Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "EU-Millionen für Überwachungsforschung"

Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

15. 10. 2012 - 15:30

EU-Millionen für Überwachungsforschung

CleanIT und INDECT sind nur die Spitze des Eisbergs. Die EU-Kommission fördert noch mindestens fünf weitere gleichartige Überwachungsprojekte mit 37 Millionen Euro.

Seit dem Leak der als "vertraulich" gekennzeichneten "Detaillierten Empfehlungen" des CleanIT-Überwachungsprojekts Ende September vollzieht sich ein schon vom INDECT-Projekt bekanntes Ritual. Seitens der Projektleitung wird den Medien gegenüber zurückgerudert und erklärt, dass es sich ja bloß um Forschung handle und keinesfalls um reale Projekte, die auch umgesetzt würden. Die Kommission wiederum betont, dass für den Inhalt die Projektleitung und nicht die Kommission verantwortlich sei.

Was Kommissarin Cecilia Malmström, in deren Zuständigkeit CleanItT, INDECT und eine ganze Serie weiterer, zum Verwechseln ähnlicher Forschungsprojekte im Rahmen des "FP7 - Security"-Programms fallen, verschweigt: Komissionsbeamte ihres Ressorts haben diese Projekte geprüft, für förderungswürdig befunden und mit europäischen Steuergeldern für Forschung finanziert.

Seit Juli 2012 ist auch Österreich am CleanIT-Projekt beteiligt, kostenlos. "Auch für die CleanIT-Konferenz Anfang November in Wien fallen für das österreichische Innenministerium keine Kosten an. Die Konferenz werde vollständig aus den Projektmitteln finanziert", hieß es aus dem Innenministerium auf Anfrage von ORF.at.

So wurde mit CleanIT ein Projekt als förderungswürdig erkannt, das die vollständige Filterung des Internetverkehrs nach chinesischem Muster vorraussetzt. Bei INDECT wiederum wurde ein Polizeisystem zur vollständigen Überwachung urbaner Räume nach dem Muster einer militärischen Gefechtsfeldzentrale als der forschungswürdig befunden.

Solch umfassende "Command-Control"-Verbundsysteme aus Sensoren von Infrarot über HD-Video bis Audio, samt Modulen zur Gesichtserkennung und zugehörigen Datenbanken, sowie Aufklärungsdrohnen werden bis jetzt nur in Kriegsgebieten oder rund um Hochsicherheitstrakte eingesetzt.

CleanIT, INDECT

Um zu erforschen, wie ein solches Militärsstem für den zivilen, urbanen Raum zu modifizieren ist, hat die Kommission 10,5 Millionen Euro an EU-Steuergeldern für INDECT ausgegeben. Dazu kommen weitere vier Millionen aus nationalen Steuertöpfen zur Forschungsförderung, die von den beteiligten Institutionen aufgebracht werden.

Im Fall von CleanIT waren es zwar lediglich 400.000 Euro aus einem anderen Fördertopf, das Zwischenergebnis nach neun Monaten rechtfertig nicht einmal diese Summe. Es ist ein Sammelsurium von Überwachungswünschen bar jeglicher Methodik, als "vertraulich, nicht publizieren" wurde es wohl auch wegen des konfusen Inhalts markiert.

3,5 Mio für "smarte Überwachung"

INDECT und CleanIT aber sind nur die Spitze des Eisbergs. Denn tatsächlich gibt das Ressort Cecilia Malmströms im Rahmen des FP7-Programms ein Vielfaches für die Erforschung von Überwachungssystemen aus.

Die letzten wirklichen Nachrichten von INDECT gab es Mitte April 2012. Nach den wilden Protesten gegen INDECT in zahlreichen Städten Polens verkündete das stark an INDECT beteiligte polnischen Innenministerium den Ausstieg. Doch das war offensichtlich nur ein politisches Manöver, das Projekt geht bis zum Ende seiner Laufzeit weiter.

Das Anfang Juni 2011 gestartete Projekt SMART - "Smarte Überwachungssysteme, Datenschutz, Integrität und Informationsaustausch" - wurde mit 3,5 Mio Euro an EU-Steuergeldern finanziert. Weitere 700.000 bringen die Beteiligten aus nationalen Forschungstöpfen mit.

Warum hier Datenschutz und Privatsphäre thematisiert werden? Wie bei INDECT wird behauptet, dass die bereits bestehende, teils umfassende Kameraüberwachung der urbanen Räume durch digitale Aufrüstung nun endlich datenschutzkonform gestaltet werde.

Gesichtserkennung für mehr Datenschutz

Warum? Weil die Abgefilmten nicht mehr von Beamten beobachtet würden, sondern von Algorithmen, die nur bei gefährlichen Situationen Alarm schlügen.

Nicht erwähnt wird, dass über diese Algorithmen Module zur biometrischen Gesichtserkennung angesteuert werden und dass ein Datenbankverbund permanent alle Daten abgleicht, aus anderen Quellen ergänzt und dauerhaft abѕpeichert. Die Alarmfunktion wiederum kann auf jedes beliebige Verhalten, das als "abweichend" definiert wurde, programmiert werden.

Genau diese Funktionen aber sind das zentrale - und teuerste - Element von INDECT, hier wird also doppelt gefördert. Doch das ist längst nicht die einzige Parallelaktion.

Command & Control

Das im April 2011 gestartete Projekt MOSAIC - "multimodale Datenerfassung und -analyse von Videos und Textkollateralien," sowie "automatisierte Erfassung und Zuordnung samt Geolokation". Auch das wird bereits im Rahmen von INDECT erforscht.

Die dabei verwendeten Begriffe "Situation Awarenesѕ" und "data intelligence" sind rein militärische Termini, wie auch das Set-Up kein ziviles ist. Hier haben wir vielmehr die wichtigsten Elemente des nächsten, von der Polizei betriebenen "Command & Control"-Systems für die Zivilgesellschaft nach INDECT. Kosten: 2,7 Millionen Euro EU-Steuergelder für Forschungszwecke, 900.000 kommen dazu aus nationalen Steuertöpfen.

"Verdächtig weil abnorm"

Derlei Videoauswertung wurde bereits im Projekt SAMURAI zwischen 2008 und 2011 erforscht: "Beobachtung von verdächtigem und abnormalem Verhalten mittels eines Netzwerkes aus Kameras und Sensoren" zur Verbesserung der "Situation Awareness". Kostenpunkt: 2,5 Mio EU-Steuergelder , 1,2 Mio aus aus nationalen Fonds Forschungsförderung.

Aktuell erforscht man nun nochmal dasselbe, jetzt im Rahmen des Programms ADABTS "Automatisches Erkennen von abnormem Verhalten und Bedrohungen, in stark frequentierten öffentlichen Plätzen", Kosten: 3,2 Mio EU-Euro, 1,7 Mio national.

"Proaktive Rundumüberwachung"

Im Rahmen von ARENA wiederum wird eine "Architektur zur Gefahrenerkennung für mobile Assets mit Netzwerkenmultipler leistbarer Sensoren". Auch sonst ist bei diesem "flexiblen System" das Übliche enthalten, nämlich "proaktive Rundumüberwachung" und "Situation Awareness". Kostenpunkt: 3,2 Mio EU-Euro, 1,7 Millionen nationaler Steuergelder.

Doch das ist nur der Auftakt, denn für das IMSK-Projekt sind von 2009-2013 14,9 Millionen Euro an EU-Forschungsgeldern plus 8,6 Mio national budgetiert. Der Inhalt des "Integrierten Mobilen Sicherheitskits": "Kombinierte Technologien für weiträumige Überwachung... mit Sensoren für Radar, Infrarot, Vibrationen und Geräusche..., die über ein sicheres Kommunikationsmodul Daten an ein Command-Control-Center liefern".

Unaufdringliche Nacktscanner

Die Einsatzmöglickeiten: "Ѕchutz von VIPs, an Checkpoints, in Hotels und Sportarenen". Zur Verbesserung der "Situation Awareness" überwacht werden können "Güter, Fahrzeuge und Personen" wobei "die persönliche Integrität" der Letztgenannten zum Beispiel durch den Einsatz "nicht-aufdringlicher Methoden wie Terahertz-Sensoren" garantiert werde.

Auf "Terahertz-Sensoren" basiert die Technologie von Nacktscannern, deren Einsatz der "perönlichen Integrität" natürlich weniger abträglich ist, als es etwa die manuelle, amtliche Inspektion des Körpers und seiner Öffnungen wäre.

Zwischenbilanz: 54 Millionen Euro

Denn so wird durchgängig "argumentiert". Die automatische Verarbeitung von Überwachungsvideos samt Auswertung und Zuordung durch Biometriemodule, das Anreichern und dauerhafte Speichern des mittlerweile personbezogenen Datensatzes in einem neuen Datenbankverbund wird allen Ernstes als Verbesserung des Datenschutzes bezeichnet. Es sehen ja nur Algorithmen zu

Gesamtkosten allein für diese sechs genannten Projekte, die sich inhaltlich in weiten Teilen überschneiden bzw. fast identisch sind: 37,3 Mio EU-Steuergelder, 16,6 Mio national, also bis jetzt rund 54 als Forschungsgelder deklarierte Millionen insgesamt.

Ausblick

Wieviele weitere, derartige Projekte aus dem Ressort von EU-Kommissarin Cecilia Malmström mit welchen Summen noch gefördert werden, wird im Folgeartikel erörtert. Ebenso: Wer die jeweiligen Projekte vorantreibt, wer noch dahintersteckt und welche österreichischen Institutionen und Firmen beteiligt sind.