Erstellt am: 15. 10. 2012 - 18:59 Uhr
Blümchensex und Nervengift
von Andreas Schindler
"Zivilisation hat ihren Preis", hören wir von den unermüdlich an Ertrag- und Profitsteigerung werkenden Vertretern der Agrarindustrie. Immer mehr Menschen müssen ernährt, immer intensiver die limitierten Anbauflächen genutzt werden. Mit Hilfe moderner Techniken könne aber, so die Lobbyisten dieser Industrie, die flächendeckende Versorgung mit Lebensmitteln bewerkstelligt werden.
Also: "Sorge dich nicht. Iss!"
Freilich, ohne direkte und/oder indirekte Subventionierung und künstlich niedrig gehaltenen Energiepreisen geht das nicht. Auch der eine oder andere Kollateralschaden bleibt im Zuge der Anwendung immer abenteuerlicher anmutender Techniken nicht aus. Aber hat nicht alles seinen Preis? Sicher. Auch die Bekämpfung von Schädlingen, die eine durchaus ernstzunehmende Bedrohung für die derzeit praktizierten Anbaumethoden darstellen.
Monokulturen sind ihrer Natur nach besonders anfällig für Schädlinge aller Art. Um die Verluste in Grenzen zu halten, muss die konventionelle Landwirtschaft massiv und zyklisch auf Pestizide zurückgreifen. Ein gigantisches Geschäft, das global agierenden Konzernen wie Syngenta, Bayer, BASF oder Monsanto Milliardenumsätze beschert. Dieses glänzende Geschäft wird allerdings überschattet von immer wieder auftauchenden Bedenken bezüglich der Umweltverträglichkeit dieser Gifte. Die kommen von Konsumenten- und Umweltschützern, Biologen, Medizinern, Imkern, Fischern,...
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Die Liste der Beschwerdeführer ist lang
Die Meinungsführerschaft wird über wissenschaftliche Studien ausgetragen. Die Schlachtfelder sind Gerichtshöfe, Parlamente, Medienberichterstattung. Es geht vorrangig um Zulassungsbescheinigungen (also den rechtlichen Rahmen, in denen sich die Agro-Chemie bewegen darf), aber auch um die Meinung der Öffentlichkeit. Diese steht der Agrarindustrie heute entweder gleichgültig oder - angestachelt von diversen Mahnern - misstrauisch gegenüber.
Viele echte Fans haben die selbsternannten Welternährer derzeit nicht. Man nimmt sie hin. Als Teil einer arbeitsteiligen, von Urbanität geprägten Moderne, in der sich nicht jeder um alles kümmern mag und kann. Schon gar nicht um die wenig prestigeträchtige Primärproduktion von Silomais oder Sonnenblumenöl. Das hat auf den ersten Blick wenig mit uns zu tun, das rührt nicht an. Bilder von massenhaft krepierenden Bienen schon eher.
Die Bienen sterben!? Ausgerechnet die Bienen? Ja.
Was mit Maja und Willi los ist? Nach der Darstellung im aktuellen Kinodokumentarfilm "More Than Honey" bald nicht mehr viel. Die Bienen, so erfahren wir, sterben in Massen. Wir sehen Imkern in Kalifornien und der Schweiz beim Zählen der Verluste zu. Und die sind seit Jahren enorm. In China findet der Regisseur des Films, Markus Imhoof, sogar Gegenden, in denen es überhaupt keine Bienen mehr gibt. "Zuviel Gift", hören wir und folgen der Kamera in eine groteske Szenerie, in der ChinesInnen die Bestäuberarbeit der verschwundenen Bienen übernommen haben. Aber auch auf der Alm, inmitten einer anscheinend pestizidfreien Idylle, sterben die Bienen. In atemberaubenden Nahaufnahmen.
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Aber nach der x-ten atemberaubenden Nahaufnahme will man als inzwischen angestachelter Zuschauer doch auch mal "Schuldige" präsentiert bekommen. Imhoof lässt sich Zeit mit der Anwort auf die Frage der Verantwortlichkeit, lässt lieber Bilder sprechen. Irgendwann ringt er sich zu der Aussage durch, dass das "Rätsel" des massenhaften Bienensterbens (Colony Collapse Disorder) "sehr komplex" sei. Ein Stehsatz, zumal alles Lebendige in einem unüberschaubaren und nur äußerst bedingt vorhersehbaren Wechselspiel zueinander steht.
Die Bienenvitalität sei, so der Film "More Than Honey", aus unterschiedlichen Gründen geschwächt. Genetische Selektion, Überarbeitung, (Präventiv-)Medikamentierung, Mangelernährung, Befall durch Varroamilben und andere Parasiten (Pilze, Bakterien) und ja, die chemische Keule trage sicher auch zum Problem bei. Jedenfalls, so hören wir Imhoof, angeblich Einstein zitierend, mahnen: "Wenn die Bienen aussterben, sterben vier Jahre später auch die Menschen aus."
Alles ist ganz, ganz schrecklich! Schon wieder.
Abgesehen davon, dass Einsteins Biographen das Zitat nicht kennen, ein möglicherweise kontraproduktiver Zugang. In dem Sinn nämlich, dass die in der Gegenwartskultur wiederholt vorgetragene Untergangsandrohung augenscheinlich eher lähmt, mut- und hilflos macht, als "wachrüttelt". Die Nachricht vom kurz bevorstehenden Kollaps motiviert offensichtlich nicht gerade dazu, aufzustehen und sich Verantwortliche vorzuknöpfen.
Der handwerklich sehr schön gestaltete Film lässt also die Gelegenheit aus, die Zuschauer am derzeitigen Stand des Wissens rund um das (so gerne "mysteriös" genannte) Phänomen des Bienenmassensterbens teilhaben zu lassen. Der Film verweist lediglich auf "zahlreiche Studien" und erzählt von der Schwierigkeit, eindeutige Ergebnisse zu bekommen, die "das Rätsel" lösen würden. Das Massensterben sei multikausal, die Bedrohung eine ernste. Kein einziges mal aber taucht ein Wort auf, das seit Jahren in allen seriösen Studien ganz zentral in Zusammenhang mit dem "Colony Collapse Disorder" in Verbindung gebracht wird: Neonicotinoide.
Neonicotinoide sind hochwirksame, systemisch wirkende Insektizide, die seit 1991 auf dem Markt sind. Verschiedene Produkte auf Neonicotinoid-Basis sind weltweit im Einsatz. Seit Jahren wissen wir, dass dieses Nervengift nicht nur "Zielorganismen" (wie beispielsweise Maiswurzelbohrer), sondern auch Bienen trifft. In welchem Ausmaß, darüber wird viel gestritten. Die Bienen sind - wie ungezählte andere Insekten - Umweltgiften mehr oder weniger schutzlos ausgesetzt. Bienen nehmen sie in Form von Pollen und Nektar auf, tragen sie in den Stock, wo sich die Gifte anreichern und schon die Brut den hochtoxischen Stoffen ausgesetzt ist.
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Neonicotinoide gelten als ganz heißer Kandidat auf den Titel "Hauptverursacher des Bienenmassensterbens"
Zumindest, und das ist hinreichend untersucht, beschleunigen und verstärken diese Stoffe das Phänomen. Wenn also die Neonicotinoide ausgemachte Protagonisten im Bienensterben-Drama sind, warum nur werden sie in dem durchwegs appellierenden Film "More Than Honey" nicht ein einziges Mal erwähnt? Darauf angesprochen, gibt der Regisseur Markus Imhoof bei einer Diskussion nach der Film-Premiere die kaum nachvollziehbare Antwort, dass das Publikum dank der breiten Berichterstattung mittlerweile über ausreichend Wissen über die (bienen-)schädigende Wirkung von Neonicotinoiden verfüge. Aha.
Umgekehrt könnte man argumentieren, dass der mangelhafte Informationsstand innerhalb der Gesellschaft überhaupt erst dazu geführt hat, dass die industrielle Landwirtschaft unsere Umwelt seit Dekaden mit Giften drangsalieren darf, über deren Wechselwirkungen und Abbauprodukte bestenfalls spekuliert werden kann.
Einmal ausgebracht verschwinden diese Stoffe nicht mehr aus der Welt. Sie sind noch viele Jahre nachweisbar, reichern sich in Organismen und Grundwasser an. Zugelassen sind sie trotzdem. Einmal auf den lukrativen Markt gebracht, sind sie nur äußerst schwer wieder loszuwerden. Unzweifelhaft geschieht dies nicht im Interesse des Gemeinwohls (es sei denn man bewertet einen kurzfristig niedrigen Schweinefleischpreis höher, als den langfristigen Verlust von Lebensraum und gesundem Wasser.)
Die Insekten brauchen dringend eine informierte Lobby
In der Insektenwelt wird seit Jahren viel gestorben, denn chemische Schädlingsbekämpfung hat in der gegenwärtigen Nahrungsmittelproduktion System. Dumm nur für Bayer und Co., dass die relativ junge Produktpalette rund um die Neonicotinoide auch unserem "drittwichtigsten Nutztier" ernsthaft zusetzt. Wer sich "drittwichtigstes Nutztier" heißen darf, hat im Unterschied zu weniger hoch angesehenen Insekten eine Lobby. Ohnehin schon sehr geschwächt durch die verheerende Verroa Milbe, Pilz- und Bakterienbefall und eine durch die Intensivlandwirtschaft geförderte einseitige Ernährung, trägt das Ausbringen von Neonicotinoiden sicher nicht zur Entspannung der Lebenssituation der Bienen bei.
Schon kleinste, kaum messbare Mengen des Nervengifts stören den Orientierungssinn der Honigbiene erheblich und schwächen zusätzlich ihr ohnedies schwer angeschlagenes Immunsystem.
Oft finden vergiftete Bienen nicht in den Stock zurück. Im Extremfall fanden Imker ihre Beuten (Bienenbehausungen) gänzlich verlassen vor. Zurück blieb nur die Königin samt Honigtracht und Brut. Traurig, sicher, aber längst nicht so mysteriös wie es die Agrarlobby gerne dargestellt wissen will. Auch die hohen Verluste nach der Winterpause werden mit dem Einsatz von Insektiziden in Verbindung gebracht. Ein Viertel der österreichischen Bienen hat den letzten Winter nicht überlebt, Verluste von 10 bis15 Prozent gelten als normal.
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Geht’s der (Land-)Wirtschaft gut, geht’s der (Land-)Wirtschaft gut
In etwa 120 Ländern sind Neonicotinoide als Boden-Insektizide, Saat-Beize oder Blatt-Spritzmittel gegen Schädlinge von mehr als 140 Nutzpflanzen zugelassen. Österreich gehört dazu. Mais, Sonnenblumen, Erdäpfel, Raps, Zuckerrüben, Kernobst... das Nervengift kommt hierzulande (vermeintlich bienenschonend) vor allem als Beizmittel für die Maissaat zum Einsatz. "Zielorganismus" ist ein garstiger Schädling namens Maiswurzelbohrer. Da in weiten Teilen Österreichs konsequent auf Fruchtfolge im Ackerbau verzichtet wird, muss das Mais-Saatgut mit Neonicotinoiden "gebeizt" werden. Würde man die durch und durch vernünftige Praxis der Fruchtfolge (wieder-)einführen, hätte der Maiswurzelbohrer weit weniger Chancen. Aber viele österreichische Bauern wollen jedes Jahr Mais ernten (vor allem für die Schweinemast) und sehen sich daher gezwungen, fortlaufend mit hochwirksamen Nervengiften zu hantieren.
Wie stehen die heimischen Imker zu dieser Praxis, die nach schweren Bienenverlusten in Frankreich, Deutschland und Italien wieder unterbunden wurde?
Das großangelegte Projekt "Melissa" (der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) hat drei Jahre lang tote Bienen untersucht. Dabei wurde auch der Frage nachgegangen, wie sich "Maisschutzmittel" auf die Bienengesundheit auswirken. Die Antwort der Autoren fällt salomonisch aus: Die "Melissa"-Studie zeige zwar, dass vor allem in Mais- und (Öl-)Kürbisanbaugebieten schwere Bienenschäden zu verzeichnen sind, "das Problem der Wirkstoffabdrift konnte (jedoch) noch nicht zufriedenstellend geklärt werden."
Im Zweifel für den Angeklagten?
Viele Imker sind enttäuscht. Sie fordern seit Jahren ein Totalverbot der Neonicotinoide und hatten sich von der "Melissa"-Studie Rückendeckung erwartet. Da viele heimische Landwirte aber Mais auf Mais auf Mais anbauen wollen, lehnen sie ein Verbot mit Hinweis auf den Maiswurzelbohrer (bzw. ihre Schweine) vehement ab. Die politische Kraft, die sie dabei unterstützt, ist die ÖVP, die sich gegen ein Verbot ausspricht (derzeit beschäftigt sich ein parlamentarischer Unterausschuss mit den Neonicotinoiden).
Es geht nicht nur um Bienen
Vielmehr steht deren Massensterben exemplarisch und symptomatisch für nicht beabsichtigte Schäden durch unzureichend untersuchte, aber dennoch zugelassene, chemische Produkte. So gesehen erfüllen die braven Bienen selbst noch im Sterben eine wichtige Aufgabe: Sie lenken unseren Blick auf eine mehr als fragwürdige Zulassungspraxis, die einen wahrlich hohen, nicht abschätzbaren Preis fordert.