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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 10. 2012 - 17:15

Der benebelte Flow

Spezialtipp für das Elevate Festival in Graz: Der großartig durch den Wind gebeutelte HipHop-Gesamtkünstler Sensational.

Die Tatsache, dass er in einem früheren Leben einmal kurzzeitig Mitglied der Jungle Brothers war, wird Sensational wohl bis an sein Lebensende als prominentes Biografiedetail und flashy Promotion-Häppchen vorauseilen. Rund um die Zeit der Aufnahmen zu "J. Beez Wit Da Remedy", ihrem dritten Album aus dem Jahr 1993, war Sensational mehr oder weniger involvierter Teilzeit-MC der qualitativ wechselhaften, tendenziell ever underappreciated Kernzelle der Native-Tongues-Bewegung, seinen eigenen Style und Sound hat der New Yorker MC und Allesirgendwieprobierer seither längst in düsterere Zonen und in die hintersten Winkel des Schrottplatzes hinein manövriert.

Im Dezember 2009 zierte Sensational das Cover des englischen Musikmagazins The Wire; ein Magazin, das für gewöhnlich die abseitigeren, weirderen Seiten einer Musik, die vielleicht gerade noch als "Pop" im weitesten Sinne durchgehen kann beziehungsweise, andersherum gedacht, eine halbwegs zugängliche, "poppige" Avantgarde erforscht. Im Interview sagt Sensational da: "My fog is clearness, know what I'm saying? The clear shit you be hearing ist the fog." Der Nebel, das Unscharfe und Verwehte ist die zentrale Kraft im Kosmos von Sensational, gut möglich, dass er sich den Nebel im eigenen Bewusstsein durchaus mit diversen pflanzlichen Behelfsmitteln selbst induzieren muss. In seinem Rapstyle stolpert Sensational von Silbe zu Silbe, fast immer komplett gefreestyled, und scheint mitunter selbst überrascht, gerade im Aufnahmeprozess auf ein neues, magisch funkelndes Wort gestoßen zu sein.

Sensational

Sensational

Sensational

Sensational tritt am Samstag gemeinsam mit Koyxen und DJ Scotch Bonnet beim Elevate Festival Graz auf.

Mit seinem berauscht durch die Gegend torkelndem Singsang, seinem oft orientierungslos wirkenden Genuschel, dem sonoren Vortrag und da und dort ausgestoßenen Lautgedichten wie "Jaajaajjaaa-Jaa!" bewegt sich Sensational zwischen der Clownerie eines Ol Dirty Bastard oder Busta Rhymes und dem Versuch, ab und zu dann doch so etwas wie Würde und Grandezza im Stile Gurus von Gang Starr vorzutäuschen. Wenn Sensational davon erzählt, wieviel Bling und Swag er mit sich führt - was er natürlich nicht tut - kann man sich nicht immer ganz sicher sein, ob man es hier mit parodistischem Kommentar zum Rap-Biz, einem genialischen Outsider, größenwahnsinnigem Wunschdenken oder bloß einem in den Seilen liegende Verlorenen zu tun hat, dem irgendwie zufällig die geilen Wortspiele aus dem Ärmel fallen.

Im Falle von Sensational darf ausnahmsweise wirklich behauptet werden, dass hier ein Künstler zwischen den Stühlen sitzt. Sensational ist tatsächlich nirgendwo zuhause, außer im Nebel, und er weiß vermutlich nicht so ganz genau, wo er sich gerade aufhält. Sensational ist nicht nur als MC eine Ausnahmeerscheinung, sondern auch als Produzent. Wobei das Wort "Produzent" im Falle von Sensational wohl einen Euphemismus darstellt. Vor allem sein 1997 erschienenes Debütalbum "Loaded With Power" verdient in diesem Zusammenhang eine erneute Überprüfung - es ist nach wie vor großartig und ohne Kratzer gealtert. Die waren nämlich immer schon drin in dieser Platte, aufgenommen und produziert zuhause am Vierspurgerät, zusammengebaut aus ins Diktafon eingespeisten Straßengeräuschen und sonstigen Field Recordings und ein paar minimalistischen Beats aus dem Plattenspieler. "Loaded with Power" und viele seiner Nachfolge-"Werke" sind die Defintion von Lo-Fi, Sensational ist der Daniel Johnston des HipHop.

Seit "Loaded With Power" hat Sensational gut ein Dutzend "offizielle" Alben veröffentlicht, oft selbst produziert und danach gleich höchstpersönlich mit schlecht ausgedrucktem Cover an der Straßenecke vertickt. Oder auch in Zusammenarbeit mit Labels wie Mike Pattons Ipecac, wo sonst die Melvins, Isis, Bohren & der Club of Gore oder auch Kid 606 auf ihre jeweils eigene Art wüten oder mit Skam aus Manchester, frühe Heimat der Elektronik-Melancholiker Boards of Canada und einem ebenso frühen Nebenprojekt von Autechre.

Am stärksten ist jedoch Sensationals Verbindung mit dem Produzenten Spectre und seinem Label WordSound, das zwischen Illbient, experimentellem HipHop, Dub und Noise im Trüben fischt. Die gemeinsame Zusammenarbeit "Acid & Bass" aus dem Jahr 2009 ist dann auch eines der stärksten und ausgereiftesten Alben im Katalog von Sensational geworden. Am Samstag wird Sensational beim Elevate Festival gemeinsam mit den japanischen Musikern Koyxen (u.a. aus dem Dunstkreis des Soundextremforschers Merzbow) und dem vielseitigen DJ Scotch Egg auftreten, der aktuell neben vielen anderen Betätigungsfeldern in der legendären englischen Ambient/Postrock-Band Seefeel werkt und an diesem Abend unter dem Namen DJ Scotch Bonnet firmieren wird. Was also genau bei dieser Performance passieren wird, das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Sensational selbst erst dann wissen, wenn das Set schon wieder vorbei ist.