Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Auf der Suche nach dem verlorenen Leben"

Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

6. 10. 2012 - 14:41

Auf der Suche nach dem verlorenen Leben

Sich verweigern, ausklinken, abhauen: Die Dokumentation "Speed" und die Literaturverfilmung "On The Road" erzählen von höchst unterschiedlichen Aussteigermodellen.

Schon wieder kommt die verdammte U-Bahn zu spät. Schnell noch mal am Bahnsteig die Mails am Handy checken. Facebook auch überfliegen. Doch lieber ein Taxi nehmen. In die Arbeit rasen. Dort dann Mails beantworten. Während sich unerbittlich weitere Deadlines häufen und die Uhr tickt.

Es wäre wohl mein absoluter, blanker Horror, wenn jemand mit versteckter Kamera meinen Alltag filmen würde. Schließlich muss ich mich als jemand outen, der sein Zeitmanagement so wenig im Griff hat wie den vernünftigen Umgang mit digitalen Technologien. Auch wenn ich in der tollen Position bin, meinen Lieblingsjob zu machen, Abgabeterminen nähere ich mich dahintrödelnd wie noch zu Schulzeiten. Nur um im letzten Moment in schweißtreibende Panik zu geraten. Das Internet wiederum ist Hassobjekt, Suchtmittel und massiver Ablenkungsfaktor in einem für meine Wenigkeit.

Das alles, da hat der Regisseur Florian Opitz natürlich recht, tut weder dem Magen noch der Seele oder gar den sozialen Beziehungen gut. Der deutsche Dokumentarfilmer hat über ähnliche Szenen aus seinem Leben einen Streifen gedreht. "Speed - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" nennt Opitz seine Reflexion über den ganz normalen Wahnsinn im Hier und Jetzt.

Speed: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Polyfilm

Indiepopversion von Michael Moore

Ausgehend von seinen gehetzten Tagesabläufen als Journalist, Regisseur und junger Familienvater beginnt sich Florian Opitz ("Der große Ausverkauf") für gesellschaftliche Zusammenhänge zu interessieren. Laufen wir alle im Hamsterrad der digitalen Welt dem Burnout entgegen? Bringt uns die künstlich geschaffene Atemlosigkeit ins Grab? Wer gibt überhaupt das generelle Tempo im Westen vor?

Opitz interviewt Zeitforscher und Soziologen, Börsenspezialisten und Mediziner. Wer sich eine beinharte und nüchterne Gegenwartsanalyse erwartet, wie sie beispielsweise oft mit österreichischen Dokus assoziert wird, ist bei dem saarländischen Regisseur fehl am Platz. Sein Film gibt sich bisweilen niedlich und boboesk, wie eine verschmitzte Indiepopversion von Michael Moore oder ein maßgeschneidertes Werk für LeserInnen des "Neon" Magazins.

Weitere Filmrezensionen

Es gibt aber auch etliche gute, weil beklemmende Stellen in dem Streifen und die erzählen vom Rasanzdiktat des Powerkapitalismus und der hyperbeschleunigten Ökomomie, vom Takt der Maschinen und jenen, die sie programmieren. Die naivsten Momente berichten dann von Aussteigern und Gegenmodellen - ganz nach der Motto: auf der Alm, da gibts kan Stress, zumindest für finanziell gesettelte Spitzenmanager, die aus dem Irrsinn flüchten.

Abgeklärte und Zyniker werden viele der Luxusprobleme in "Speed - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" belächeln. Nur um dann schnell selber eine Statusmeldung ins Handy zu tippen. Und eine Magentablette zu schlucken.

Speed: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Polyfilm

Die Bibel der Vagabunden

Zynische Zeitgenossen dürften wohl auch über "On The Road" abfällig grinsen, diese geballte Ansammlung schwärmerischer jugendlicher Emotionen und kitschverdächtiger Euphoriemomente, die ebenfalls dieser Tage im Kino anläuft.

Wobei die Verfilmung von Jack Kerouacs gleichnamigem Roman, zu deutsch "Unterwegs", bislang eher grimmige Verrisse als Schmunzeln erntete. Kein Wunder, beeinflusste das 1957 veröffentlichte Werk doch unzählige Menschen auf intensive Weise, auch Legionen von Rockstars, Schauspielern und Regisseuren zählen "On The Road" zu ihren Lebensbüchern.

Trotzdem oder gerade deswegen dauerte es viele Jahrzehnte, bis die Bibel aller jugendlichen Außenseiter, Aussteiger und vagabundierenden Ur-Hipster nun die Kinoleinwand erreicht. Etliche Produktionen wurden abgebrochen, Regisseure wie Jean Luc Godard oder Gus Van Sant waren nahe dran, trauten sich aus künstlerischen Gründen aber dann doch nicht, den mäandernden Wortfluss Kerouacs in einen Film zu übersetzen. Produzent Francis Ford Coppola und der brasilianischen Regisseur Walter Salles ("The Motorcycle Diaries") gehen das Wagnis jetzt ein.

On The Road

Filmladen

Brennen wie römische Lichter

Während hymnische Verehrer der Buchvorlage sich dem Streifen verständlicherweise mit Vorurteilen nähern, gesteht der Schreiber dieser Zeilen an dieser Stelle ein weltliterarisches Defizit. Schlagt mich, aber ich habe ihn höchstens mal angelesen und wieder weggelegt, diesen Schlüsselroman der Beat Generation.

Soviel weiß ich aber auch: "On The Road" ist in Papierform ein Manifest für das rauschhafte, hungrige, sinnliche Leben, jenseits der üblichen Normierungen, die vor allem zur Entstehungszeit des Romans die Jugendlichen erstickten. "Die einzigen Menschen, die mich interessieren", lautet eines der zentralen Zitate von Jack Kerouacs Erzählerfigur, "sind die Verrückten, die verrückt leben, verrückt reden und alles auf einmal wollen, die nie gähnen oder Phrasen dreschen, sondern wie römische Lichter die ganze Nacht lang brennen, brennen, brennen."

Dieses Feuer in einen Spielfilm zu verpacken, schafft Walter Salles nur bedingt. Zudem versucht er das hunderte Seiten lange Sehnsuchtsgedicht, in dem Kerouac konventionelle Strukturen bricht und mit der Sprache spielt, in ein relativ klassisches Kinoformat zu pressen.

Nimmt man den Film als was er ist und zählt man nicht gerade zu den glühenden Fans des Buchs, gelingt Salles und seinem Team aber einfach ein ausgesprochen malerisches Roadmovie. Wir folgen Sal und Dean, zwei gutaussehenden jungen Burschen, auf einem Trip Richtung Westen. Mit wenig Geld in den Taschen geht es darum, in den Tag zu leben, mit Sex, Drogen und Sonnenuntergängen als Wegbegleitern und Mexiko am Horizont.

On The Road

Filmladen

Herrlich schnöde Schauwerte

Die Darsteller, die cooler aussehen mögen als es die Literaturpolizei erlaubt, geben sich tatsächlich Mühe. Sam Riley, der schon in "Control" eine Ikone spielen durfte, vermittelt wie schon bei Ian Curtis wunderbar die Kluft zwischen bürgerlicher Existenz und Exzess, Zurückhaltung und Ausbruch. Seiner Figur des Kerouac-Alter-Egos Sal steht der mir bislang unbekannte Garrett Hedlund als Dean Moriarty entgegen. Und auch der macht seine Sache ganz passabel: Anstatt die übergroßen Fußstapfen des Beat-Rebellen schlechthin zu füllen, wirkt er wie ein verführerischer Hipster-Beau der Gegenwart, mit dem Mann und Frau gerne verbotene Dinge tun würden.

Kristen Stewart wurde ohnehin, wie man bereits in ihren besten Rollen sehen konnte, für den Part des verhuschten Stonergirls geboren, Viggo Mortensen gibt eine unterhaltsame Parodie auf den berüchtigten William S. Burroughs, Kirsten Dunst holt als frustrierte Mutter und Geliebte die maskulinen Eskapismen auf den Boden der Realität herab.

Nein, "On The Road" steht nicht in Flammen. Aber immerhin zehrt der Film von herrlich schnöden Schauwerten. Ganz unbefangen vom Undergroundkultur-Erbe schönen Menschen beim Nackt-Autofahren und Gruppenfummeln zusehen, beim Kater auskurieren und Rauchen verbotener Jazz-Zigaretten, das ist auch was.

On The Road

Filmladen