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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 10. 2012 - 15:55

Fußball-Journal '12-41.

Österreich ist (noch) nicht Belgien; aber auch nicht (mehr) Serbien. Eine Standortbestimmung des ÖFB-Teams.

Auch in der aktuellen Saison begleitet das Fußball-Journal '12 (wie schon in den Vorjahren) die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das mediale Umfeld.

Heute mit einer Nachlese zu den ersten drei WM-Qualifikationsspielen zur WM 2014, also der Phase 1 des Unternehmens Koller.

Siehe dazu auch Journal 39 - das Heimspiel gegen Kasachstan, Journal 38 - das Auswärtsspiel in Astana und Journal 31 - das Augenhöhe-Match gegen Deutschland.

Die nächsten Spiele (gegen Färöer, in Irland und gegen Schweden) finden erst im Frühjahr 2013 (Ende März, Anfang Juni) statt.

Das Team und der ÖFB haben dazugelernt. Viele Zuschauer, Freunde und Fans ebenso. Und auch einige Medien, durchaus überraschenderweise.
Die denkkonservative Koalition aus entwicklungsresistenten, aus Ex-Kickern emergten Experten und Machtbasen bewahrenden Medien hingegen greifen weiter beständig auf die älteste Kamelle zurück, auf den antianalytischsten und unjournalistischen Reflex schlechthin: Bei einem Sieg war praktisch alles richtig, und man fordert wie selbstverständlich den Titel, bei einer Niederlage ist alles Scheiße gewesen.

Ich spreche das ganz bewusst nach einem Positiv-Erlebnis wie dem gestrigen 4:0-Erfolg gegen Kasachstan, dem ersten Pflichtspielsieg des neuen Koller-Teams an.

Denn natürlich war da nicht alles so Happy-Pepi wie es einem die Medien-Reaktionen vorgaukeln und die (eh zurecht) erfreuten Mienen der "da-ist-uns-ein-Stein-vom-Herzen-gefallen"-Beteiligten veranschaulichen wollen.
Der Unterschied der beiden Kasachstan-Spiele in Astana und Wien etwa war nämlich deutlich geringer als jetzt angegeben wird. Und gerade weil man es nicht schlüssig beschreiben kann, wird jetzt wieder der Pseudo-Jolly hervorgeholt, die "Einstellung", die dort gefehlt, da aber gepasst haben soll.

Die "Einstellung" ist in den allermeisten Fällen eine Erfindung von Medien, die von dankbaren Verantwortlichen gern angenommen wird, weil sich ein großer Anteil des Publikums mit dieser Nicht-Erklärung zufriedengibt und man sich damit eine tatsächliche Analyse erspart.

Die Sache mit der Einstellung

Die "Einstellung" passt im ÖFB-Team, seit Koller. Zuletzt war sie in der Absagenflut für die letzte EM-Quali-Spielreise nach Eurasien vor ziemlich genau einem Jahr präsent. Danach hat sie vielleicht noch einzelne Hochzeiter und Esoteriker erwischt - sich aber nie auf Vorbereitung und Spielleistung ausgewirkt.

Mehr als die Befriedigung medialer Phantomschmerzen auf der Suche nach einer schnellen Begründung für Resultate wird die Sache mit der Einstellung nämlich nie sein.

Das was die mit vier Punkten überwindtnernde (ha, das war nur ein Tippfehler, aber den lass ich jetzt so stehen!) ÖFB-Truppe von den leicht möglichen 7 Punkten trennt, ist nicht in derlei wabbrigen Phrasen der Anti-Analytiker und Anti-Journalisten zu finden; es ist Produkt eines noch nicht abgeschlossenen Prozesses.

Denn, so gern wir es alle hätten: ein kompletter Turnover gelingt nicht in einem Jahr. Und nichts Geringeres ist es, was Marcel Koller unternehmen musste.

Auf seiner Agenda stand die schnellstmögliche Implementierung einer Spiel-Philosophie; die mit einer neuen Verhaltens-Charta, was das Umfeld betrifft, einhergeht. Stichwort: Medienklüngelei. Das was unter den Vorgängern wichtiger war als die Beschäftigung mit der Materie, mit der Mannschaft, mit Teambuilding und strategischer Entwicklung - nämlich das geschickte Zementieren der eigenen Machtposition - drängt Koller bewusst aus dem Stadion.

Mit vier statt sieben Punkten in den ersten Winter

Auch weil er schlauer ist als die gesamte österreichische Trainer-Gilde, die sich mit dieser Taktik zwar im Land fest einzementiert hat - im Fußball-Ausland aber (zurecht) nichts gilt. Koller weiß, dass er mit Team Austria auffällig werden kann, was ihm dann langfristig weitere interessante Jobs bringen kann. Seinen Vorgängern genügte das Kochen im eigenen Saft.

Da Koller auf beiden Ebenen Neuland betreten musste (denn auch ein gezielt geübtes Spielsystem hatte das Nationalteam zuletzt wohl unter Branko Elsner in den 80ern; Happel war schon zu krank) konnte er bislang nur einen Plan A entwickeln und muss einiges an Risiko nehmen. Denn wenn dem kräfteraubenden Pressing, dem schnellen, in Tempogegenstößen mündenden Umschaltspiel der Österreicher kein Tor folgt, besteht die Gefahr des Zerfaserns. Das Spiel selber gestalten, wie es die Großen und auch die seit Jahren über ihre technische Versiertheit agierenden Nationalteams aus Südosteuropa praktizieren - diese Fähigkeit hat der heimische Fußball in den 80ern und 90ern verloren.

Die Koller-Philosophie baut auf schnelle, kombinationssichere und spielintelligente Kicker mit guter technischer Grundausstattung und einer taktisch einigermaßen sattelfesten Konstitution. Das sind Ansprüche, die einige der mittlerweile im ÖFB-Dress versammelten (etwa dreißig) Akteure nur partiell erfüllen können.

Man kann, das hat das eine Jahr Koller bewiesen, damit arbeiten. Es lassen sich Potentiale herauskitzeln, Achtungserfolge erzielen. Für eine Qualifikation zu einem großen Turnier ist es aber noch deutlich zu früh; 2014 kommt zu bald.
Nur wahre Toren können das verlangen. Und natürlich Feinde, die selber zu den Futtertrögen wollen, aber außer einer grotesk übersteuerten und grell popularisierten Erwartungshaltung nichts anzubieten haben.

Die Sache mit der Burschigkeit

Österreich befindet sich in einer Entwicklungs-Phase, die für 2014 noch (vielleicht sogar knapp) nicht reicht. Dafür fehlt es an einigen Ecken: es gibt keinen Plan B, kein zweites System; einige der kreativen Offensivkräfte verlieren sich noch jenseits ihrer Grundaufgaben; die Abwehr hat - spielaufbautechnisch - noch nicht das Level dass die Mittelfeldzentrale bereits erreicht hat; einzelne Positionen (Tor, Rechtsverteidiger, Center) sind ungenügend besetzt etc.

Einige dieser Probleme liegen auch in der Altersstruktur des Teams. Wegen der katastrophalen Versäumnisse, die der österreichische Fußball ab den 90ern (Stichworte: Kartnig, Klub-Pleiten, Stronach, ÖFB-Nachwuchs-Vernachlässigung) durchmachen musste, sind die älteren Jahrgänge (das sind mittlerweile die 26 - 30 jährigen) schütter ausgebildet. Sie wurden als "Junge" teilweise viel zu früh verheizt, weshalb es an Leader-Figuren dieser Jahrgänge fehlt. Das wiederum hat die nächste Generation (die heute 22 - 25jährigen) auch früh in eine Verantwortung getrieben, die man als junger Spieler überhaupt nicht stemmen kann. Der Halt (in Gestalt einiger renommierter Star-Profis) fehlte komplett. Und da auch die Coaches nur an ihren eigenen Egos interessiert waren, wirkte sich diese Unsicherheit auf dem Platz aus.

Das führt zu einem interessanten Phänomen: das aktuelle ÖFB-Team ist im Schnitt 25, aber selbst Akteure mit 50 Länderspielen wirken (vor allem im Spiel selber) jungenhaft, irgendwie burschig. Erst die Generation Alaba (die jetzt unter 22jährigen) kann mit einigermaßen Sicherheit in ein funktionierendes Nationalmannschafts-Gefüge reinwachsen.

Irgendwo zwischen Serbien und Belgien

Perfekten Anschauungsunterricht bieten aktuell zwei Mannschaften, die sich in den Entwicklungsstadien vor und nach Österreich befinden: Belgien und Serbien.

In Serbien hat Siniša Mihajlović, genialer Ex-Kicker und mit dem Wohlwollen des politischen Regimes ausgestatteter Ultra-Nationalist nach der misslungenen EM-Quali (man scheiterte schandhaft an den gern verspotteten Slowenen) tabula rasa gemacht und probiert es jetzt mit einer teilweise brutal verjüngten Mannschaft, der es vor allem an Kohärenz und Konstanz fehlt; fehlen muss.

Die neue serbische Nationalmannschaft spielt zwar gefällig und offensiv (eine Art 4-3-3), fängt sich aber aufgrund ihrer fehlenden Kollektiv-Routine gerade wilde Niederlagen ein. Für sie kommt die WM 2014 noch sehr deutlich zu früh.

In Belgien hat Marc Wilmots ein Team übernommen, das bereits von George Leekens in eine durchaus hoffnungsfrohe Position gebracht wurde. Belgien scheiterte letztlich knapp im direkten Duell mit der Türkei an Platz 2, Österreich wurde mit 2:0 und dem legendär wahnsinnigen 4:4 besiegt. Im wesentlichen war das heutige Team schon damals auf dem Platz. Und für alle, die mehr als nur den eigenen Patriotismus in der Birne haben, war klar zu sehen, dass hier ein interessantes Team heranwuchs.

Mittlerweile ist Belgien reif für einen Gruppensieg. Schottland wurde ebenso klar besiegt wie Wales und Serbien auswärts, die große Hürde wird das bei der Euro schon gut aussehende Kroatien sein.

2013 wird kein Schicksalsjahr, nur ein Entwicklungsschritt

Belgiens Team ist im Schnitt jünger als das Österreichs: allerdings konnten sich Witsel, Hazard, de Bruyne oder Dembele zuvor sichere Jahre lang an einigen Oldies, die jetzt nur noch auf der Bank sitzen, orientieren. Der Älteste dieser Jungen, Vincent Kompany, ist mittlerweile ein logischer Kapitän. Und die Burschigkeit, die er und seine gleichaltrige Abwehr im Spiel an den Tag legen, die verfügt über deutlich mehr Durchsetzungs-Fähigkeit als die der sogar leicht älteren österreichischen Kollegen.

Das war bereits bei den Duellen 2010 und 2011 spürbar und hat sich mittlerweile zu einer Selbstsicherheit verdichtet, die ihresgleichen sucht. Dass dieses gar nicht so neue, aber mittelfristig so gut entwickelte Team Belgien den holländischen Dauer-Rivalen im ersten August-Test nach der Euro 2012 verdient aus dem Stadion fegte, war kein Zufall.

Österreich steckt also exakt zwischen Belgien und Serbien.

Über den Stand des serbischen Neuaufbaus, wo Mihaijlović laufend neue 19-Jährige in seine Experimentier-Schlacht wirft, ist der Koller-Plan schon hinaus, deutlich, glücklicherweise.

Die eingespielte Klasse und das auf einem unaufgeregten Aufbau basierende Spielverständnis der Belgier kann das ÖFB-Team aber - aufgrund der angeführten Verzögerungs-Faktoren - wohl erst 2014/15 erreichen.

Obwohl man eine Crux immer im Sinn haben sollte: Belgien und Serbien bauen auf eine Jahrzehnte alte strategisch-taktische Tradition auf, in die sie sich fallen lassen können, wenn etwas schiefgeht. Österreich hingegen fiele bei einem (von außen herbeigeführtem) Scheitern Kollers ins Nichts des Zuvor.

Das Länderspieljahr 2013, das kein Schicksalsjahr ist, sondern nur über die Platzierung in der WM-Quali-Gruppe entscheiden wird, muss jetzt die nächste Stufe zünden um in die belgische Dimension vorstoßen zu können. Ich kann mir vorstellen, dass das klappt. Sofern sich alle wichtigen Player einkriegen und von ihren ein wenig kindlichen Brasilien-Träumen abrücken. Denn zu einer kollektiven Anstrengung gehört auch ein realistisches Umfeld.