Erstellt am: 20. 10. 2012 - 15:42 Uhr
In Griechenland gehen die Lichter aus
Chrissi wilkens ist Teil des JounalistInnennetzwerks N-Ost
Seit vor einem Jahr die griechische Regierung eine Immobiliensteuer eingeführt hat, die über die Stromrechnung eingehoben wird, müssen immer mehr Menschen ohne Strom leben. Denn wer die Immobiliensteuer nicht zahlen konnte, musste damit rechnen, dass der Strom abgeschalten wird. Das oberste Gericht hat zwar schon vorigen März entschieden, dass die Stromabschaltung in solchen Fällen rechtswidrig sei. Trotzdem müssen tausende Griechen und Griechinnen auf Licht verzichten, weil sie die Stromrechnung nicht zahlen können.
epa ANA/Orestis Panagiotou
So auch Georgia Masoura, eine schwarzgekleidete magere Frau. Sie sitzt wartend vor einem kleinen Haus mit hellblauen Holzfenstern im Athener Stadtteil Neos Kosmos. Aus der Küche dringt der Geruch von gebratenem Fleisch. Mika, Tasos und Eleni, drei Mitglieder einer lokalen Solidaritätsinitiative, die dieses Haus gemietet hat, bereiten in der Küche Pakete mit warmen Mahlzeiten vor. Georgia ist gekommen, um für sich und ihre beiden Töchter Essen zu holen. Seit mehr als einem Monat gibt es in ihrer kleinen Wohnung ein paar Straßen weiter keinen Strom mehr.
"Wir saßen mit den Kindern auf der Couch und haben ferngesehen", erzählt Georgia erschöpft. "Und plötzlich war der Strom weg. Wir waren erschrocken. Anfangs dachten wir, die Stromsicherung sei herausgefallen. Jetzt haben wir keinen Strom. Wir leben mit Kerzen."
Seit mehr als zwei Jahren ist Georgia arbeitslos. Sie bekommt kein Arbeitslosengeld und auch keine andere Hilfe vom Staat. Sie ist geschieden, bis vor ein paar Monaten hat ihre Mutter die Familie mitversorgt. Seitdem sie aber im vergangenen März verstorben ist, sind alle Rechnungen unbezahlt. Allein der Stromgesellschaft schuldet sie über 400 Euro, dazu noch die Immobiliensteuer von 80 Euro. Ohne Strom zu leben ist ihren beiden Töchtern peinlich. Aus diesem Grund lehnt Georgia einen Besuch in ihrem Haus ab.
"Ich selber kann irgendwie damit umgehen, aber für meine Kinder ist es psychologisch sehr belastend. Meine kleine Tochter kommt aus der Schule und macht sofort ihre Hausaufgaben, solange es noch Tageslicht gibt. Wenn es anfängt dunkel zu werden, will sie, dass wir nach draußen gehen. Wenn wir zurückkommen, will sie gleich schlafen gehen. Meine größere Tochter geht in der Früh weg und kommt um Mitternacht zurück", erzählt Georgia.
epa ANA/Orestis Panagiotou
Mika Theotokatou, eine der Aktivistinnen, überreicht Georgia drei Mahlzeiten. Sie fragt, ob sie und ihre Töchter Kleidung brauchen. Georgia winkt freundlich ab. Mika hat täglich Kontakt zu Familien in der Nachbarschaft, die ohne Strom leben.
"Viele Familien schämen sich, zu sagen, dass sie kein Strom haben", erzählt sie bedrückt. Die 55-Jährige mit den blondgefärbten Haaren ist selbst arbeitslos. Mit Hilfe von Spenden von Privatpersonen und Gaststätten der Umgebung kocht sie zusammen mit anderen Mitgliedern der lokalen Solidaritätsinitiative für diese Familien. Gleichzeitig versuchen sie, die Stromleitungen anzuzapfen, um die Familien wieder mit Strom zu versorgen. Sie gehen in die Wohnungen und schließen mit Hilfe von Elektrikern den Strom wieder an. "Wenn die Sicherung fehlt, kaufen wir eine und schieben sie ein. Dort wo es möglich ist, sperren wir den Zutritt zu den Stromkästen, damit die Beamten der Elektrizitätsgesellschaft nicht rankommen und sie nicht entfernen können. Wenn die Beamten kommen, versuchen wir sie durch Proteste von den jeweiligen Wohnungen zu vertreiben", sagt Mika. Sie weiß, dass sie und die anderen Aktivisten rechtswidrig handeln. Mehr als zwei Jahre Haft könnte das für sie bedeuten, trotzdem sind sie entschlossen, weiterzumachen.
"Wir wehren uns, weil wir kein Geld haben, die Stromrechnungen und die Immobiliensteuer zu zahlen. Aber auch wenn wir Geld hätten, würden wir nicht zahlen. Es sollen erst diejenigen Politiker und Unternehmen das Geld zurückbringen, das sie dem Stadt gestohlen haben. Dann werden wir, die Armen, überlegen, wie wir uns verhalten", sagt sie mit eine kämpferischen Stimme.
Nicht alle müssen zahlen
Vor ein paar Tagen hat die Gewerkschaft der Beschäftigten der Stromwerke, GENOP-DIE, geklagt, dass zehntausende Unternehmen in Griechenland vom Staat begünstigt worden seien und keine oder nur reduzierte Immobiliensteuer zahlen müssten. Die Gewerkschaft hat sogar die Informationsstelle der Stromgesellschaft besetzt, um mehr Daten über die Unternehmen zu bekommen. Die Spezialeinheiten der Polizei haben die Gewerkschaftler von dort entfernt. Der Vorsitzende der Gewerkschaft, Nikos Fotopoulos, wurde während dieser Aktion vorläufig festgenommen. Nun sitzt er angespannt hinter seinem Bürotisch im vierten Stock eines grauen Gebäudes im Athener Zentrum. An der Wand hängt ein Bild von Che Guevara, sowie eines von Aris Velouchiotis, einem bekannten Anführer des kommunistischen Flügels der griechischen Partisanenbewegung im Zweiten Weltkrieg. Der schmale Mann mit dem durchdringenden braunen Blick ist empört. "Es ist inakzeptabel, dass die Reichen keine Immobiliensteuer zahlen, aber die Armen schon. So wie es inakzeptabel ist, dass dies auf keiner Entscheidung, keinem Gesetz basiert."
Es gibt offene Fragen, warum Fernsehsender, Verlage oder andere Großunternehmer diese Steuer nicht zahlen, betont er. Die Gewerkschaft hat der Staatsanwaltschaft ihre Klage mit einem dicken Ordner an Beweisen überreicht. Mit weiteren Aktionen will sie Druck auf die Regierung ausüben. Dabei wächst die Anzahl der Haushalte ohne Strom ständig. Im Jahr 2010 waren es mehr als 55.000, rechnet der Gewerkschaftler. Diese Zahl soll heute viel größer sein. "Aktuelle Daten haben wir leider nicht. Es gibt keinen Zugang zu solchen Daten. Sicher ist, dass diese Zahl drei Mal jetzt höher sein dürfte. Im Oktober 2011, bevor die Immobiliensteuer eingeführt wurde, lag die Summe der ungezahlten Stromrechnungen von Haushaltskunden bei 388 Millionen Euro, heute sind es mehr als 700 Millionen. Dies zeigt, wie tragisch die Situation ist", so Fotopoulos.
EPA/ALEXANDROS VLACHOS
Insbesondere in den armen Haushalten in Griechenlands Großstädten gehen die Lichter aus. Täglich kommen in die Büros der Gewerkschaft Menschen, denen der Strom abgestellt worden ist, weil sie die Rechnung nicht bezahlen können. Unter ihnen viele Rentner und Arbeitslose, sagt Fotopoulos. Die Gewerkschaftler sorgen dafür, dass der Strom wieder angeschlossen wird. Auch wenn dies wie bei den Aktivisten auf rechtswidrigen Weg gemacht werden muss. "Die meisten von uns sind Elektriker. Wir sind ausgebildet in überirdischen und unterirdischen Stromnleitungsnetzen und wissen sehr gut, wie wir einen Stromkasten anfassen, um die Stromverbindung wiederherstellen. Wir haben es in sehr vielen Fällen gemacht und werden es auch so weitermachen. Die Polizei soll uns doch verhaften und ins Gefängnis stecken. Wir werden aber unsere Mitmenschen nicht im Stich lassen", sagt Fotopoulos.
Zurück bei der Solidaritätsinitiative im Stadtteil Neos Kosmos. Mika diskutiert mit Christos Provezis, einem älteren Aktivisten, der gerade von einem Treffen mit anderen Athener Solidaritätsinitiativen zurückgekommen ist. Christos ist besorgt. Es sind nicht mehr nur die Haushalte, die keinen Strom mehr haben, sondern auch viele Schulen, sagt er. "Wir haben gezählt, wie viele Grundschulen in Athen keinen Strom haben. Von den 82 sind es bereits 14. Und als wir darüber diskutiert haben, wie viele Schulen keine Heizung haben werden, wurde uns aus den Daten, die wir von der Athener Gemeinde haben klar, dass diesen Winter keine Schule Heizung haben wird. Der Winter, der auf die Griechen zukommt, den kann man sich im restlichen Europas nicht vorstellen."