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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

11. 10. 2012 - 17:18

"Der Sprachlose" gewinnt den Nobelpreis für Literatur

Wie sich in Frankfurt ein kleiner Verlag über den Literaturnobelpreis freut.

"Meine Geschichte beginnt im Jahr 1950. Es ist der 17. Februar, der Neujahrstag des chinesischen Kalenders. Ich habe mehr als zwei volle Jahre im Gerichtshof der Unterwelt und in den Folterkammern der Hölle verbracht. Unaussprechliche Folterstrafen jeder Couleur erlitt ich. Menschen in der Oberwelt werden sich das Ausmaß der Qualen nicht vorstellen können. Jedes Mal, wenn ich vor Gericht neu vernommen wurde, erging ich mich laut klagend in Beschwerden über die demütigenden Ungerechtigkeiten."

So beginnt der Roman "Der Überdruss" des chinesischen Schriftstellers Mo Yan. Mo wer? Genau. Nur wenige haben den 56jährigen bisher gekannt. Eigentlich heißt er Guan Moye, schreibt aber unter dem Pseudonym "Mo Yan", was so viel heißt wie "Der Sprachlose". Ein Bauernkind, das während der Kulturrevolution die Schule verließ, um in einer Fabrik zu arbeiten. Als 20-Jähriger trat er in die Volksbefreiungsarmee ein, wo er mit dem Schreiben begann. 1987 gelang ihm mit "Das rote Kornfeld"der Durchbruch, die Verfilmung gewann 1988 den Goldenen Bären bei der Berlinale.

Mo Yan

DPA/FREDRIK VON ERICHSEN

Mo Yan gewinnt den Nobelpreis für Literatur

Mo Yans Werke erscheinen übersetzt im Unionsverlag, bei Suhrkamp und bei Horlemann. Letzterer ist einer der Kleinverlage, deren unermüdliche Arbeit gar nicht hoch genug eingeschätzt werden können. Seit gut 20 Jahren übersetzt Horlemann Literatur aus Asien, Afrika und Lateinamerika. Eine Arbeit, die hauptsächlich aus Idealismus gemacht wird, und der wird bei Jürgen und Beate Horlemann großgeschrieben. Jürgen Horlemann ist vor wenigen Jahren verstorben, seine Witwe hat den Verlag zum Jahreswechsel übergeben. Dennoch ist es wohl ihr Verdienst, dass "Der Überdruss" ins Deutsche übersetzt wurde. Für einen Kleinverlag ein mutiger Schritt – handelt es sich doch um einen über 800 Seiten starken Wälzer.

Die heutige Nachricht vom Nobelpreisträger Mo Yan trifft den Kleinverlag völlig überraschend. Gerade mal drei Ausgaben von "Der Überdruss" haben sie an ihrem Ministand. Eine davon haben sie mir freundlicherweise für eine Stunde geborgt...

Der Roman handelt von der chinesischen Kulturrevolution: Ein chinesischer Großgrundbesitzer wird gefoltert. Um das zu verstehen und seine Schlüsse ziehen zu können, wird er als Esel, Stier, Schwein, Hund und als Affe wiedergeboren und zuletzt als Bub mit einem großen Kopf. Dabei erzählt er die letzten 50 Jahre der Geschichte Chinas, geht auch auf chinesische mythologische Themen wie Tierkreiszeichen ein und stellt die großen Fragen des Lebens: Was sollen wir tun? Wie sollen wir leben? Wie handeln?

Mo Yan sei jemand, der auf hohem Niveau unterhalten kann und mit Humor, Witz und Intelligenz besticht, erklärt der neue Verleger von Horlemann, Tim Voss, schwitzend, während ihm im Akkord Mikros vorgehalten werden.

Der Horlemann Verlag freut sich natürlich sehr über diesen Preis, reich werden sie dadurch nicht, denn bei ihnen gibt es das Buch nur als Hardcover. Aber er freue sich, wenn Mo Yan durch den Preis neue Leserinnen und Leser gewinnt, denn er kann das Buch von Herzen empfehlen – gerade auch jungen Erwachsenen, sagt Voss.

In diesem Sinne sollte man sich dem Sprachlosen widmen.