Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Wir kommen nie nach Hause, so oder so."

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

5. 10. 2012 - 15:40

Wir kommen nie nach Hause, so oder so.

Beste Reizüberflutung. Waves Festival Tag 1, gefühlte 500 Bands.

James Murphy scheint ein nachdenklicher Mann zu sein. Wenn man dem Kopf des LCD Soundsystems da so geschätzte 10 Minuten beim Rasieren zusieht und seine Stimme aus dem Off schwermütige Bedeutsamkeiten erzählt, muss einem wieder bewusst werden, dass die Welt mit der Band des New Yorker Alleskönners viel zu früh - also auch zum gerade richtigen Zeitpunkt - eine der besten und wichtigsten musikalischen Impulsgeber der Nuller-Jahre verloren hat. Es ist ein gelungener Move, dass das Waves Festival am Donnerstag sein Musikprogramm mit der Premiere des LCD-Soundsystem-Films "Shut Up and Play the Hits" im Gartenbau Kino eröffnet.

Alles was Kollege Christian Lehner über "Shut Up And Play The Hits" sagt, ist wahr. Es ist mitunter aber auch ein wenig prätentiös und prunkhaft, wie James Murphy da in den verwaschenen Lichtern der Großstadt, einzig von Jump Cuts im einsamen Taxi begleitet, als sensibler Denker das eigene Denkmal poliert. Wenn aber am Schluss des im Film dokumentierten allerletzten Konzerts des LCD Soundsystems zu "New York, I Love You" weiße Luftballons ins Publikum regnen, ist fast alles wieder sehr gut. Auch wenn diesmal die bei anderen Konzerten in dem Song kurz performte Einlage von "Empire State of Mind" von Jay-Z und Alicia Keys fehlt.

Gartenbau

Armin Rudelstorfer

Dillon

Patrick Muennich

Dillon

Man kann sich nun also durch die Nacht treiben lassen, zufällig in eine der zwölf Locations des Waves Festival hineinfallen oder mit voller Absicht eine der vielen, vielen Bands erwischen. Eine von vielen möglichen subjektiven Routen: Vielleicht sich im Odeon von der schön vernebelten Songwriter-Elektronik am Geisterpiano der brasilianisch-deutschen Musikerin Dillon verzaubern bzw. eher zuspuken lassen, oder auf einem der Schiffe, wie sie da erleuchtet im Donaukanal liegen, zum Beispiel die sehr gute englische Band Wave Pictures erleben. Fein quängeliger Indie-Pop auf Gitarrenbasis mit einer verschmitzen wie verschwitzen Verve und meist humorigen Texten, die nicht selten auch schon vom großen Jonathan Richman etwas gehört zu haben scheinen. Gut geeignet für einen aufgekratzten Start in die Konzertnacht, so ein komisches Schiff als Location trägt, wie schon im Vorjahr beim Waves Festival, bestens zur Gesamtaura bei.

Flex

Richard Taylor

Tu Fawning

Mona Hermann

Tu Fawning

Ein kleiner, früher Höhepunkt des ersten Festivaltages ist der Auftritt der immer wunderbaren Band Tu Fawning: Die Band aus Portland, Oregon spielt einen ruckeligen Indie-Rock, der von kauzigen Folk-Elementen durchsetzt ist und grundsätzlich eher in der windschiefen Darreichungsform präsentiert wird. Die Töne werden gekonnt umschifft, die eingängigeren Pop-Passagen immer wieder mit Tupfern von freundlichem Krach ausgehebelt.

The Wedding Present

Richard Taylor

The Wedding Present

Im Flex stehen in etwa zeitgleich The Wedding Present auf der Bühne. The Wedding Present sind das, was manch einer mit einem hässlichen Wort wohl als "Kultband" bezeichnen würde. Was nicht selten bedeutet, dass eine solche Band kaum einer bzw. viel zu wenige Menschen kennen. The Wedding Present haben die Kratzigkeit von Postpunk, Gang of Four, The Fall und der Birthday Party ins Romantisch-Dandyhafte überführt und so in ihrer gut dreißigjährigen Karriere schon einige sehr gute Alben zutage gefördert: Ihr Debüt "George Best" aus dem Jahr 1987 beispielsweise oder auch Album Nummer Drei "Seamonsters", das zum 21-jährigen Jubiläum im Zentrum der aktuellen Tour steht und, man ahnt es schon, bei Konzerten zur Gänze aufgeführt wird.

Es ist ein nahezu fantastisches Album, von einer knorrigen, kalten Melancholie, das auf bedrückende Art und Weise mit der guten, alten Laut/Leise-Dynamik spielt. Aufgenommen hat die Platte der Handwerker unter den Toningenieuren: Gott Steve Albini. Das passt nur allzu gut. Live leben The Wedding Present von einem spröden, leicht miesepetrigen Charme, die Stücke sind immer noch super. Eine Band von einem immerhin in Österreich nicht allzu hohen Bekanntheitsgrad, die aktuell auch nicht unbedingt in der Blüte ihres Lebens steht, sozusagen als Gitarrenheadliner des Abends zu verbuchen, ist aber eventuell nicht die geglückteste Entscheidung des Festivals gewesen.

Macht aber freilich nicht allzuviel, man kann sich ja zum Beispiel nebenan im fast schon fertig neu gestalteten Flex Cafe die putzig-quietschige Band Me and My Drummer ansehen oder, wenn man sich beeilt, unten in der Fluc Wanne das fantastische Duo Rocketnumbernine, das an Drums und Synthesizern eine vielstimmig klingelnde Kraut-Elektronik fabriziert. Oder aber auch, es ist schließlich Festival, überall auf den Straßen bimmelt und brummt es, immer passiert was, die Band versäumen.

Ghostpoet

Armin Rudelstorfer

Ghostpoet

Auf Rocketnumbernine folgt in der prall gefüllten Fluc Wanne der großartige Ghostpoet, sprechender Name, der ausgefuchsten HipHop mit dunkler Zukunftselektronik kreuzt. Der wunderbare Produzent Machinedrum (beim Waves nicht anwesend) hat dieses Jahr einen Gag-Track namens "Trap Is Dead" veröffentlicht, in dem er scherzhaft das aktuell soundästhetisch so dominante Genre des Trap Rap zu Grabe trägt. Trap Rap basiert - abgesehen vom im Text meist verhandelten Thema Drogenhandel - in musikalischer Hinsicht meist auf Handclaps, harten, kurz anschwellenden elektronischen Trommel-Wirbeln und bombastischen Fanfaren aus dem Synthesizern und hat in den letzten zwei, drei Jahren schon ermüdend in so vielen elektronischen Musiken, egal ob Wonky, Witch House oder Poststep, seine Duftnoten hinterlassen, dass es jetzt wirklich langsam Zeit wird für ein leises Verblassen dieses Sounds.

Das gilt natürlich nicht, wenn Rustie als perfekter möglicher Abschluss des Abends in der gerade noch rechtzeitig wiedereröffneten Pratersauna Platten dreht. Der schottische Produzent hat immerhin Eckpfeiler ebenjenes Klangdesigns - wenn auch unter einem anderen bzw. eher gar keinem schöden Genrenamen - schon mit seinen frühesten Arbeiten richtungsweisend mitdefiniert. Rusties DJ-Set ist einziger überkochender Hände-in-die-Luft-Moment. Gegen Ende gibt es "What You Know" von T.I., ganz am Schluss, den Sound des restlichen Abends schön albern konterkarierend, "Hey Ya" von Outkast. Ein junger Mann im Publikum sagt: "Das hat jetzt das ganze Set zerstört." Er hat unrecht: "Hey Ya", das Lied für alle Menschen, das Lied für Mandy Moore UND für Thurston Moore. Dein Hund mag "Hey Ya".

Heute zum Beispiel: Fenster, TOY, Lucy Rose, Gold Panda, Sun Glitters, Addison Groove.

Rustie

David Avazzadeh

Rustie