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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

28. 10. 2012 - 16:43

Wie man sich komplett auflöst

Der Song zum Sonntag: Flying Lotus ft. Thom Yorke: Electric Candyman

Das Thom-Yorke-Feature: Von einem nicht auf Recherche gestützten Gefühl her hätte man vielleicht vermuten können, dass es das öfters gegeben hat in der jüngeren Vergangenheit, dass der Radiohead-Head seine Stimme einem anderen Act geliehen hat bzw. ihm anderweitig musikalische Hilfestellung angedeihen hat lassen. Zusammenarbeiten mit UNKLE, mit Björk, PJ Harvey und der richtig guten, leider in Vergessenheit geratenen Band Drugstore - das ist alles schon über zehn Jahre her. Elektronisches Dreamteaming mit der Dubstep-Eminenz Burial, mit Beat-Jongleur Four Tet und dem Avant-Hopper MF Doom, die "Supergroup" Atoms For Peace mit Nigel Godrich und Flea - das war’s dann aber auch fast schon mit Unternehmungen, die sich mit dem offiziellen Radiohead-Gütesiegel Ehrenschutz Thom Yorke haben schmücken dürfen.

Es ist aber schon auch ein Schwert, das auf verschiedene Arten schneiden kann: Der Nimbus von Radiohead als sozusagen angeblich großartigster Band der Gegenwart ist längst schon nur mehr ein wolkenhaftes Konstrukt, das über der Welt schwebt und so selbstverständlich existiert und als gegeben hingenommen wird wie der Wechsel der Jahreszeiten. Radiohead nicht mögen - das funktioniert fast nur, wenn man sich der Band von oben nähert und sie als, gähn, "zu Kommerz" empfindet und den Umstand, dass sie einst avantgardistisch angelegte Musiken - Radioheads eigentliches und größtes Verdienst - an den Mainstream angebiedert haben, doof findet. Wenn man Radiohead für zu kompliziert oder arty hält, dann heißt einen doch alle Welt einen vorgestrigen Dödel.

Eines seiner wenigen echten Gaststimmenfeatures hat Thom Yorke den Berliner Hau-Drauf-Elektronikern von Modeselektor geschenkt - und das gleich zweimal. So kann Yorke zeigen, dass er noch gut down ist mit dem Underground, und einem noch vergleichsweise unbekannten Acts hilft es, in die Aufmerksamkeitssphäre der Radiohead-Fans zu rutschen. Die wiederum freuen sich eventuell Yorke auch einmal anderswo zu hören, andererseits will bei einer Stimme mit so einer starken Identitität der Einsatz wohl dosiert sein. Das Thom-Yorke-Feature: Es ist eben schon auch ein wenig abgeschmackt, zu sehr mit dem Fame-Faktor kalkulierend, es ist so ja eh.

Flying Lotus

Flying Lotus

Flying Lotus

In diesem Zusammenhang gelingt Flying Lotus und Thom Yorke mit ihrer Zusammenarbeit "Electric Candyman" ein überraschendes Stück, das gerade noch im allerweitesten Sinne als "Song" durchgehen kann. Man darf dabei nicht vergessen, dass Radiohead spätestens ab "Kid A" fast schon ostentativ zwanghaft an der Zersetzung von Songstrukturen gedoktert und die Tatsache, dass ein Stück Musik nicht immer unbedingt nach dem Strophe-Refrain-Strophe-Schema ablaufen muss, nicht wenigen, sonst vielleicht eher konventionellen Indiepop hörenden Menschen schmackhaft gemacht haben.

Der kalifornische Produzent Flying Lotus arbeitet ohnehin eher im Skizzenhaften, im Track-haften und im Vertrackten. Mit seinem vor zwei Jahren erschienenen, dritten Album "Cosmogramma" hat Flying Lotus sein Opus Magnum veröffentlicht: Die vor Opulenz beinahe schon auseinanderbrechende Vertonung von fast schon dem gesamten Universum. Die frei fließende Vermengung von HipHop-Beats, weirder Elektronik und kosmischem Jazz. Dr. Dre, Aphex Twin, Sun Ra. Harfen, Saxophone. Weiter kann man kaum gehen, ohne überfrachtet und beliebig zu werden, weshalb Flying Lotus sein neues, gerade erschienenes und wieder sehr gutes Album "Until The Quiet Comes" wesentlich reduzierter und entschlackter - und die Stücke mitunter tatsächlich songhafter - gestaltet hat.

Auch auf "Cosmogramma" war Thom Yorke schon auf einem Song zu Gast, das Stück "And The World Laughs With You" aber war noch zu sehr auf ihn und den Sound seiner Hauptband zugeschnitten. Es litt ein wenig unter der großen Macht Radiohead. Im Stück "Electric Candyman" betreiben Yorke und Flying Lotus jetzt eine gegenseitige Auslöschung, aus der ein finster vor sich hin rumpelndes Stück Spukmusik entsteht. Ein Klappern, ein Poltern, ein Klirren, Tiergeräusche. Ein langsames, blindes Tasten durch den Keller, Field Recordings aus der Folterkammer.

Thom Yorke wiederholt die Zeile "Say My Name, Say My Name" wieder und wieder und entwickelt so eine Art Refrain, der kurze Momente lang das Stück dominieren kann, im Umkehrschluss verwendet Flying Lotus Thom Yorkes Stimme als bloßes weiteres Klangmaterial, als Stimmung, manipuliert und zersetzt sie. Er lässt sie verschwinden und bloß als böses Echo im Hintergrund aufflackern. In "Electric Candyman" entsteht ein mulmig machendes Gleichgewicht zwischen Yorke und Lotus. Der Candyman im Titel meint die Figur aus dem gleichnamigen, doch recht trashigen Horrorfilm aus dem Jahr 1992 - ein Film, für dessen Score Minimalist Philip Glass verantwortlich war. Eine giftige Mischung aus Pop- und Hochkultur, die sich logisch in das Radiohead'sche Gesamtbild fügt. Thom Yorke ist der elektrische Candyman, er bringt den Menschen das zusätzliche Aroma in ihre Songs. Es sind bittere Bonbons, man muss nur aufpassen, dass man nicht zu viele davon nimmt.