Erstellt am: 27. 10. 2012 - 18:10 Uhr
Bass is the Place
Die Idee des von Künstlerhand kuratierten Musik-Festivals hat sich in der jüngeren Vergangenheit als eine gute, beliebte und mit ein wenig Glück auch sinnstiftende erwiesen. Breitenwirksam hat sich das Konzept in den vergangenen zehn Jahren wohl vor allem durch das englische Festival All Tomorrow's Parties etabliert, bei dem wertgeschätze Acts und Bands wie zum Beispiel Tortoise, Shellac oder Autechre ganze Wochenenden oder immerhin einzelne Tage gestalten dürfen und so private Lieblinge, verehrte Helden und befreundete Bands ins Programm hieven können.
Der Kurator bekommt die Möglichkeit, sein sicherlich weit verzweigtes Musikwissen aufzuzeigen, eventuell Verbindungen herzustellen und vielleicht auch bloß ein paar Kollegen durch die Verschaffung von Öffentlichkeit unter die Arme zu greifen. Als Publikum darf man sich ein bisschen die Vorstellung zurecht imaginieren, einen kleinen Einblick in die geheimen Geschmackswelten von geschätzten Künstlern bekommen zu haben - und vielleicht neue Gesamtzusammenhänge erkennen. Oder man kommt bloß zum Raven, weil man gar nicht weiß, wer da gerade so spielt. Das ist ebenso fein und richtig, der Dancefloor nämlich ist ja in erster Linie kein Blatt Papier mit Theorie drauf, sondern muss zuvorderst immer wieder als Bild für dieses öde Wort "Eskapismus" herhalten. Man wird ja aber vielleicht auch doch noch ohne Rechtfertigung feiern dürfen.
Lupi Spuma
Lupi Spuma
Den Freitag Abend im Dom im Berg gestaltet The Bug. Kevin Martin, der Mann hinter The Bug, war selbst schon in so ziemlich allen musikalischen Spielarten zuhause, die das Gegenteil von verschmust und flauschig sind: Industrial, Noise, schrottreifer HipHop, mächtig auf die Glocke gebender Dub und vieles mehr - unter seiner Schirmherrschaft entsteht beim Elevate ein vielschichtiges und abwechslungsreiches Programm, das lose von der Idee von "Bass Musik" in diversesten Ausformungen geeint wird, ebenso wie von dem unausgesprochenen Gedanken, dass man doch einmal versuchen könnte, darüber nachzudenken, was das denn ist oder sein könnte und ob das nicht ohnehin immer schon ein falscher, falscher Begriff gewesen ist: "Black Music".
Der kalifornische Produzent Ras G aus der Brainfeeder-Posse rund um Flying Lotus und Gaslamp Killer eröffnet nach einem Warm-Up des Grazer DJs Cheever den The-Bug-Abend. Ras G verbeugt sich in seinen Album- und Songtiteln immer wieder vor den Weltraumforschungen und der Philosophie des Afrofuturismus des großen Sun Ra, in musikalischer Hinsicht gibt's funky verstolperten, instrumental gehaltenen HipHop der immer gern bemühten Schule J Dilla, aber auch deutlich "elektronischer" knatternde Maschinengeräusche, die vor gut zehn Jahren schön in der Schublade Intelligent Dance Music abgelegt werden hätten können. Mal solide, mal prächtig.
Lupi Spuma
Lupi Spuma
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Zur gleichen Zeit steht die Nacht im zweiten Floor im Tunnel - hier hat The Bug nicht seine Finger im Spiel - im Zeichen von ebenfalls intelligenter Tanzmusik, nur dass sie hier eben nicht "IDM" sondern "Techno" geheißen wird. Ein Höhepunkt des Festivals ist der Auftritt von Redshape. Der Berliner Produzent, dessen Identität kaum jemand kennt, versteckt sich stets hinter einer roten Maske und versucht seine Live-Sets tatsächlich vergleichsweise "live", intuitiv, als "Jam" und nicht allzusehr vorgefertigt zu gestalten. Sein Set durchmisst ein weites Feld von kalten, scharfkantigen Beats aus den rohen Abteilungen von Techno bis hin zu bislang für ihn eher ungewöhnlichen, weichen, housigen Motiven, die möglicherweise auf sein demnächst beim sehr guten deutschen Label Running Back erscheinendes zweites Album hinweisen. Schlicht und groß.
Ebenso famos ist das schwedische Duo Skudge, das an allerlei Kabelwerk, analoger Gerätschaft und unter großzügiger Zuhilfenahme einer Roland TR-909 einen räudigen und runtergerockten Techno-Entwurf zimmert, der sich explizit verliebt auf die frühen Geburtsstunden des Genres in einem kaputten Detroit bezieht, dabei aber auch ängstlich in eine finstere Zukunft blickt. Das sehr gute Debütalbum von Skudge nennt sich "Phantom". Es klingt auch so.
Lupi Spuma
Im Dom ist derweil der Leipziger Produzent Disrupt gemeinsam mit dem englischen Reggae-Sänger Solo Banton am Werk. Das von Disrupt gegründete Label nennt sich Jahtari und macht so schon in seinem wortspiellustigen Namen klar, um was es hier gehen soll: Beim gemeinsamen Auftritt von Disrupt und Banton kann man sehen, dass der Clash einer tief in Tradition verankerten und mit, nunja, konservativen Weltbildern ausstfaffierten Musik mit vermeintlich "moderner" Musik aus dem Computer und teils beabsichtigt schrottigen 8-Bit-Beats überraschende und gar erhellende Momente zutage fördern, mitunter aber auch in gegenseitiger Nivellierung und in Gleichgültigkeit enden kann.
The Bug selbst tritt nicht mit dem leider ausgefallenen Daddy Freddy, sondern einem an dieser Stelle leider nicht näher bekannten MC und Miss Red an den Mikrofonen auf und verwöhnt das Publikum mit einem Gewitter aus Ragga, Dancehall und Bass. Es ist laut. Spätestens als im Set von The Bug das Stück "No, No, No (You Don't Love Me)" von Dawn Penn auftaucht, wird klar, dass es hier eben nicht nur um die krass kickende Partymusik geht. "No, No, No" ist ein Stück, das in seiner über 50-jährigen Karriere zwischen Arkansas, Bo Diddley und Kingston, zwischen Soul, Blues, HipHop, und Kano, zwischen London, Ghostface Killah, New York, Rihanna und Beyoncé schon kaum mehr nachverfolgbar viele Interpretationen, Coverversionen, Zitier-Prozesse und Umdeutungen erfahren hat und so an diesem Abend, kurz und augenzwinkernd zwar, aber dennoch überdeutlich das Werken von The Bug als Musik über Musik und als Versuch einer Geschichtsschreibung ausweist.
Lupi Spuma
In der Gegenwart und auch ein bisschen in der Zukunft moderner Tanzmusik landet die Nacht mit dem Auftritt von DJ Spinn: Der prinzipiell sehr fantastische Footwork-Meister aus Chicago hat seine ewigen Buddy DJ Rashad an diesem Abend zuhause gelassen und will nicht so recht in den Groove kommen: Sein Set wirkt stellenweise ein bisschen wie ein richtungsloses Herumprobieren, auch kurze Ausritte Richtung Drum 'n' Bass finden - vielleicht überraschenderweise - statt. Für eine sehr gute Party genügt aber freilich auch ein bloß mittelguter Spinn und mit Dancefloor-Waffen wie "Niggas in Paris" von Kanye und Jay oder dem geil nervig repetitiven "All I Do Is Smoke Trees" von DJ Manny im Gepäck hat man ohnehin schon fast gewonnen. Working it.
Lupi Spuma