Erstellt am: 12. 10. 2012 - 12:00 Uhr
Lupenreine Demokratie auf ukrainisch
Vitali Klitschko blickt ernst, fast böse auf seinen Wahlplakaten, Neopolitiker und Ex-Fußball Andrij Schewtschenko ringt sich ein Lächeln ab, Präsident Viktor Janukowitsch versucht, auf staatsmännisch zu machen – Plakate und Parteizelte wohin das Auge blickt, der Wahlkampf in der Ukraine ist in vollem Gange. In vier Wochen wird ein neues Parlament gewählt, der Urnengang gilt hier als Lackmustest, wie ernst die herrschende Machtelite unter Präsident Viktor Janukowitsch es in Sachen Demokratie nimmt.
Doch die Entwicklungen der vergangenen Monate zeigen, dass das Demokratieverständnis der regierenden Partei der Regionen alles andere als stark ausgeprägt ist. Viele Oppositionspolitiker wie die frühere Premierministerin Julia Timoschenko oder der frühere Innenminister Juri Luzenko sitzen immer noch unter teils fadenscheinigen Vorwürfen in Haft und sind von den Wahlen ausgeschlossen. Die internationale Entrüstung darüber ist seit dem Ende der Europameisterschaft abgeflaut, und die Regierung nützt das Desinteresse im restlichen Europa dazu, wieder jene Zustände zu schaffen, die in der Ukraine vor der Orangen Revolution 2004 geherrscht haben. So soll in der kommenden Woche ein Verleumdungsgesetz abgesegnet werden, das de facto die Meinungsfreiheit und die Arbeit von Journalisten massiv einschränken würde.
Janukowitschs Angst vor der Wahrheit
„Sollte dieses Gesetz wirklich beschlossen werden, dann würde das die Ukraine zehn Jahre zurückwerfen. Das wäre wirklich fürchterlich“, sagt der Journalist Mustafa Nayem, einer der wenigen Investigativjournalisten des Landes, der für das Onlineportal Ukrainska Pravda unter anderem den riesigen Korruptionsskandal um das Präsidentenanwesen Meshihiria aufgedeckt hat. Das Problem sei vor allem, dass die ukrainische Justiz nicht unabhängig sei, jedes Verfahren gegen Journalisten sei politisch motiviert, und solch ein Gesetz würde der Regierung noch mehr Möglichkeiten bieten, gegen unliebsame Journalisten vorzugehen. „Wir wissen von der massiven Korruption in der Politik und dass Politiker Staatsgelder stehlen, aber wenn ich den Präsidenten in Zukunft einen Dieb nenne, kann ich dafür bis zu fünf Jahre im Gefängnis landen“, kritisiert Nayem, der zusammen mit vielen Bürgerrechtsaktivisten versucht, durch massiven Protest das Gesetz doch noch zu verhindern.
michael riedmüller
„Das Gesetz orientiert sich an Vorlagen aus Ländern wie Kirgistan oder Tadschikistan. Ich bin überzeugt, dass es durch unseren Widerstand nicht durchgehen wird“, sagt sagt Oleh Rybachuk, der zuerst Kabinettschef von Präsident Viktor Juschtschenko war und später Vizepremierminister unter Julia Timoschenko, bis er 2006 aus der Politik ausstieg und Bürgerrechtsaktivist wurde. Dabei ist dieses Gesetz nur ein Puzzlestück von systematischen Zensurbestrebungen der ukrainischen Regierung in den vergangenen Jahren. Anfang des Jahres verlor der einzige regimekritische TV-Sender TVi seine digitalen Frequenzen, um landesweit zu übertragen, und mittlerweile haben auch einige Kabelnetze den Sender aus ihrem Angebot genommen.
In den Regionen außerhalb von Kiew vervielfachten sich zudem die Fälle von Gewalt an Journalisten, die kritisch über die Regierung berichteten. „In der Ukraine herrscht eine Atmosphäre der Angst“, sagt Nayem über die aktuellen Entwicklungen. Der Fall von TVi, dem auch immer wieder Steuerverfahren angehängt werden, stehe nun als Symbol dafür, wie die Regierung versucht, kritische Stimmen mundtot zu machen. „Der Sender ist sehr klein und hätte sicher nur sehr wenig Auswirkung auf den Ausgang der Wahlen, aber Janukowitsch und seine Clique fürchten sich vor Journalisten, die die Wahrheit sagen.“
Mediale Gehirnwäsche
Auch wenn das Interesse an den Vorgängen in der Ukraine seit der EURO wieder merklich kleiner geworden ist, die Wahlen selbst werden von vielen Beobachtern verfolgt werden. Und ihr Verlauf wird in Zukunft auch Auswirkungen auf das zuletzt deutlich abgekühlte Verhältnis zwischen der EU und der Ukraine haben. Demnach versuchen die ukrainischen Spitzenpolitiker auch bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass der Urnengang am 28. Oktober fair, transparent und nach internationalen Normen abgehalten wird.
michael riedmüller
Vor einigen Monaten wurde sogar ein Gesetz verabschiedet, das Kameras in den Wahllokalen vorschreibt, um Betrug zu verhindern. Dass es wirklich zu systematischen Unregelmäßigkeiten und offenen Manipulationen kommen wird, ist daher tatsächlich unwahrscheinlich, denn nichts braucht die ukrainische Regierung derzeit weniger, als in Westeuropa als Wahlbetrüger abgestempelt zu werden. Angesichts schwindender Popularitätswerte aber steht die Machtelite vor dem Problem, wie sie ihre Macht dennoch festigen kann. Wie die Wahlen ausgehen werden, ist derzeit schwer vorauszusagen. Die regierende Partei der Regionen hat zwar in Umfragen immer noch eine Mehrheit, aber neue Parteien wie UDAR von Boxweltmeister Vitali Klitschko könnten für Überraschungen sorgen und der Opposition eine Mehrheit im Parlament beschaffen. Um eine Wahlniederlage zu verhindern, wurden daher von Regierungsseite schon im Vorfeld zu allerhand fragwürdigen Mitteln gegriffen.
Die vor wenigen Monaten beschlossene Wahlrechtsreform beispielsweise brachte eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht, die das Regierungslager begünstigt. „Die früheren Wahlen wurden auf Gangster-Weise gefälscht, das wird heute nicht mehr passieren“, sagt Oleh Rybachuk. Bei dieser Wahl, ist er überzeugt, würde es stattdessen zu „intelligenteren“ Formen der Wahlfälschung kommen, wie es Vladimir Putin in Russland vorexerziert. Derzeit seien 25.000 „Sozialarbeiter“ im ganzen Land auf Kosten des Staates im Einsatz, um Wahlpropaganda für die Regierung zu machen. Außerdem gäbe es eine Vielzahl an völlig unbekannten Parteien, die von der Regierung finanziell unterstützt werden. „Die Regierungspartei kontrolliert die Gerichte und das zentrale Wahlkomitee. Außerdem wurden alle elektronischen Massenmedien völlig monopolisiert. Es findet in großem Ausmaß Gehirnwäsche statt“, sagt Rybachuk. Tatsächlich werden alle großen Fernsehsender des Landes von Oligarchen kontrolliert, die der Regierung nahe stehen – oder sogar selbst in der Regierung sitzen. Vizepremierminister Valerij Choroschkowski ist Besitzer des größten TV-Kanals Inter, was auch erklären dürfte, warum sich in den Hauptabendnachrichten oft gleich die ersten beiden Geschichten über ihn drehen.
Achtzig Prozent der Ukrainer holen sich ihre Informationen im Fernsehen, von kritischer Berichterstattung ist dort keine Spur. „Unser Monitoring zeigt, dass 99 Prozent aller Politiker-Zitate in den Fernsehnachrichten von der Partei der Regionen oder der Regierung nahestehenden Leute kommen. Ich nenne das den ´digital gap´ zwischen dem echten und dem Fernsehleben“, sagt Mustafa Nayem.