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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

4. 10. 2012 - 10:28

Shut Up And Play The Hits

Das LCD-Soundsystem feierte Abschied mit einem Konzert im Madison Square Garden. Das Waves Festival feiert mit einer Rock Doc darüber seine diesjährige Eröffnung.

“New York, I Love You
But you're freaking me out
There's a ton of the twist
But we're fresh out of shout”

I hear ya, James, I hear ya! Wochenlang hatte ich mich auf den Bauch gelegt und Kopf gestellt, den Papst angerufen und Könige bestochen, Tastaturen durchgetippt und Mobiltelefone zum Schmelzen gebracht, "sie" beschwatzt und "ihn" bedroht. Aber es hat nicht sollen sein. Das LCD Soundsystem gab am 2. April 2010 sein letztes Konzert. Es fand im altehrwürdigen Madison Square Garden statt und war binnen weniger Minuten ausverkauft. Keine Chance auf ein Ticket. Ich und Tausende andere schauten durch die Finger. "New York I love you, but you bringing me down", wie es so treffend im gleichnamigen LCD-Song heißt.

LCD Soundsystem

Pulse Films

Aber da gibt es ja noch diesen Film über diesen denkwürdigen Gig. Und der feiert heute im Gartenbaukino in Wien Österreich-Premiere und zwar zur Eröffnung des diesjährigen Waves Vienna Festival. Ich gehe einmal davon aus, dass die Tickets wesentlich leichter zu bekommen sind als für die LCD-Schlusssause im Garden. Und irgendwie passt das auch zum Inhalt des Konzertfilms. Denn Shut Up And Play The Hits handelt nicht nur vom Abschied einer Band, sondern auch vom Abschied einer Ära, in der man zu den meisten Indie-Shows in New York einfach mal so gehen konnte und nicht Ticket-Lotterie im Internet spielen musste. So um 2009 herum änderte sich das. Bands wie Grizzly Bear, TV On The Radio oder das LCD Soundsystem verkauften nun die großen Arenen der City aus. Indie wurde massentauglich und auch ein Tourismusfaktor.

James Murphy, der das LCD Soundsystem als "Cover Band für seine Club Tracks" gründete, "ohne je an diesen Bandblödsinn vom Touren" zu denken, gilt ja als King eines längst vergessenen Genres. Dance Punk oder Punk Funk nannte man die Kreuzung aus Techno, New Wave und Post Punk, die im ersten Drittel der letzten Dekade Formationen wie das LCD Soundsystem, Radio 4, The Rapture und !!! auf die Rockbühnen New Yorks zauberte. Dorthin musste das Tanzvolk ausweichen, da die Bürgermeister Bloomberg und davor Giuliani den Großteil der einschlägigen Clubs New Yorks schließen ließen.

LCD Soundsystem

Pulse Films

Dance Punk, das war ein letzter Salut an die räudige Vergangenheit des Big Apple. Es war der Tanz vor "EDM", vor Lady Gaga und dem amerikanischen Pop-Rave-Wonderland des aktuellen Jahrzehnts. Es war auch aufgrund der oben genannten Gründe die bis dato letzte Soundschule, die sich direkt gegen die Autoritäten richtete. Was danach kam, war die Verabreichung komatöser Zuckerwattenelektronik für die Brooklyn-Crowd oder aber Brostep für den Jersey Shore.

Aber davon handelt "Shut Up And Play The Hits" nur indirekt. Im Zentrum steht der von den Regisseuren Will Lovelace und Dylan Southern ausgezeichnet ins Bild gesetzte letzte Akt im Garden. Eine Stunde und 49 Minuten dauert die Abschiedsparty. James Murphy und sein LCD Soundsystem hanteln sich durch die größten Hits – darunter "New York I Love You", "North American Scum" und "All my Friends". 18.000 Fans singen, tanzen und toben. Am Ende fließen vor und auf der Bühne Tränen.

Der Film wechselt zwischen Madison Square Garden und dem privaten James Murphy. Die Kamera beobachtet den grantigen Stoppelbartträger, wie er am Morgen "danach" verkatert aufwacht und den Wecker abstellt, sieht ihm beim Kaffeekochen über die Schulter und begleitet James beim Gassigehen mit Petunia – einer Französischen Bulldoge, die in Sachen Frohmut dem Herrl wie aus dem Gesicht geschnitten ist.

"Shut Up And Play The Hits" bezieht seine Kraft aus dem Kontrast zwischen dem Bad in der Menge und der Einsamkeit am Waschbecken. In stillen Momenten erleben wir einen Mann, der im Limbo zwischen seiner Entscheidung und ihren Konsequenzen feststeckt. Die stärksten Momente sind jene, wenn Murphy ganz allein mit sich und seinen Gedanken ist – in einem Taxi etwa oder im Büro seiner Plattenfirma DFA, das er einsam und verlassen vorfindet.

Pulse Films

Pulse Films

Quasi als Subtext zu den Bildern läuft ein Interview, das der in den USA schwerst legendäre Rock- und Sportjournalist Chuck Klosterman ("Fargo Rock City") geführt hat. Großartig, wie offen Murphy über seine Beweggründe, Ängste und auch Fehler spricht.

"Shut Up And Play The Hits" ist eine Liebeserklärung an die Stadt New York, die einen so "down" bringen kann, an die schillernden Tanzflächen dieser Welt, die durchaus von dreckigen Kellerwänden umgeben sein dürfen, an die LCD-Community, Fans, Mitglieder und Freunde. Und natürlich auch an den Meister dieser Abschiedszeremonie, den Gründer und Vorstand des Soundsystems, Mr. James Murphy. Der Filmtitel stammt übrigens von Gastsänger Win Butler (The Arcade Fire), der den Satz in einer dieser Stage-Diskussionen in die Runde warf und der hervorragend mit dem Song "You Wanted A Hit" vom letzten LCD-Album "This Is Happening" korrespondiert.

Mittlerweile ist Herr Murphy wieder als DJ unterwegs. Für eine LCD-Soundsystem-Reunion ist es natürlich noch viel zu früh. Aber wer weiß, so eine Pension dauert ja heute bekanntlich sehr lange.