Erstellt am: 19. 10. 2012 - 16:19 Uhr
Lieder jenseits des Raum-Zeit-Kontinuums
First gossip first: Ben Gibbard hat ein hartes Jahr hinter sich. Als wäre eine Trennung nicht schon schlimm genug, wurde die Scheidung von Indie-Schwarm Zooey Deschanel, bekannt aus Film und Fernsehen, öffentlicher ausgetragen als dem Death Cab for Cutie-Frontmann lieb sein konnte. Da scheint es naheliegend, dass er mit dem Titel seines Soloalbums "Former lives" auf frühere, vergangene Leben hinweisen wollte, die es zurückzulassen gilt. Und geht man nach Textzeilen wie "It's been a basement of a year" mutet die Platte tatsächlich wie der Soundtrack seines letzten Jahres an – doch weit gefehlt.
Vielmehr sind zwölf Lieder auf "Former lives" im Laufe von acht Jahren entstanden und umfassen zwei Wohnorte, drei Beziehungen sowie abstinente und nicht-abstinente Phasen. Es sind Stücke, die irgendwie nie ins Death Cab for Cutie-Konzept gepasst haben, die Ben Gibbard aber immer wieder bei diversen Solokonzerten performed hat und die er nun endlich einfangen wollte: "Einer der Hauptantriebe für die Platte war, endgültige Versionen dieser Songs zu präsentieren, die nur in Form von schlecht aufgenommenen Bootlegs oder Demos existiert haben", erklärt er im Interview.
Ryan Russell
Eine Art Restlverwertung also, oder charmanter gesagt, eine Sammlung seiner besten Outtakes. Das muss zerrissen und patchworkhaft klingen, möchte man nun meinen – doch wieder weit gefehlt.
Trotz der zeitlich verstreuten Entstehungsphasen der einzelnen Stücke klingt "Former lives" wie aus einem Guss. Der Superkleber der alles zusammenhält ist dabei in erster Linie Bens markante Stimme – und in weiterer Folge sein Songwriting: Es geht inhaltlich um die auch schon von Death Cab bekannten Themen Heartbreak und Heimweh, ums ständige Unterwegssein und Sich-entwurzelt-fühlen. Zustände, die Ben Gibbard nicht nur seinem Dasein als vieltourender Musiker sondern auch seiner Kindheit geschuldet sieht – sein Vater war in der Navy. "Man schreibt über die Dinge, die man kennt – und bei mir ist das, konstant in Bewegung zu sein. Ein Grund warum ich gerne über Orte schreibe ist, um sie zu zementieren, weil ich eben nicht an einem Ort sein kann.“
I’m not in hiding ...
Einer dieser Plätze ist zum Beispiel der im Song "Teardrop windows" besungene Smith Tower in Seattle, einst das höchste Gebäude der Stadt, bis es von der Space Needle abgelöst wurde und nun ein Dasein als "forgotten great" fristet. Gibbards Soloausflug hat somit weder Raum- noch Zeitkontinuum – schwebende, schiffbrüchige Lieder also, die irgendwann entstanden sind und von irgendwelchen Plätzen handeln.
Konsequenterweise geben sich auch auf musikalischer Ebene verschiedene Stile die Klinke in die Hand: Reduzierte Akustikballaden hier, Countryweisen da, dann wieder schnellere, getriebene Stücke und sogar eine Mariachiband finden auf "Former lives" zusammen. Letztere im Song "Something's rattling", der eine Neuinterpretation eines alten 50er-Countrysongs über einen reisenden Rodeo-Cowboy darstellt: "Ich hatte diese Idee, den Song neu zu schreiben. Der Text handelt davon, in Südkalifornien verloren zu gehen. Also dachte ich, warum sich nicht auch in einer anderen Band verlieren, einer Mariachiband."
Neben dem Mariachiausflug enthält "Former lives" auch ein potentes Duett mit Aimee Mann: "Bigger than love" thematisiert den leidenschaftlichen Briefwechsel zwischen F. Scott Fitzgerald und seiner Zelda, deren Liebesgeschichte ja auch kein Happy Ending beschert war.
Barsuk Records
... just trying not to be found“
Aufgenommen wurde die Platte stückchenweise zwischen den Recording Sessions zum letzten Death Cab for Cutie-Album "Codes and Keys". Seinen Alleingang, bei dem er übrigens alle Instrumente selbst eingespielt hat, hat Gibbard als durchwegs befreiend empfunden, musste er sich doch keinen Beschneidungen von Seiten anderer Bandmitglieder unterwerfen: "Wenn alles mein Werk ist, streiche ich gar nichts raus, sondern mache einfach was ich will." Und während im Schaffen von Death Cab for Cutie oft ein Übermaß an Konzepthaftigkeit und Perfektionismus mitschwingt, hat der sonst zur Verbissenheit neigende Indienerd aus der Prä-Hipsterzeit diesmal auch versucht, alles etwas lockerer zu nehmen: Reingehen, Aufnehmen, und wenn's fehlerfrei geklappt hat, weiter zum nächsten Track. Um das Weiterbestehen von Death Cab müssen Fans aber nicht besorgt sein: Ben versichert, dass die Band auch in Zukunft sein Hauptfokus bleiben wird.
Aber ist Gibbards Soloausflug nun eigentlich gut geworden? Als Fan früher Death Cab-Werke mit einer Schwäche für Bens butterweiche Stimme habe ich "Former lives" als durchwegs angenehmes Hörerlebnis empfunden. Der Mann hat einfach ein außergewöhnliches Gespür für Harmonien, die sich sofort vertraut anfühlen und niemandem wehtun. Aber genauso leicht wie die Melodien ins Gehör eingehen, gehen sie dann auch wieder heraus und streng genommen überwiegt auf der Platte ein doch sehr formelhafter und vorhersehbarer Mainstream-Indierock.
Verzeihbar bleibt dieser für Liebesleidende und chronische Grey's Anatomy-Seher. Am treffendsten bringt die Platte schließlich ein Fremdzitat auf den Punkt: "Gibbard's gibbardisms have never sounded so gibbard-y." Indeed.