Erstellt am: 25. 10. 2012 - 16:32 Uhr
Die steilen Beats und die strengere Kost
Das Elevate Festival auf FM4
Im September hat die renommierte Website Resident Advisor das Elevate Festival Graz auf Platz Drei ihrer Top 10 Festivals around the World für Oktober gesetzt. Der Hauptgrund für diese Entscheidung soll die Location gewesen sein, an der das Festival abgehalten wird: Das Innere eines Berges. Wenn man sich aber vielleicht schon an das, wenn man so drüber nachdenkt, doch schon recht atemberaubende Ambiente des Dom im Berg gewöhnt hat, dann kann man sich vielleicht auch auf jenen Faktor konzentrieren, auf den die guten Menschen hinter dem Festival Jahr für Jahr nun auch wirklich Einfluss haben - und in welchem Bereich sie auch immer wieder Erstaunliches auf die Beine stellen: Das Programm, natürlich. Ein schönes, oft auch angenehm unwohlmachendes Ineinandergreifen von Theorie und einem Musikprogramm an der Vorderkante der Zukunftsforschung.
Lupi Spuma
Das musikalische Programm am Mittwoch Abend eröffnet das sehr gute Duo UMA, "UMA aus Berlin" wie Florian Zwietnig, eine Hälfte UMA, doch recht ausdrücklich auf der Bühne betont. UMA sind ja schon zu Recht hier und eigentlich fast überall anderswo gewürdigt worden, ihre psychedelisch blubbernde und schnalzende Elektronik ist die passende Startrampe in eine lange Nacht. Wenn der Bass in der Musik von UMA etwas deutlicher hervortritt - wie es beim Konzert am Elevate der Fall ist - und die Elektronik etwas prägnanter kickt, als man das nebulös meint von anderen UMA-Konzerten noch im Kopf zu haben, dann muss einem wieder einmal bewusst werden, dass das, was UMA da machen, eben nicht bloß ein zielloses, bloß an Sound und Textur interessiertes Herumwabern im Dienste einer vorgegaukelten Avantgarde ist, sondern schon auch tatsächliche Popmusik und gar, wenn auch in Zeitlupe, Tanzmusik sein kann.
Die Musik von UMA kann dann auch sicherlich als die akustische Umsetzung des Flackerns aus einer zu Hause notdürftig zusammengeschraubten Dreammachine verstanden werden: Eine solche besingen sie in ihrem Hit "Wild at Heart" in sich repetitiv überlagerndem Stimmengewirr. Live ein Höhepunkt, man wird schwindelig und sieht neue Lichter in seinem Leben. Großartig ist auch UMAs Coverversion von Ray Parker Jr.'s "Ghostbusters"-Theme-Song - ein Stück, das aufgrund seiner Geschichte als "ironischer" Feten-Hit und höchstmöglichen Anbiederungsfaktors eigentlich nicht mehr coverbar ist. UMA aber zerdehnen den Song und tauchen ihn in unheimliche Farben. Mit dem Text scheinen UMA sich selbst, das - eventuell nur vermeintlich - Spuk- und Geisterhafte in ihrer Musik zu kommentieren. Sind UMA am Ende selbst Geisterjäger und betreiben Exorzismen an sich selbst?
Lupi Spuma
Der zweite Floor des Elevate ist traditionell der Tunnel, sein Programm steht am Mittwoch unter der Losung "Interpenetration", was so viel wie gegenseitige Durchdringung bedeutet. Hier findet an diesem Abend ein Zusammenleben nicht von tanzbarer Elektronik, sondern von Noise, Industrial und, ja, Rock statt. Die französische Band Radikal Satan heißt Radikal Satan, und wenn eine Band so einen Namen trägt, kann man davon ausgehen, dass man es hier nicht mit Black- oder Death-Metal-Band zu tun hat - außer es handelt sich um eine besonders doofe oder besonders humorvolle. Radikal Satan bauen mit Hilfe von Kontrabass und Akkordeon und ein bisschen Georgel eine angepunkte Seemannsmusik, zu der Nick Cave und Blixa Bargeld in den späten 80ern sicher gerne in einem kleinem Boot über ein Meer aus schwarzer Plastikfolie gerudert wären und dabei absurd gestikulierend ein paar Tränen zerdrückt hätten.
An anderen Stellen geschehen Umdeutungen von Folk- und Jazz-Motiven in düsteren Minimal-Rock im Stile von Warren Ellis und seinen Dirty Three oder es werden die unvermeidlichen Versuche unternommen, eine absichtlich übergroteske Cabaret-Musik herzustellen - wie das auch bei den Tiger Lillies oder den Dresden Dolls nicht selten in die Sackgasse eines bloß "skurril" sich gebenden Kasperltheaters führt. Insgesamt ist das aber eine sehr gute Band. Radikal Satan, man könnte sie beispielsweise für den nächsten Twin-Peaks-Marathon buchen und hinter ihnen einen schweren, roten Samtvorhang aufhängen.
Lupi Spuma
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Auf dem großen Floor wird derweil zukunftsträchtige Tanzelektronik aus den Geräten gezogen bzw. auf die Plattenteller gelegt. Das englische Duo Letherette trägt nicht nur einen schnittigen Namen und Hemden derselben Sorte, sondern formt auch derlei Musik: Zwei EPs haben Letherette bislang für das kleine Label Ho Tep veröffentlicht und Namen wie Machinedrum und Bibio mit Remixarbeiten bestückt. Im November soll jetzt der große Leap mit einem Release auf Ninja Tune über die Bühne gehen. Letherette schneiden aus den Erinnerungen an Filter-House der Schule Daft Punk, aus R'n'B, auch in der cheesigen Boygroup-Variante, elektronischem Boogie und Disco ein kaugummiförmig sich fortpflanzendes Beatgeflecht aneinander. Es ist ein großer Spaß mit Niveau und schicker Garderobe.
Der Headliner des Abends ist Mosca aus London. Für ihn scheint eigens ein aus gut fünfzehn jungen Frauen bestehender Fanclub eingeflogen worden zu sein. Es wird wild auf der Bühne getanzt, auch hinter dem DJ-Pult, so lange, bis der gute Herr empfindlich bei der Verrichtung seines Jobs gestört wird. Eventuell sollten doch am DJ-Pult immer wieder Benimmregeln ausgehängt werden, vermutlich wurden auch Musikwünsche deponiert, "Sky and Sand" wahrscheinlich. Es ist aber auch ein sehr feines Set, das Mosca da auf die Plattenteller legt; ein Set, in dem House, HipHop und die eine oder andere, aus good, ol' Trap Rap geborgte Drum Roll geschmeidig zueinander finden. Alles wird in Flammen stehen.
Lupi Spuma
Das Wattican Punk Ballet aus Armenien gibt im Tunnel eine Blues-Punk-Variation zum Besten, die nicht nur aufgrund der Duo-Besetzung Gitarre/Schlagzeug an die White Stripes oder die Black Keys mit Frauengesang erinnert. Wenn die Sängerin so richtig schön nölt, dann kommt das Wattican Punk Ballet gut in die Nähe von Kathleen Hanna und Bikini Kill. Meist aber bleibt es bei einer müden Abarbeitung alter Motive, die das, was sie eben kann, doch recht gut hinbekommt: Sie "rockt". Der Gitarrist trägt eine Guy-Fawkes-Maske. Verwirrung im Zeichendschungel.
Aufgrund freundschaftlicher und kollegialer Verbandelung mit dem Projekt Black Manna kann hier an dieser Stelle leider nicht stehen, dass der Auftritt des Duos beim Elevate ein fantastischer gewesen ist. Er war super. Musik, die sich an Industrial und weißes Rauschen erinnert und sich für den Okkultismus interessiert. Weshalb hier noch einmal eine Verknüpfung zu dem stattfinden soll, was hier gestern schon über derlei Musik geschrieben stand. Finstere Zeiten, alles wird schön.
Lupi Spuma
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