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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

18. 10. 2012 - 13:18

Kino-Kidnapper

Eine kleine Actionkino-Reflexion, anlässlich der höchst unterschiedlichen Entführungsthriller "Taken 2" und "Savages".

Olivier Megaton, diesen Namen sollte man sich einmal in den Gehörgängen zergehen lassen. Angeblich entschied sich der Regisseur, der bürgerlich Olivier Fontana heißt, für sein plakatives Alter Ego, weil er 20 Jahre nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima geboren wurde.

Unabhängig von diesbezüglichen Fragen der Pietät steht das Pseudonym des Franzosen für Megatonnen Action, verpackt in die üblich slicken Bilder und manischen Montagen. Viel mehr ist bei näherer Ansicht aber auch nicht zu entdecken. "Transporter 3" und der um einen Hauch ambitionierter wirkende "Colombiana", das sind formelhafte Materialschlachten, die man eigentlich beim Verlassen des Kinos schon wieder vergessen hat. "Taken 2" ist nun ein ähnlicher Fall.

Taken 2

constantin film

Brachialer Ganzkörper-Einsatz

Dabei hat alles ganz passabel angefangen. Mit dem Actionthriller "Taken", der in deutschsprachigen Ländern seltsamerweise "96 Hours" betitelt wurde, hat sich Liam Neeson 2008 neu erfunden.

Der irische Charakterdarsteller mutierte unter der Anleitung des einschlägigen Pariser Produzentenveteranen Luc Besson im reifen Alter zum Hals- und Knochenbrecher, der keine Gefangenen nimmt. Gelegenheit dazu bekommt der ehemalige CIA-Agent reichlich, als er seine Tochter aus den Fängen eines albanischen Mädchenhändlerrings befreien muss.

"Taken" triggerte bei nicht wenigen 80er-Jahre-Tschinn-Bumm-Kino-Nostalgikern die Erinnerung an gnadenlose Amokläufe von Herren wie Stallone, Lundren oder Seagal, erwies sich auch als genauso brutal, reaktionär und dumpf wie manche Vorbilder. Gleichzeitig konnte das Grobklotz-Spektakel aber mit einer atemlos machenden Inszenierung punkten und vor allem mit dem manisch agierenden Liam Neeson. Dessen brachialer Ganzkörper-Einsatz überzeugte auch Skeptiker wie meine Wenigkeit von dieser Exkursion ins Reich der niedrigen Instinkte.

96 Hours - Taken 2

constantin film

Frisch vom Schnitt-Fließband

Olivier Megaton, der aktuelle Regie-Protegé von Luc Besson, dreht nun in der unvermeidlichen Fortsetzung den Spieß um. Der grimmige Bryan Mills alias Mr. Neeson wird in "Taken 2" selber entführt, schließlich haben die Väter seiner zahlreichen Opfer aus dem ersten Teil grausame Rache geschworen. Die Ex-Frau (Famke Jannsen) und das Töchterlein (erneut Maggie Grace aus dem TV-Wunder "Lost") müssen den Papa nun im pulsierenden Istanbul aufspüren.

Als prinzipieller Propagandeur eines rauschhaften Kinos, das die Gesetze der Logik dehnt, sollte ich jetzt nicht auf die Absurditäten der minimalen Story hinweisen. Ganz unpingelig sei aber zumindest erwähnt, dass die Suche nach dem Entführten die Grenzen von GPS und Mobilfunktechnologie auf explosive Weise ins Groteske erweitert.

Erwartungsgemäß schenkt uns Monsieur Megaton actiontechnisch wenig. Aber nicht nur die erfolgsbedingte niedrigere Altersfreigabe kommt dem Streifen als Zensurschere dazwischen. "Taken 2" erweist sich auch als eines jener übernervösen Schnittfeuerwerke, in dem inmitten all der Hektik nie ein Gespür für Gewalteinwirkungen oder tatsächlichen Schmerz aufkommt. Überhaupt wirkt der Film dermaßen nach Schema F inszeniert, dass einen der zweite Rachefeldzug des Bryan Mills in jeder Sekunde kalt lässt.

96 Hours - Taken 2

constantin film

Das Verschwinden der ideologischen Kritik

Liam Neeson, der in dem grandiosen Alaska-Albtraum "The Grey" eine erheblich substanziellere Version seiner aktuellen Action-Inkarnation präsentierte, muss jedenfalls auf seine alten Tage weiterhin zum Krafttraining pilgern. Denn nachdem der schrottige "Taken 2" es auf Anhieb an die Spitze der US-Kinocharts schaffte und dort verharrt, steht einem dritten Abenteuer der braven Familienvater-Killermaschine nichts im Weg.

Solche langweilig dahinlärmenden Filme geben einem im Kinosaal zumindest die Gelegenheit, über manches zu reflektieren. Wohin, frage ich mich etwa, sind die moralinsauren Kritiker verschwunden, die in den Hochzeiten von Arnie, Sly und Jean Claude das Leinwand-Vigilantentum als rechtskonservativen Auswuchs verdammten?

Natürlich erwies sich der mahnende Zeigefinger der linken wie bürgerlichen Presse angesichts der waffenstrotzenden Muskelpakete meist als lächerlich und übertrieben. Aber der bloße formalistische Ansatz, der in der Gegenwart dominiert, seit längst die ehemaligen Actionjünger selber in den Feuilletons sitzen, kann auch nicht alles sein. Und würde manchmal ein echtes ideologisches Oldschool-Konter vertragen. Filme wie "Taken 2", in dem es übrigens auch vor bieder lächelnder Spießigkeit und rassistischen Stereotypen wimmelt, vertragen schon mal eine Faustwatsche tief unter die (misslungene) Oberfläche.

96 Hours - Taken 2

constantin film

Formalistisches Folterkino

Ich vermute, ein großes Missverständnis vieler leidenschaftlicher Actionliebhaber ist der Gedanke, dass da draußen auf den Regiesesseln plötzlich eine Generation sitzt, der man völlig vertrauen kann. Weil schließlich Typen wie Olivier Megaton, Pierre Morel & Co. (es sind, wie beim aktuellen Extremhorrorfilm, oft Franzosen) ja mit derselben Videosammlung, ähnlichen Computerspielen und Pop-Ikonen aufgewachsen sind.

Diese (halb-)jungen Regiewilden des Bubenkinos müssen deshalb doch, so die gängige Faninterpretation, die richtigen Werte und den idealen Genre-Zugang vertreten. Wenn deren Filme vor Machismen und martialischen Körpern strotzen, wenn hier noch rabiater gewütet wird als in der Hochblüte von (damals heftig gedissten) Figuren wie Dirty Harry, dann doch in Wahrheit nur, heißt es oft, um komplett subversiv die Klischees zu enttarnen. Um die faschistische Fratze hinter manchen Heroengesichtern bloßzulegen. Und das eben ohne mit nervigen Botschaften aufgeladen zu sein.

An diesen Zugang glaube ich, ehrlich gesagt, nur noch in ausgewählten Fällen. In Wahrheit, könnte man einwerfen, sind viele der neuen Bilderstürmer unter den Actionregisseuren ebenso wie ihre Anhänger auf puren Formalismus konditioniert, schon alleine berufsmäßig durch ihre Parallelkarrieren in der Werbewirtschaft. Die emotionalen Knöpfe werden zwar, perfekt an Vorbildfilmen studiert, meist noch richtig gedrückt. Aber an einer produktiven ideologischen Zerrissenheit, die legendäre Gewaltfilmmeister wie Sam Peckinpah, Sam Fuller oder auch Seijun Suzuki auszeichnete, mangelt es völlig. Wenn im cinematografischen Hier und Jetzt getötet, gefoltet und bestraft wird, dann fast immer ungebrochen und mit maximaler Effektivität.

Savages

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Kreative Widersprüche als Markenzeichen

Einer, der den Zwiespalt mit seinen heftigen Themen immer offen in seinen Werken auslebt, ist Oliver Stone. Man kann (und sollte) dem 66-jährigen Regisseur viele Peinlichkeiten und filmische Fettnäpfchen vorwerfen, aber kreative und unaufgelöste Widersprüche gehören im besten Sinn zu seinen Markenzeichen.

Vor allem wenn sich Stone - abseits von dämlichen Verschwörungstheorien und missglückten Polit-Dramen - dezidiert der Gewalt nähert, die das Genrekino seit jeher durchwuchert, kommt dies zum Tragen. Seinen besten Arbeiten "Natural Born Killers" und "U-Turn" sieht man an, dass sie von jemandem gemacht wurden, der einerseits von der Rebellion der Sixties kiffend und philosophierend mitgerissen wurde und andererseits selber im Vietnam-Krieg war und immer schon eine Faszination für die blutige Mythenwelt der amerikanischen (Pop-)Kultur hatte.

Im Gegensatz zum schicken Vigilantenkino feiert Oliver Stone in diesen beiden Filmen die Shootouts und Metzeleien nicht mit faschistoider Strenge. Aber er verschweigt das Grauen auch nicht, zelebriert es sogar auf grellste Weise, aufgeladen mit psychologischen Beobachtungen und Brüchen. Humor ist dabei – wie übrigens auch bei den besten Actionfilmen und Blockbustern der 80er und 90er – ein Schlüsselelement.

Savages

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Blutverschmierte Sackgassen und Wendungen

Rabenschwarzer Humor gehört auch zur Grundausstattung von "Savages", Oliver Stones neuestem Film, der versucht an seine beiden erwähnten Genre-Meisterwerke anzuschließen. So wirklich gelingt das dem Regisseur mit seinem eigenwilligen Drogen-Schocker rund um zwei junge Marihuana-Großhändler (Aaron Taylor-Johnson und Taylor Kitsch) und ihre gekidnappte gemeinsame Freundin (Blake Lively) dann doch nicht. Ungleich sehenswerter als "Taken 2" und vergleichbare Action-Abstürze ist der Film aber dennoch geraten.

Während Salma Hayek als unbarmherzige Chefin eines mexikanischen Killer-Kartells doch lieber in einem Tarantino-Rodriguez-Streifen overacten würde, ist alleine Benicio Del Toro als schmieriger Halsabschneider die Eintrittskarte wert. "Savages" mag nicht die gloriose Rückkehr zum fiebrigen Oliver Stone in seiner besten Phase sein. Aber als blutverschmierter kleiner Thriller voller kalifornischer Verschwitztheit und finsterem Witz, moralischen Wendungen und kapitalistischen Sackgassen, ist er allemal einen Kinobesuch wert.

Savages

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