Erstellt am: 11. 10. 2012 - 13:02 Uhr
Livin' la vida crisis
"Und wie geht es euch mit der Krise in Österreich?" Das ist fast immer die erste Frage, die mir während meines kürzlichen Barcelona-Aufenthalts von Einheimischen gestellt wird. Eine Art verzweifelter Neugier schwingt bei den meisten im Unterton mit, denn "La crisis" ist längst zum ständigen Begleiter auf ihren persönlichen Lebenswegen geworden.
Es ist die letzte Septemberwoche, die Woche in der die konservative Regierung von Premier Mariano Rajoy ein weiteres Sparpaket schnürt, das fünfte seit Beginn des Jahres. Es sieht Steuererhöhungen und drastische Kürzungen vor allem auf dem Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsektor vor und treibt in diesen Tagen tausende wütende Spanier und Spanierinnen erneut auf die Straßen zu Massendemos – in Madrid mit teils gewalttätigen Ausschreitungen.
- 11.10.2012, Connected (15-19 Uhr)
Die Situation junger Spanier und Spanierinnen
Auch in Barcelona wird demonstriert, obwohl ich vor Ort ehrlich gesagt wenig davon mit bekomme. Was ich mit bekomme, ist die Frustration, die Ratlosigkeit, die Angst vor dem Ungewissen, die mir in Gesprächen mit jungen Spanierinnen und Spaniern entgegen schlägt. Eigentlich wenig überraschend, angesichts einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von fast 50 Prozent – und trotzdem wird mir erst im Zuge der vielen Schilderungen so richtig bewusst, wie sehr jede/r in irgendeiner Form betroffen ist. "Mein Arbeitsalltag ist die Krise", meint die arbeitslose Ana. "Die Krise ist schon fast eine Ausrede für alles geworden", beschreibt die Grafikdesignerin Fatima den Zustand ihres Landes, in dessen Sprache das überdimensionale C-Wort mittlerweile tatsächlich als Hülse für alles Schlechte herzuhalten scheint.
Nina Hochrainer
Es sind Anfangs- bis Mittdreißiger, die sich trotz abgeschlossener Ausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung um ihre Existenzsicherung sorgen. Wie die selbständige Visagistin Lola, die in Werbung und Film gut beschäftigt war, und jetzt von Woche zu Woche nicht weiß, ob ein Auftrag reinkommt und wie sie sich über Wasser halten kann. Oder Esteban, der eigentlich Handwerker ist und jetzt als Sicherheitsmann in Zügen arbeitet und, wie alle meine Gesprächspartner, in die Stadt gezogen ist, weil am Land die Jobs noch rarer gesät sind. Andere wiederum stehen besser da. Webdeveloper Carlos zum Beispiel, der bei einem multinationalen Konzern arbeitet und sich dort erstmal abgesichert fühlt, oder die Künstlerin Cala, die erst im prekären Vorjahr ein Stipendium vom Staat bekommen hat.
Balcon
Von der Regierung fühlt sich trotzdem niemand repräsentiert, man würde sich weniger Korruption, weniger Geldverschwendung an den falschen Stellen erwarten, stattdessen mehr Investitionen in die Menschen, die Bildung, die Forschung. Wie das gehen soll? "Wenn ich das wüsste, wäre ich selbst Politiker geworden", bekomme ich mehr als einmal zu hören. Vor allem das von Premier Rajoy nach den Protesten dieser Tage ausgesprochene Lob an die Mehrheit der Spanier die ja nicht demonstrieren und die Kürzungen ohne Klagen akzeptieren würden, ruft bei meinen Gesprächspartnern Wut hervor. Sie alle waren zumindest bei den Vorjahrs-Demos im Zuge des Movimiento 15-M (Bewegung 15. Mai), suchen aber nun nach effizienteren Wegen, um Dinge zu ändern. "Wir müssen uns anders organisieren, nicht alle Menschen wollen ihre Wut auf die Straßen tragen", meint Spanischlehrer Daniel.
Nina Hochrainer
Meine Frage nach Zukunftsperspektiven quittiert Lola mit einem müden, ironischen Lächeln. "Ins Ausland gehen" – so wie es viele Landsmänner- und –frauen in den letzten Jahren schon vorgemacht haben, lautet fast unisono die Antwort. "Ich möchte nicht weg, aber vielleicht muss ich", meint Daniel resigniert. Auswandern also als ungeliebte, wenn auch aussichtsreichste Alternative. Dem drohenden Brain Drain in Spanien setzt schließlich Cala ihren vehementen, vielleicht auch mentalitätsbedingten Zweckoptimismus entgegen: "Ich will die Zukunft nicht schwarz sehen. Optimistisch zu bleiben ist fundamental. Denken wir einfach es wird alles gut ausgehen."
Persönlichen Krisen in der Krise
Sieben kurze Porträts von Menschen Anfang Dreißig in Barcelona: Klar ist das kein repräsentativer Schnitt, und klar würde sich in einigen der erwähnten Berufsgruppen die Jobsuche auch hierzulande schwierig gestalten. Es ist ein Versuch, die derzeitige Situation ausschnittsweise zu skizzieren und Einblicke in die "persönlichen Krisen in der Krise" zu bekommen.