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Michael Riedmüller

Im Osten viel Neues: Geschichten aus der Ukraine

26. 10. 2012 - 18:42

Vasyls Kampf gegen Windmühlen

Prügelattacken und Bestechungsversuche: Der Jungpolitiker Vasyl Gatsko will die Ukraine verändern, kämpft bei den Parlamentswahlen für ein Direktmandat und geht seinen Weg trotz aller Repressionen weiter.

Breitspurige Straßen, schlammige Hinterhöfe, Schlaglöcher und riesige Wohnblöcke: Der Bezirk Demiivka ist einer jener Gegenden in Kiew, die normalerweise nur wenige Gründe für einen Besuch bieten. Will man Vasyl Gatsko treffen, dann führt der Weg in den Süden Kiews, in jenen Wahlbezirk, in dem der 30-Jährige bei den Parlamentswahlen am 28. Oktober für ein Direktmandat antritt. Gatsko, dunkles Haar, scharf geschnittene Gesichtszüge, ist Vorsitzender der "Demokratischen Allianz", die eigentlich als Jugendorganisation gegründet wurde und erst vergangenes Jahr in eine Partei umgewandelt wurde.

Einen Abend lang begleite ich ihn während seines Wahlkampfs, am Ende steht eine seiner Wahlveranstaltungen, die er täglich auf offener Straße abhält. "Wir haben jahrelang versucht, das System aus der Zivilgesellschaft heraus zu verändern, aber wir haben gesehen, dass das nicht möglich ist. Darum haben wir beschlossen, selbst in die Politik zu gehen", sagt Gatsko, nachdem er seine Rede gehalten hat, mit Lautsprechern, so dass die Bewohner der umliegenden Häuser aufmerksam werden und das Treiben auf der Straße beobachten. "Der direkte Kontakt mit den Bürgern ist einer der wenigen Mittel, die wir zur Verfügung haben. Unser Wahlkampfbudget beläuft sich auf 1.000 Euro, meine Gegner in diesem Bezirk haben das Hundertfache zur Verfügung."

Ukrainischer Jungpolitiker Vasyl Gatsko

Michael Riedmüller

Vasyl Gatsko will die Ukraine verändern und fordert das Polit-Establishment heraus.

Seine Gegner, das sind die Vertreter der Regierungsparteien, die viel Geld investieren und damit nicht nur Wahlkampf betreiben. Gatsko hat Beweise dafür, dass es zu einem großangelegten Stimmenkauf kommt, "für dreißig Euro bekommt man eine Stimme", erklärt er. Zudem kommt es immer wieder zu physischen Angriffen. Erst vor einigen Wochen wurden zwei seiner Mitstreiter auf der Straße verprügelt, während sie Flugzettel verteilten. Die Polizei habe den Vorfall ganz einfach nicht verfolgt, erzählt er, ohne dabei überrascht zu wirken, Repressionen stehen auf der Tagesordnung.

Sheva goes politics

Mit Repressionen hat ein anderer ukrainischer Neopolitiker nicht zu kämpfen. Überlebensgroß prangt das Konterfei von Andrij Schewtschenko auf einem Plakat gleich neben dem Platz, wo Gatsko seine Rede gehalten hat. Der Schewtschenko, der noch bis vor Kurzem für Dynamo Kiew und das ukrainische Nationalteam gestürmt hat. Als der 35-Jährige im ersten EM-Heimspiel gegen Schweden die Ukraine mit zwei Toren zum Sieg schoss, erklärte ein Freund von mir, dass er sich mit dieser Heldentat zum potentiellen Präsidenten auf Lebenszeit gemacht hat. Es war als Scherz gemeint, der jedoch schon bald von der Realität eingeholt wurde.

Kurz nachdem er im Sommer das Ende seiner glanzvollen Karriere verkündet hatte, erklärte er, in die Politik einsteigen zu wollen. Passenderweise über die Partei "Ukraina Vpered" (Vorwärts Ukraine), ein Spruch, der auch auf den ukrainischen Nationaltrikots prangt. Es ist die Partei von Nataliya Korolevska, dem Sprössling einer steinreichen ostukrainischen Familie, die noch bis vor Kurzem als Nachfolgerin von Julija Timoschenko gehandelt wurde, bis sie sich von der inhaftierten Revolutionsikone lossagte und die frühere Sozialdemokratische Partei übernahm und kurzerhand umbenannte. Dass sie plötzlich Sheva, wie Schewtschenko in der Ukraine liebevoll genannt wird, aus dem Hut zog, kam hier für alle überraschend. Denn so begnadet der ehemalige Milan-Stürmer auch mit dem Fußball umgehen kann, so wenig hat er sich bisher mit politischen Statements hervorgetan.

Vielmehr gilt er in der Ukraine trotz aller Liebe als rhetorisches und intellektuelles "Nackipatzi", um es in freundlichem Wienerisch auszudrücken. Legendär sind seine Interviews, bei denen zumeist mehr "Ähs" fallen als richtige Worte. Schnell wurde vermutet, dass Geld als Motiv hinter seinem Einstieg in die Politik steckt, Gerüchte, die er vehement bestreitet. Stattdessen behauptet er, selbst eine Million Euro in den Wahlkampf investiert zu haben. Viele Beobachter vermuten auch, dass Ukraina Vpered nur eine künstliche Kreation der Regierung sei, um Stimmen von der Opposition abzuziehen, auch wenn sich die Partei offiziell als Antipol zur regierenden Partei der Regionen darstellt. Vor allem, angesichts der überraschenden Abkehr der Parteichefin Korolewska von ihrer früheren Mentorin Timoschenko. Egal, wer nun wirklich hinter der Partei steht, Schewtschenkos Ausflug in die Politik könnte nur von kurzer Dauer sein, denn trotz seiner riesigen Popularität und großflächiger Wahlwerbung hat die Minipartei nur wenig Aussicht, bei den Parlamentswahlen am 28. Oktober die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen.

Der boxende Saubermann?

Wesentlich mehr Chancen auf einen Wahlerfolg hat die andere Sportikone des Landes - Boxweltmeister Vitali Klitschko steuert mit seiner Partei UDAR (was übersetzt Schlag bedeutet) auf die 20-Prozent-Marke zu. Auch wenn er sich gerne als neues Gesicht in der von alten Apparatschiks beherrschten ukrainischen Politik geriert, ist er schon seit 2006 politisch aktiv. Damals trat er erstmals bei den Kiewer Bürgermeisterwahlen an, wurde zwar auf Anhieb Zweiter aber verlor genauso wie 2008 gegen den Bankier Leonid Chernovetskyi. Nun tritt Klitschko erstmals auf der großen Landesbühne an, und sein Versprechen, das krisengebeutelte Land näher an Europa heranzuführen und die grassierende Korruption auszumerzen, ließ ihn in den vergangenen Monaten zum politischen Shootingstar, fast zu einem Heilsbringer werden.

Ukrainische Wahlplakate für Klitschko

Michael Riedmüller

Plakate von Vitali Klitschko säumen den Kiewer Prachtboulevard Kreshatik.

Seine Popularität als Sportler ist dabei alles andere als ein Hindernis, doch im Gegensatz zu Schewtschenko verfügt Dr. Eisenfaust tatsächlich über so etwas wie ein politisches Profil. Während des Wahlkampfs mutierte er zum größten Kritiker der Machtclique um Präsident Viktor Janukowitsch, eine Zusammenarbeit mit dessen Partei der Regionen nach den Wahlen schließt er kategorisch aus. Wofür er politisch genau steht, wurde aber auch in den vergangenen Monaten nicht wirklich klar. Inhaltlich könnte man seine Partei vielleicht noch am ehesten mit europäischen christdemokratischen Parteien vergleichen, aber Inhalte interessieren die Ukrainer ohnehin kaum.

Dass ein Boxer solch einen kometenhaften politischen Aufstieg hinlegt, sagt viel darüber aus, wie wenig die Menschen in der Ukraine den alten Politikern vertrauen. Auch die einstige Hoffnungsträgerin Timoschenko hat einen Großteil ihrer Strahlkraft verloren - da nützt es auch nichts, dass sie sich aus dem Gefängnis heraus gerne als ukrainische Jeanne d`Arc inszeniert. Auch wenn das Urteil gegen sie auf fadenscheinigen Anklagepunkten fußte und politisch motiviert war: dass sie keine Heilige ist, wird heute nur noch von den wenigsten bezweifelt.

Klitschko ist heute für viele Ukrainer der einzige Politiker, dem sie noch vertrauen können, bisher hatte er aber noch keine Chance, seine Versprechen zu brechen. Der 40-Jährige gibt den Saubermann, der mit der allumfassenden Korruption im Land nichts zu tun hat. Doch ob er wirklich so sauber ist, wie er sich gerne darstellt, wird in den letzten Wochen immer öfter angezweifelt, seitdem Gerüchte auftauchten, dass er vom Gasoligarchen Dmytro Firtash unterstützt wird. Alles nur Regierungspropaganda, erklärt Klitschko, doch selbst die angesehene unabhängige Online-Zeitung "Ukrainska Pravda" hat zuletzt Hinweise veröffentlicht, die darauf hindeuten, dass sich auch Klitschko im Dunstkreis der mächtigen Oligarchen bewegt.

"Uns gehört die Zukunft"

"In seinem Wahlkampfteam sind einige Leute, die früher mit der Partei der Regionen verbunden waren", sagt Nataliya Sokolenko während wir gemeinsam mit Gatsko durch unasphaltierte Wege in Demiivka spazieren. Die preisgekrönte Journalistin schmiss vergangenes Jahr ihren Job beim Fernsehsender STB hin, weil sie die herrschende Zensur nicht mehr mittragen konnte, wie sie heute erklärt. Dass Klitschko das Land verändern könnte, glaubt sie nicht, sie unterstützt Gatsko in seinem Wahlkampf. Der übt während unseres Gesprächs immer wieder massive Kritik an der Regierung, aber auch an Klitschko ("The same old stuff!") lässt er kein gutes Haar: "Seine Partei sitzt jetzt seit vielen Jahren im Kiewer Stadtrat und die haben dort in vielen Fällen nicht einmal versucht, echte Oppositionsarbeit zu betreiben."

Gatsko im Wahlkampf

Michael Riedmüller

Mit einem Mikrophon bewaffnet kritisiert Gatsko die ukrainische Politmafia.

Der studierte Ökonom, das wird schnell deutlich, könnte eine echte Alternative zur herrschenden Machtelite darstellen, jung, gebildet, demokratischen Werten verpflichtet, gewillt, die Ukraine wirklich zu verändern. Doch im Gegensatz zu anderen Neopolitikern wie Klitschko oder Schewtschenko fehlt ihm die Bekanntheit und der Zugang zu Massenmedien. Die ignorieren die neue Bewegung. "Ich habe mehr Kontakt mit ausländischen Journalisten als mit ukrainischen", sagt er.

Es fehlt an den finanziellen Mittel, um genügend Aufmerksamkeit zu bekommen, ins ukrainische Fernsehen zu kommen ist alles andere als billig. Dessen ist er sich bewusst, aber Geld von dubiosen Geschäftsleuten zu nehmen, kommt für ihn nicht in Frage. Stattdessen hat sich die Demokratische Allianz als erste ukrainische Partei dem Fundraising verschrieben. Ihr Budget kommt ausschließlich aus Spenden, die aber haben nicht einmal ausgereicht, um bei den Wahlen landesweit anzutreten. Zwei Millionen Grivhna (ca. 200.000 Euro) müssen dafür bei der Wahlkommission hinterlegt werden, zusammengekommen sind nur 500.000 Grivhna, die aber aus Transparenzgründen nicht für diesen Wahlkampf verwendet werden. Darum treten dieses Mal nur drei Kandidaten in Wahlkreisen an, wo Direktmandate vergeben werden. Und angesichts der Umstände wäre es ein Wunder, könnte einer von ihnen wirklich ins Parlament gewählt werden.

Aber Gatsko sieht das Projekt langfristig, diese Wahlen als Lernprozess. 600 Aktivisten zählt die Organisation landesweit, ihr Altersschnitt beträgt 22 Jahre. Bei den Kiewer Kommunalwahlen im kommenden Jahr wird er wieder antreten. "Ich bin trotz allem wirklich optimistisch", sagt er, "wir werden von immer mehr jungen Menschen unterstützt, es braucht Zeit, aber uns gehört die Zukunft."