Erstellt am: 4. 10. 2012 - 15:51 Uhr
Kampf um die Führung auf dem Waffenmarkt
Die Euphorie über die 45 Milliarden Euro schweren Fusionspläne des deutsch-französisch dominierten Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADs mit der britischen BAE Anfang September hatte nur kurz gewährt.
Die Börsianer glaubten als erste nicht mehr so recht an den Deal, die Kurse beider Firmen fielen trotz immer noch herrschender Hochkonjuktur auf dem Rüstungsmarkt. Zuletzt hatten sich die Probleme bei den internen Verhandlungen offenbar so gehäuft, dass die Vorsitzenden beider Unternehmen einen nicht alltäglichen Schritt beschlossen.
Am Montag erschien eine gemeinsame Erklärung der Firmenchefs von EADS und BAE als Anzeige in der Financial Times und anderen europäischen Blättern, in der die ökonomische Sinnhaftigkeit der Fusion noch einmal beschworen wird.
Entscheidung nicht Europa
Das änderte nicht nur für die Börsianer wenig. Der europäische Medienfokus ist zwar nur auf das aktuelle Gezerre zwischen Frankreich, Deutschland und England um Anteile, Firmenstandorte und Posten gerichtet. Hier fordern private EADS-Aktionäre wie die französische Medienunternehmen Dassault, einen besseren Aufteilungsschlüssel als 60 zu 40 für EADS.
Doch dieser Deal wird keineswegs allein in Europa entschieden, wie die Berichterstattung suggeriert. Mit am Verhandlungstisch sitzen nämlich die USA und von dieser Seite hat man bis jetzt offiziell nur vorsichtig formulierte Allgemeinplätze zur geplanten Fusion gehört.
Die bekanntesten Produkte aus dem EADS-Konzern sind neben den Airbussen die Eurofighter, die Eurocopter-Sparte ist Weltmarktführer bei zivilen Helikoptern. Dazu kommt die Tochter Astrium, globale Nummer drei im Geschäft mit Satelliten, die passenden Raketen kommen vom Ariane-Kosortium, an dem EADS mit 30 Prozent beteiligt ist. Die Waffensparte Cassidian beschäftigt 28.000 Angestellte und setzt pro Jahr sechs Milliarden Euro um.
BAE und die US-Geheimdienste
Dabei gibt es drei handfeste Gründe, warum der Zusammenschluss alles andere als in amerikanischem Interesse ist. BAE Systems, die globale Nummer zwei unter den Rüstungsfirmen, ist nicht nur das einzige nichtamerikanische Unternehmen, das an hochkarätige Aufträge des Pentagon kommt. BAE-Systems spielt eine tragende Rolle im Zentrum des militärisch-elektronischen Komplexes der USA, der sogenannte Intelligence Community.
So erhielten die Briten allein während der letzen Monate jeweils zig Millionen schwere Aufträge der Defense Intelligence Agency, der National Geospatial-Intelligence Agency und des Ministerums für Heimatschutz, um nur ein paar zu nennen.
EADS gegen Boeing
Dafür müssen alle am jeweiligen Projekt beteiligten BAE-Mitarbeiter über eine "Top Secret Clearance" durch die US-Geheimdienste verfügen. Es ist nur schwer denkbar, dass derlei weiterhin im Rahmen eines Konzerns passiert, an dem die Bundesrepublik Deutschland und die französische Republik direkte Anteile halten. Beide Regierungen wollen erklärtermaßen zusammen etwa 10 Prozent am neuen Konzern halten.
Ebenso schwer denkbar ist, dass die Supermacht USA, die sieben der Top-Ten Rüstungsfirmen weltweit stellt, so einfach zusieht, wie ein europäischer Rüstungskonzern Lockheed Martin als globale Nummer Eins ablöst. Der dritte Punkt aber ist: Das US-Flaggschiff Boeing als bisher größter Mischkonzern würde dann ebenfalls von den Europäern überflügelt.
"Unsere Geschäftsfelder umfassen alles von elektronischer Kriegsführung über Nachrichtenaufklärung bis zu Panzerfahrzeugen", heißt es bei BAE-Systems. Die Tochterfirma Detica ist der wichtigste Technologielieferant für den britischen Militärgeheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ).
Angriff auf den US-Flugzeugmarkt
Deren letzter Schachzug liegt keine drei Monate zurück. Die EADS-Tochter Airbus hatte im Juli angekündigt, 600 Millionen Dollar in die erste Flugzeugfabrik auf amerikanischem Boden zu investieren. Das Werk soll 2013 errichtet werden, Anfang 2015 sollen pro Monat vier neue Flugzeuge aus den Hallen rollen.
Auf dem US-Zivilflugmarkt hält Boeing immer noch über 80 Prozent, weltweit hat Airbus mit Boeing hingegen schon 2010 gleichgezogen, im letzten Jahr lag man sogar vorn. 2012 sollte Boeing bei den Verkäufen die Nase wiederum etwas vorne haben. Der Weltmarkt für zivile Flieger wird also derzeit vom Duopol EADS und Boeing etwa Halbe-Halbe aufgeteilt.
Konjunkturzyklen der Waffen
Die BAE-Fusion würde diesen Gleichstand kippen, denn im Vergleich zu Boeing ist Airbus derzeit noch strategisch schlechter aufgestellt. Während die zivile Fliegerei etwa Dreiviertel der EADS-Umsätze ausmacht, ist es bei Boeing nur die Hälfte.
Damit sind die Amerikaner wesentlich besser gegen die häufigen und tiefen Einbrüche im Zivillufftfahrtsgeschäft abgesichert. Die Konjunkturzyklen für Waffen verlaufen hingegen völlig anders, ungerührt von der weltweiten Finanzkrise ab 2008 lief dort der Boom ungebrochen weiter. Erst jetzt, nach vier Jahren allgemeiner Wirtschaftskrise, beginnen sich die ersten, größeren Einbrüche abzuzeichnen.
Das Kalkül der Briten
In Zeiten weltweit gekürzter Militärbudgets ist eine Fusion für einen zu 95 Prozent auf Waffen ausgerichteten Konzern wie BAE naheliegend. Durch den Zusammenschluss mit einem vorwiegend zivil ausgerichteten, starken Partner würde BAE die kommenden mageren Jahre besser überstehen, so das Kalkül der Briten. EADS wiederum hätte das Ziel einer ausgewogenen Verteilung der Umsätze zwischen zivil und militärisch erreicht.
Von der ökonomischen Papierform her sah der nun schwer ins Wackeln geratene Deal also für die beide europäischen Unternehmen bestechend aus, doch gerade im Rüstungssektor spricht allemal die Politik das letzte Wort. Und das wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht direkt aus Washington kommen, sondern in London ausgesprochen.
Besondere Beziehungen
Die USA unterhalten mit Großbritannien seit dem UKUSA-Vertrag von 1947, der unter anderem das gemeinsame, globale Überwachungssystem ECHELON hervorgebracht hat, eine singuläre Beziehung. Die britische ist weltweit die einzige Regierung, mit der die USA sozusagen auf Augenhöhe sprechen.
Auch im Geheimdienstbereich arbeiten die USA mit den Briten weitaus enger zusammen, als mit irgendeinem anderen NATO-Staat. Nach eigenen Angaben beliefert BAE-Systems die US-Geheimdienste bereits seit 30 Jahren, Das sind die "besonderen Beziehungen" zwischen Großbritannien und den USA, die dazu führten, dass die Briten allen voran sämtliche militärischen Interventionen der USA mitgetragen hatten.
Londons "Goldene Aktie"
Aus London waren denn auch schon die ersten, diesbezüglichen Signale zu vernehmen. Als Reaktion auf Forderungen privater EADS-Aktionäre wie der französischen Medienfirma Dassault nach einem besseren Aufteilungsschlüssel als 60 zu 40 hatte die britische Regierung umgehend reagiert.
Man behalte sich vor, die "goldene Aktie" auszuspielen, hieß es aus London. Der einzige verbliebene Staatsanteil am börsennotierten BAE-Konzern, an dem ein großer Konglomerat institutioneller Anleger wie Hedgefonds jeweils kleine Anteile hält, ist ein Vetorecht im Fall eines Verkaufs.
Der große Prügel
Die momentane Rolle der USA in diesem Milliardenpoker um die globale Marktführerschaft bei Waffen und Zivilluftfahrt lässt sich am besten dem bekannten Motto eines ihrer Präsidenten erklären. Im Jahr 1901 prägte es Theodore Roosevelt und seitdem ist es eine Maxime der US-Außenpolitik: "Speak softly, but carry a big stick."
Der große Prügel sind diesem Fall die riesigen Aufträge aus dem militärisch-elektronischen Komplex der USA, die über Wohl und Wehe von BAE-Systems und damit der geplanten Fusion entscheiden.