Erstellt am: 27. 10. 2012 - 15:04 Uhr
Häuser bauen und Erde streicheln
Ulli Klein hat in einer hellen Holzschale ein bisschen Erde aus ihrer Farm mitgebracht. Die biologisch nachhaltige Landwirtin ist studierte Juristin, hat sich aber laut eigener Aussage gegen den Schreibtisch- und Gerichtssaalkampf mit Landwirtschafts-Giganten à la Monsanto und für ein Vorleben eines guten Beispiels entschieden. Die Schale wird durch das Publikum gereicht, Kleins Mann Scott wühlt vor der Fotokamera demonstrativ zärtlich in der gesunden Erde, auf dass die anderen Gäste es ihm gleich tun.
Elevate Festival
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Das beinahe spirituelle Berühren von glücklicher Erde ist ein bizarrer Höhepunkt einer sonst durchaus aufschlussreichen Panel-Diskussion. Gemeinschafts-Gärnter/innen, bewusste Bauern und Bäuerinnen sowie Landbesetzer/innen berichten über die Freude am kollektiven Säen und Ernten, den zurückgekehrten Regenwürmern und landwirtschaftlichem Widerstand. Nur eines fehlt - wie so oft beim Diskurs-Programm des Elevate-Festival - auch hier: kritische, streitbare Gegengewichte. Die gutmütigen Ökos bekommen weder von politischer noch von wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Seite Mitdiskutant/innen zur Seite gesetzt, die der eigenen, nachhaltigen Lebensweise möglicherweise einen unangenehmen Reality Check verpassen würden. Das ist schade, weil so, ohne jegliche Kontrollinstanz, die prinzipiell gute Sache in ein ambivalentes Licht gerückt wird. Und es lässt, zumindest so lange die Veranstaltung dauert, eine zweifelhafte Norm der naturbewussten Selbsterhaltung aufkommen. Nur unter säuerlichen Blicken einigt sich das Panel darauf, dass vielleicht doch nicht jeder Mensch Lust darauf hat, sich selbst sein Gemüse anzubauen.
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Die politische und gesellschaftliche Ebene fehlt auch bei den anderen Veranstaltungen des zweiten Diskurs-Tages des diesjährigen Elevate weitgehend. Unter dem Motto "Act!" wird im Forum Stadtpark am Freitag auch das Thema alternatives Bauen bzw. Wohnen ausführlich besprochen. Allerdings nur auf der praktischen Ebene: Der studierte Architekt Paul Adrian Schulz zeigt beeindruckende Bilder der Initiative "Sprungbrett Aspern", bei der vorübergehend gepachteter Grund am Wiener Stadtrand dazu genützt wird, mittelalterliche Baustile mit Holz, Stroh und Lehm wieder aufleben zu lassen. Man formiert sich in kleinen Gruppen, lässt den Kochtopf von der Sonne aufheizen und feiert den arbeitsreichen Tag abends am Lagerfeuer. Schöne Hippie-Romantik, verbunden mit Anpackmentalität, gutem Vorbild und steigender Fachkompetenz. Aber wie bringt man das auf eine höhere Ebene? Warum werden z.B. Baufirmen und Architekturbüros von Schulz nicht mal am Rande erwähnt?
Man kann nur mutmaßen, dass die alternative Baugemeinschaft keinerlei Kompromisse eingehen möchte. Das Motto lautet wohl: Wir beginnen bei Null, rücken von unserer Ideologie nicht ab und werden mit unserem Enthusiasmus alle anderen schon davon überzeugen, umzudenken. Dass diese Strategie politisch naiv ist, steht nicht zur Debatte. Es ist interessanter, sich über die Selbstermächtigung und die neu entwickelte solidarische Lebenskultur zu freuen. Das alles ist wichtig und legitim, aber zu kurz gegriffen.
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In Sachen Energiewende sind aus Berlin und Potsdam Elisabeth Voß und Hannes Püschel angereist, die allgemein eine Rückführung der Verwaltung menschlicher Grundbedürfnisse (Wasser, Energie) in die öffentliche Hand fordern. Konkret leidet etwa Berlin derzeit darunter, dass das schwedische Unternehmen Vattenfall sowohl die Stromnetze als auch die -erzeugung in der deutschen Bundeshauptstadt verwaltet - Strom, der auch aus nicht nachhaltigen Atom- und Kohlekraftwerken stammt. Voß, studierte Betriebswirtin und Publizistin, leitet den sogenannten Berliner Energietisch, der einen Volksentscheid über eine Rekommunalisierung der Stromversorgung in Berlin herbeiführen soll. Weil 2014 die Vattenfall-Konzession ausläuft, steht das Thema derzeit besonders hoch im Kurs.
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Der Energietisch ist allerdings nicht die einzige Initiative für eine geplante, von Bürger/innen organisierte Energieverwaltung. Auch "BürgerEnergie Berlin" (nicht am Elevate vertreten) stellt diese Forderung, verfolgt aber eine wirtschaftlich andere Strategie, die sich auf den Kauf von Genossenschaftsanteilen stützt. Püschel, ein aus der Hausbesetzerszene stammender Politik-Querdenker, lehnt diese Methode ab und diskrediert ihre Unterstützer/innen sinngemäß als linksliberale Gemütlichkeitsbobos, die Privatisierung eigentlich gar nicht ablehnen würden. Frau Voß sieht das ähnlich, ist dem Genossenschaftsmodell gegenüber aber weniger negativ eingestellt. Dennoch können sich die beiden Berliner Initiativen offenbar nicht darauf einigen, sich gemeinsam gegen den Feind Vattenfall zusammenzuschließen.
Es ist eine weitere Bestätigung dafür, warum die Linke sich so schwer tut, trotz aller gegenwärtigen Krisen wieder an politischen Einfluss zu gewinnen: Jede linke Gruppierung ist dogmatisch in ihrer Ideologie gefangen und weicht keinen Zentimeter davon ab - was eine übergeordnete Bewegung schwierig bis unmöglich macht.
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Neben fehlendem Konsens und der Ratlosigkeit hinsichtlich des Weiterdenkens der vorgestellten alternativen Lebensentwürfe, die ja im kleinen Rahmen offenbar sehr gut funktionieren, wird auch die Frage der jeweiligen Form der Gemeinschaftlichkeit und Entscheidungsfindung selten gestellt. Solidarität und gewaltfreie Kommunikation werden zwar hochgeschrieben, wie aber genau Kommunen strittige Probleme und Dispute lösen, wird in den Vorträgen und Panel-Diskussionen nicht geklärt.
Hier stellt sich, wie bei allen außerparlamentarischen Bewegungen und unabhängigen Gemeinschaftsinitiativen, die Frage, ob einerseits die selbstgemachte Form des Miteinander-Umgehens auch in schwierigen Situationen autokratische Tendenzen bestimmter Menschen unterbindet und andererseits dafür sorgt, dass jene Mitglieder mit geringem rhetorischen Talent und wenig expressiven Auftreten in der Gruppe auch immer ihre Meinung vermitteln können. Es ist ein auf den ersten Blick schönes Ideal, dass eine DIY-Community immer ganzheitlich in der Gruppe pflanzt, isst, wohnt und sich austauscht . Ob diese Lebensform für jede Person - vor allem für jedes Kind - auch dem jeweiligen Wesen entspricht, sei dahingestellt.