Erstellt am: 15. 10. 2012 - 11:57 Uhr
Schreibt kaputt, was euch kaputt macht
Zu Beginn: Deutschland - ein Wintermärchen, ein böses, kaltes. Türme ragen in die Nacht, der Autor ringt nach Worten, lässt Sätze im dreifachen "wie wie wie-" ins Bodenlose stürzen. Später dann schiebt sich der Koloss Johann Holtrop in den Röntgenblick des studierten Mediziners Goetz. Der Mann ist ein Manager-Monster, der im Gegenüber immer nur ein Instrument für den eigenen Vorteil sehen kann. Umso entschiedener fällt die Verdammung dieser Kaputtheit aus.
Johann Holtrop stürzt uns aus dem Rausch der Macherjahre in die furiose Dunkelheit einer sich beschleunigenden Krise, aber der Weg dorthin erscheint in wütend-heller Klarheit. Was im Licht erscheint, ist ein Negativbild der Gesellschaft. Keine Liebe, kein Mitgefühl, stattdessen Gier und Ellbogen, überall und immerfort. Das ist schon mehr Urteil über die Wirklichkeit als der Versuch, ihr kritisierend, also unterscheidend, beizukommen.
Suhrkamp Verlag
Goetz geht es daher auch weniger um die Figur aus Fleisch und Blut und Widersprüchen, als um das System Johann Holtrop und seine Art, Entscheidungen zu fällen, Macht zu mehren und Abhängigkeiten zu verwalten. Goetz war ja schon früh ein Fan der Coolness der Luhmann´schen Systemtheorie und der darin verschanzten Idee der Autopoiesis - in diesem literarisierten Fall geht es um die sich permanent kommunikativ selbstbestätigende Selbsterzeugung des unternehmerischen Personals, seiner Handlungen und seiner Denkweisen. Im Unterschied zu Luhmann hält aber Goetz mit einer Haltung nicht hinter dem Berg. Man könnte auch sagen: Hier schreibt einer aus Notwehr voller Verachtung über ein Netzwerk der Verachtung.
Zugleich ist Johann Holtrop aber auch ein Roman, noch dazu ein geradezu rührend brav erzählter, mit linearer Zeitachse, immer auf den Fersen der Entwicklung einer einzigen Hauptperson. Das ist für Goetz durchaus erstaunlich. Denn der Roman ist tot. Das sagen viele, und das sagt auch Goetz immer wieder. "Abriss der Gesellschaft" nennt Goetz seinen Versuch über einen angeblich stark an der Wirklichkeit angelehnten Wirtschaftskapitän, und in dieser Anmaßung ist er wieder ganz der alte Popautor des Mehr, Mehr, Mehr und Weiter, Weiter, Weiter. Auf der Rückseite des blitzblauen Buchs blitzt, wie eine gute Pointe, ein einziges Mal sein in den Tagebüchern sonst sich mit solcher Dringlichkeit zu Wort meldendes Ich auf: "wütend schritt ich voran" heißt es da nach dem Ende eines Buchs, dass vom Taumel eines "Er" handelt. Warum also ist Goetz nach seinen experimentellen, wuchtigen Prosa meets Lyrik -Kleinformen, nach seinen Fotobänden, seinen atemlosen Blogeinträgen und seinen teils grandios verdichteten Erzählungen, wieder zu diesem alten Programm einer natürlich unmöglichen Totalitätserfassung zurückgekehrt? Vielleicht ist es die (schon von Balzac oder Flaubert in moderner Form durchexerzierte) und hier ins Zentrum gerückte Idee einer Zeitchronik anhand einer Erzählung über Hybris und Fall eines Tatmenschen, die nach der großen, alten und geschlossenen Form Roman giert.
Man hat dem Roman eine blasse Figurenzeichnung und sogar ein Desinteresse an der psychologischen Feinjustierung vorgeworfen. Da wäre was dran, wenn es Goetz in dieser Form darum ginge. Goetz schreibt aber voller Ernst und Zorn über den Aberwitz einer systemischen Deformiertheit des Gesellschaftlichen. Das ist ein nüchternes, oft ernüchterndes Geschäft, das ist aber zugleich seine Freiheit.
Die Frau des verirrten Geschosses Johann Holtrop zum Beispiel spielt fast 300 Seiten lang nicht einmal die Rolle der ins Heim verbannten schlechteren Hälfte. Erst dann erfährt man, dass Pia Holtrop, nach außen hin rollenkonform Industriellengattin und Mutter von vier Kindern, ausgerechnet über Balzac ihre Magisterarbeit geschrieben hatte und auch dadurch zu etwas wurde, von dem es in diesem Buch der Beschädigungen nicht zu erzählen lohnt: "ein völlig unabhängiger Mensch". Mehr ist dazu nicht zu sagen, deshalb: Schluss damit, back to Johann Holtrop´s world.
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Die Methode Goetz klingt einfach: genau hinsehen. Alles ist immer schon da. Alles ist sichtbar, es muss nur einer benennen. Wie verhandeln Machtmenschen? Wie lässt sich die Architektur einer Vorstandssitzung begreifen? Wie verändert sich innerhalb von Sekunden der egomanische Blick auf eine Geschäftslage oder eine menschliche Situation? Wie zeigt sich ganz konkret das Losertum? Goetz schreibt zum Beispiel:
Anschließend folgte ein Gespräch über Kaffeemaschinenkaffee... (…) Im richtigen Moment konnte die deprimierende Abgedroschenheit des auf diese Weise Dahergeredeten deshalb Wohlbefinden, ein Gefühl von Gefahrlosigkeit, Vertrautem und Vertrauen in gesellschaftliches Gehaltensein hervorrufen, im falschen Moment Abscheu, Ekel, Hass auf die Demenz der Normalität. Thewe war nicht extrem unnormal, aber sozial doch so weit behindert, dass er sich nicht immer an den üblichen Sozialisierungsritualen beteiligen konnte. Über das Ausmaß der eigenen Gestörtheit lebt der Mensch normalerweise stark im Dunklen.
Goetz findet für diese Gestörtheit auch herrlich wissenschaftsverballhornte Begriffe wie "präzististisch" oder "Schröderianismus". Zumeist ist er aber bloß präzise und beobachtet Menschen wie (und um) den deutschen Ex-Kanzler.
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Umgekehrt begreift sich der Wirtschaftsführer Holtrop frei nach dem Wirtschaftsliberalen-Guru Joseph Schumpeter und dem Dadaismus als Gott der schöpferischen Zerstörung. Als Künstler, der eher zufällig in der banalen Wirtschaft gelandet ist, die ihn sofort anödet, wenn er nicht angehimmelt oder mit Geld narkotisiert wird. Erheiternd auch das Bestemm, mit dem die Ellbogenmenschen ihre eigene Rücksichtslosigkeit und die Tatsache, dass sie ob ihrer Finanzkraft überall hofiert werden, als Nachweis ihrer Befähigung zu Höheren interpretieren: Weniger Steuern und spontane Entlassungen gelten dann beim lautem Plappern als die angemessene Ethik der "cutting edge"-Wirtschaftsphilosophen made in germany.
Die wohl größte Stärke von Johann Holtrop liegt in der genauen Ausleuchtung dieser - vielleicht überstrapazierten, aber gleichwohl vorhandenen Déformation professionelle. Nach einem dystopischen Auftakt und einigen Verzettelungen nimmt der Roman ab der Hälfte des Romans auch merklich an Fahrt auf. In der insistierenden Beharrlichkeit formiert sich dann das, was deutsche Maler in den 1960er Jahren einmal kapitalistischen Realismus genannt haben. Er beginnt , wo Don DeLillos "Cosmopolis" endet - jenseits der einsamen Finanzmeditationen in schalldichten Stretch Limos: dort, wo geredet und gehandelt wird.