstaunpotenzial, man meint sich mitunter in einem funky Industrial-Projekt des Method Man wiederzufinden, Struktur oder großen Plan scheint die Performance jedoch nicht zu haben. Irgendwann erklimmt Sensational den Tisch, damit ihn die Menschen besser sehen können, dann ist der sehr kurze Auftritt auch fast schon wieder vorbei.

Zum Glück hat man danach in dieser Nacht eine Stunde länger Zeit als üblich zu so unterschiedlichen DJs wie French Fries, Hot City, Andrés von der HipHop-Crew Slum Village oder House-Legende Moodymann (war es wirklich er hinter der Totenschädelmaske?) den Dancefloor zu untersuchen. Mit dem süßen Schlag der Bassdrum bekommt man wieder einmal die Gewissheit ins Bewusstsein massiert, dass das Elevate so ziemlich das beste Festival in Österreich ist. Die geglückte gegenseitige Durchdringung von anspruchsvollen wie ebenso feierlaunigen Beats für die Party, von experimenteller, durchaus "schwieriger" Musik und von Theorie. Über Musik schreiben ist so wie zu Diskurs tanzen. Beides kann man nämlich tun.

Crowd

Lupi Spuma