Erstellt am: 14. 10. 2012 - 15:00 Uhr
Reisen mit Greisen (Schlechte Geschenke)
marc carnal
Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.
Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesenen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.
Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.
Termine
marc carnal
Sie hören die Glocken der Pfarrkirche Altlengbach.
Zumindest, wenn Sie in Altlengbach wohnen und dort gerade die Glocken der Pfarrkirche läuten. Jetzt habe ich mir also meinen alten Traum erfüllt, einen Text mit diesem Satz zu beginnen und stehe nun vor der Herausforderung, zum Thema Geburtstagsgeschenke überzuleiten. Diese nehme ich allerdings nicht an und setze einfach mit der Vermutung fort, dass sich Bettina wohl kaum über die Kleinigkeit freuen wird, die ihr der Autor obiger Liste zu überreichen gedenkt. Kleinigkeiten, noch dazu von Hofer, schenkt man keinen lieben Freunden, sondern lästigen Bekannten.
Weil ich es mir nicht mit der absoluten Mehrheit der Leserchen verscherzen will, schreibe ich jetzt natürlich nicht, dass ich es insgeheim egozentrisch und lächerlich finde, den eigenen Geburtstag zu feiern. Nein nein, ist ja eh schön, hoch soll er leben, Marmelade im Schuh, Aprikose in der Hose, dreimal so hoch.
Wenn sich die Geburtstagsfeierlaune wenigstens auf den sogenannten kleinen Kreis beschränken würde! Doch ständig sind irgendwelche Schießbudenfiguren in Sektlaune. Wer bei drei keine passende Ausrede hat, muss dann eben Kleinigkeiten besorgen. Aus diesem Dilemma hat sich die Geschenkartikelindustrie in Form von Setzkästchen, Humor-Geschirr, astrologische Scherzbüchlein oder Katzenkalendern entwickelt. Faszinierend, wie gut sich Produkte verkaufen, die garantiert niemanden erfreuen.
Wenn schon schlecht schenken, dann richtig!
Mit meinem lieben Freund Hurej pflege ich die Tradition, ihm jährlich einen Oktobertag zu vergällen, indem ich ihm etwas zum Geburtstag schenke, was ihm garantiert missfällt. Vor drei Jahren trieb ich es besonders arg und buchte bei einem kleinen Wiener Busunternehmen eine so genannte Kabarett-Reise. Ich möchte, wenn Sie erlauben, davon berichten.
Erlebnisaufsatz
An einem herbstlichen Vormittag fand ich mich mit dem armen Hurej und erlesenen Freunden an einer Haltestelle am Stadtrand von Wien ein, um die Stunde bis zur Abfahrt einem Vormittagsbier zu widmen, dessen Genuss wir als nötigen Weichspüler für unsere Nervenkostüme erachteten, schließlich versprachen die folgenden Stunden schlimm zu werden.
Probleme? Hier kommt die Lesung!
Rasmus Raubaum
Donnerstag, 18. November, 20 Uhr
Konzertcafé Schmid Hansl
Wien 18, Schulgasse 31
EIER, BUTTER, Frei-BIER*
*Nachdem sich Herr Josef und ich seit diesem Sommer dem Steckenpferd des Bierbrauens widmen, gibt es das Eigenbräu in der Pause zu verkosten.
Überpünktlich fand sich eine geriatrisch verwachsene Seniorenschar an der Haltestelle ein. Wir wurden ignoriert - wahrscheinlich vermutete niemand, dass wir mitfahren würden. Nachdem der mondäne Bus gehalten hatte, wies uns der Fahrer die vordersten Plätze zu, ich musste mich gar mit dem Reisebegleiter-Sitz einen halben Meter vor der Windschutzscheibe begnügen. Derart exponiert waren wir den skeptischen Blicken und dem misstrauischen Flüstern der Senioren ungeschützt ausgesetzt. Wieso um alles in der Welt macht das blühende Leben ausgerechnet mit uns einen Ausflug, mussten sich die Mitreisenden zurecht fragen.
Über den Programmablauf waren wir zuvor nicht informiert worden, wir wussten nicht einmal, wohin die Reise gehen sollte. Allerdings erwarteten wir von einer Kabarett-Busreise Kabarett. Vorerst wurde aber eisern geschwiegen. Wir fuhren nach Niederösterreich und erfreuten uns an der prächtigen Geographie. Nicht einmal ein kleines Preview oder Sneak Peak auf das erhoffte Schenkelklopfen bot uns der schweigsame Fahrer. Es war bedrückend still im Bus. Wollte man Senile entführen und hatte nicht mit unserer Geistesgegenwart gerechnet?
Als kleines Bonusproblem hatte mein Körper in aller Eile das Vorbereitungsbier verarbeitet. Es fließt mir unverblümt aus der Feder: Ich musste wirklich sehr dringend auf die Toilette, die es im Bus leider nicht gab. Dass inmitten einer Pensionistenmeute aber ausgerechnet der jüngste Mitreisende den Fahrer um eine Klopause bittet, war undenkbar, diese Blasen-Blöße konnte ich mir keineswegs geben.
So harrte ich diszipliniert aus, bis wir nach über zweistündiger Fahrt endlich einen Landgasthof erreichten. Dort warteten wir auf das ersehnte Kabarett. Nichts passierte. Trotzdem waren wir noch wohlgelaunt. Eine verhärmte Servierkraft zwang uns, ein Menü zu wählen. Wir wählten.
Spätestens jetzt war uns klar, dass die Senioren-Entführung unter dem Humor-Deckmantel eigentlich nur dazu diente, mundtote Kundschaft in ein marodes Gasthaus zu karren.
Nach einer weiteren halben Stunde gegenseitigen Anstarrens bekamen die Greise und wir das Essen. Meine Knödel waren in der Mitte noch tiefgefroren. Hurejs Geburtstagsrunde ließ sich geschlossen zu der Feststellung hinreißen, noch niemals derartig schlecht gegessen zu haben.
Als Entschädigung gab es grotesk große Tortenstücke, welche sich die Omis aus Geilheit und wir aus Langeweile in die Schlünde schoben. Kleine Omis mit riesigen Torten - lustig. Aber wir waren doch auf einer Kabarett-Reise! Wo blieben die wirklichen Gags?
Teile der ehemals heiter gestimmten Reisegruppe begannen, sich die Zeit mit Geschicklichkeitsspielen auf ihren Mobiltelefonen zu vertreiben. Insgesamt wurde die Stimmung im Saal aber zusehends besser, da jene Teilnehmer, denen das Trinken ärztlich noch nicht untersagt worden war, dies auch machten.
Dann endlich betrat der Besitzer des Busunternehmens persönlich eine kleine Bühne, um in den nächsten zwei Stunden für den "Höhepunkt" des Tages zu sorgen. Der Freizeit-Kabarettist versuchte in einem schier endlosen Vortrag vergeblich, irgendjemanden zum Lachen zu bringen.
Verhärmte Greise starrten auf einen vom ausführlichen Bierkonsum geschnitzten Herrn in einem Anzug, der auf keinen Fall jemals in Mode war. Für Erheiterung wollte der katastrophale Rhetoriker beispielsweise mit Militärgedichten aus dem neunzehnten Jahrhundert oder einer zwölfstufigen Klassifizierunghilfe für Busengrößen sorgen. Kaum jemand schmunzelte, insgesamt wurde vielleicht dreimal gelacht, und auch das nur, weil es sonst nichts zu tun gab.
Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Irgendwann war es endlich vorbei.
Das letzte Bild, das ich meinem Gedächtnis entlocken kann, ist ein vor Windeln überquellender Mülleimer auf der Toilette. Vor Lachen hatte sich aber bestimmt niemand angepisst.
Wir stiegen dann wieder in den Bus und fuhren nach Hause.
Die Kabarettreise war das schlimmste Präsent, mit dem ich Freund Hurejs bis dato getriezt habe. Man möge mein absichtlich schlechtes Schenken aber nicht als reine Gemeinheit missinterpretieren!
Hätte ich dem treuen Wegbegleiter irgendein gutes Buch überreicht, stünde es heute wohl ungelesen und verstaubt in einem Regal. Die traumatisierende Erinnerung an unseren humoristischen Horror-Trip wird dagegen niemals verstauben, sondern ihn Zeit seines Lebens an seine Liebsten zurückdenken lassen, die ihm an diesem harten Tag treu zur Seite standen. Wenn Hurej dereinst zur Busreisen-Zielgruppe gehört, wird er beseelt an seine treuen Wegbegleiter denken und sich sagen: Ich war eben keiner, dem man eine Kleinigkeit mitbringt.