Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Assassinate Assange"

Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

19. 10. 2012 - 11:33

Assassinate Assange

Regisseurin Angela Richter inszeniert am Wiener brut ein Theaterstück über WikiLeaks-Gründer Julian Assange und handelt sich damit Vorwürfe ein, sie würde sexualisierte Gewalt verharmlosen.

"Keine Bühne für Vergewaltiger" steht seit Dienstag Nacht auf der Mauer des Künstlerhauses in Wien.

Graffiti "Keine Bühne für Vergewaltiger" auf der Mauer des brut Künstlerhauses

brut wien

Assassinate Assange läuft von 19. bis 22. Oktober im brut im Künstlerhaus in Wien.

Grund dafür ist die heutige Premiere von "Assassinate Assange" im Theater brut. Das Dokudrama von Regisseurin Angela Richter schildert das Leben von WikiLeaks-Gründer Julian Assange inklusive der gegen ihn vorgebrachten Vergewaltigungsvorwürfe zweier Schwedinnen.

Mehrere queer-feministische Performance-Gruppen und die Basisgruppe Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Uni Wien (Bagru Thewi) halten der Regisseurin und den künstlerischen Leitern des Theaters vor, mit ihrer Inszenierung sexualisierte Gewalt zu verharmlosen und Assange "durch Andocken an diverse latent antiamerikanische Verschwörungstheorien zu exkulpieren". In einem offenen Brief fordert die Studierendenvertretung sogar die Absage des Stücks.

Vergewaltiger oder Verschwörungsopfer

Um die Kontroverse zu verstehen, muss man versuchen, hinter die konträren medialen Darstellungen von Julian Assange zu blicken. Einerseits wird er als Vergewaltiger und Cyber-Terrorist vorverurteilt, andererseits gilt er als Internet-Messias und Opfer einer Verschwörung.

Seit August verschanzt sich der Whistleblower als politischer Asylant in der ecuadorianischen Botschaft in London und versucht auf diese Weise einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen, wo ihm wegen Sexualdelikten der Prozess gemacht werden soll. Laut Polizeiprotokollen soll er eine Frau ohne deren Einverständnis im Schlaf penetriert haben und es bei einer anderen ohne Kondom und unter Anwendung von Gewalt versucht haben.

Die von Assange-UnterstützerInnen betriebene Website "People ok with murdering Assange" sammelt und veröffentlicht Zitate von Personen, die den Internet-Aktivisten lieber tot als lebendig sähen.

Assange selbst, auf den seither ein internationaler Haftbefehl ausgesetzt ist, wittert hinter dieser Affäre ein politisches Komplott, das dazu führen soll, ihn an die USA auszuliefern. Dort könnte ihm wegen der Veröffentlichung von geheimen Dokumenten des US-Militärs auf WikiLeaks sogar die Todesstrafe drohen. Eine dementsprechende Anklageschrift liegt zur Zeit zwar nicht vor, es wird aber kolportiert, dass eine solche auf der Grundlage eines Spionagegesetzes von 1917 bereits ausformuliert unter Verschluss liegt.

Das schwedische Justizministerium hingegen betont, dass die Vereinigten Staaten bisher keinen Auslieferungsantrag für Assange gestellt hätten und zudem kein EU-Land eine Person ausliefern würde, die nachweislich die Todesstrafe zu befürchten hätte.

Angela Richter, die sich für ihre künstlerische Arbeit eingehend mit dem Fall Assange beschäftigt hat, macht die Härte, mit der gegen ihn ermittelt wird, trotzdem stutzig. Ein Red Notice von Interpol für einen Sexualstraftäter sei unüblich. Sie fragt sich daher, warum die Behörden nicht auf seine Kooperationsbereitschaft eingehen:

Assange bietet seit zwei Jahren an, sich zu den Vorwürfen der beiden Schwedinnen befragen zu lassen - entweder in England oder über Skype oder jetzt als neueste Variante in der ecuadorianischen Botschaft in Stockholm. Alle diese Vorschläge wurden von der schwedischen Justiz abgelehnt, und man fragt sich, warum. Wenn man wirklich wissen will, was passiert ist, warum redet man nicht erstmal mit ihm, erhebt dann gegebenenfalls Anklage und anschließend kann man immer noch über eine Auslieferung nach Schweden reden.

Richter als Verteidigerin

Julian Assange hat mit der deutschen Regisseurin und Schauspielerin Angela Richter eine engagierte Verteidigerin gefunden. Letztes Jahr hat sie über eBay ein Gruppen-Mittagessen mit ihm ersteigert und ihm von ihrem Vorhaben erzählt, ein Theaterstück über ihn zu machen. Seither hat sie ihn acht Mal getroffen und etliche Stunden Gespräch mit ihm aufgenommen.

Angela Richter vor einer Projektion von Julian Assange

Marcelo Hernandez

Angela Richter stellt auf der Bühne sich selbst dar.

Die Protokolle dieser Besuche dienen nun als Basis für das Stück "Assassinate Assange", in dem die Autorin unmissverständlich klar macht, dass sie die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange für eine Diffamierungskampagne hält.

Wir Feministinnen sollten uns nicht als Werkzeuge von CIA, FBI und anderen Leuten missbrauchen lassen. Das heißt nicht, dass Personen, die jemanden sexuell belästigt haben, nicht verfolgt werden sollen, aber hier geht es um eine ganz andere Debatte.

Diese Einstellung sowie ihre Aussagen in einem Interview ("Vergewaltigung ist Sex unter Zwang, das hat hier nicht stattgefunden.") und einige Formulierungen im ursprünglichen Pressetext zum Stück, in dem unter anderem von "mangelnder Triebkontrolle" Assanges die Rede war, haben zu den genannten Protesten gegen die Aufführung geführt. Im offenen Brief der Studierenden der Theater-, Film und Medienwissenschaft der Uni Wien ist daher zu lesen:

Der offene Brief war auch an das Theater brut adressiert. Hier findet sich die Stellungnahme der künstlerischen Leitung.

Kritik an Assange und dem medialen Umgang mit sexualisierter Gewalt muss möglich sein, ohne dass sie gleich in eine Verschwörung gegen WikiLeaks umgedeutet wird. Jemand, der in einem Bereich wichtige Leistungen erbracht hat, kann trotzdem in einem anderen verwerflich handeln.

Und weiter:

Die Unschuldsvermutung für Julian Assange wird für Richter zur Schuldvermutung in Bezug auf die beiden Frauen, denn sie blende aus, dass es sich bei sexualisierter Gewalt um extrem traumatisierende Ereignisse handelt und dass viele Betroffene in der konkreten Situation, die oftmals einer Schock-Situation gleicht, nicht fähig sind "Nein" zu sagen oder sich körperlich zu wehren.

Soweit die Argumentation der Bagru Thewi für die geforderte Absage des Theaterprojekts.

Was ist mit freier Meinungsäußerung?

Democracy Now hat zum Fall Assange ein Streitgespräch zwischen Feministinnen Naomi Wolf und Jaclyn Friedman gebracht.

Nun sind die vorgebrachten Einwände natürlich richtig. Zum einen sind die Begrifflichkeiten von Tatbeständen bei Sexualdelikten im Sinne des Opferschutzes in vielen Justizsystemen mehr als unzureichend. Ab wann spricht man von sexueller Belästigung, ab wann von Vergewaltigung? Eine Nuance in der Formulierung kann das Strafausmaß um Jahre mildern oder steigern. Zum anderen steht es außer Frage, dass Assange durch seine Tätigkeiten bei WikiLeaks gegen eine strafrechtliche Verfolgung auf diesem Gebiet nicht immun sein darf.

Dennoch muss der Gedanke geäußert werden dürfen, ob solche Anschuldigungen eventuell politisch motiviert sein könnten. Menschen sind käuflich, Polizeiprotokolle zu fälschen.

Wenn sich daher eine Theaterregisseurin auf der Grundlage des vorliegenden Materials eine derartige Meinung bildet und diese in einem künstlerischen Werk zur Diskussion stellt, ist dagegen nichts einzuwenden.

Angela Richter ist gern bereit über ihren Zugang zu Assange zu reden. Am 21. Oktober findet im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch statt.

Insofern kommt es doch einigermaßen überraschend, dass ausgerechnet die Thewi-StudentInnen nach Absetzung des Stückes schreien. Geradezu peinlich wird es allerdings, wenn man sich vor Augen führt, dass "Assassinate Assange" im Rahmen eines Themenschwerpunkts gezeigt wird, der den Titel "Freedom of Speech" trägt.

Denn, dass das Diskutieren von moralischen Streitfragen eine der Hauptfunktionen des Theaters ist, lernt man an der Thewi im ersten Semester.