Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Enharmonisch verwechselt"

Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

4. 10. 2012 - 11:09

Enharmonisch verwechselt

Musikerziehung mal anders: Beim Steirischen Herbst fragt das musikprotokoll anschaulich nach der Wahrheit von Klang. Mit Bildern mit Katze!

musikprotokoll, 4. bis 7. Oktober, Graz.

Eine eigenwillige Liebe zu den Tönen wird dem musikprotokoll vielfach attestiert. Dieses Jahr will die enharmonische Verwechslung in vier Tagen durchgespielt werden. Wie bitte? Dabei sind die angeschlagenen Töne praktisch ident, das "des" ist das "cis" und das "es" ist das "dis" und so weiter, aber je nach Umgebung erlauben die Töne andere Deutungen.

Die Bedeutung eines Klangs kann sich verändern, ohne dass der Klang selbst sich verändert, schicken Susanne Niedermayr und Christian Scheib voraus. Die Beiden haben das musikprotokoll kuratiert, und so manche Hörbeispiele lassen sich auch sehen. Eine Vorschau.

Postkarten aus Polen

Vom Unsound Festival in Krakow habe ich schon Freunde schwärmen hören, Soundpostkarten aus dem Polen der Sechziger bis Achtziger Jahre schicken seine Kuratoren nun nach Graz: Das musikprotokoll des steirischen herbst ist Teil des ICAS Netzwerks, einer Drehscheibe für "advanced sound cultures". Das Bambino Sound System ist quasi die Vorzimmerparty (4. Oktober, 17.30, Eintritt frei). Unsound-Initiator Mat Schulz und Rui Silva legen ausschließlich jene dünnen Flexi-Discs auf, die man als Lieder-Postkarten an Kiosken in kommunistischen Zeiten kaufen konnte.

Party und Auflegen mit dünnen Postkartenschallplatten

Bambino Sound System

Amerikanischer Pop hatte es somit auch in polnische Wohnzimmer geschafft, noch dazu mit außergewöhnlichem Artwork. Gezeichnete Teddybären mit Kapitänsmütze gehen für "Call me" auf Schiffsreise, auch Lieder von Donna Summer (mit Katze!) und The Doors erschienen als unautorisierte Kopien auf Postkarten in Polen. Allein die digitale Sammlung ist einen Besuch wert.

Das Studio auf der Bühne

Eine andere Faszination hat der deutsche Künstler Boris Hegenbart: Dub beziehungsweise vor allem das Prinzip des Musikstils beschäftigt ihn mittlerweile seit Jahren. Hegenbart hat an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien studiert und ist in Klanginstallationen versiert. Für sein im September erschienenes Album "Instrumentarium I." lud er neunzehn Musiker ein, in Graz wird "Instrumentarium I." live uraufgeführt. Dazu richtet sich Boris Hegenbart ein Tonstudio auf der Bühne ein, die geladenen Musiker spielen und verfolgen den Werkprozess über Kopfhörer, während Hegenbart im Publikum sitzen und in Echtzeit die Klänge neu komponieren wird. Anberaumte Sessions: Mit Felix Kubin und Marc Weiser (7. Oktober) sowie mit Martin Siewert und Martin Brandlmayr (4. Oktober).

Boris Hegenbart steht in einem Raum und sieht sich um

Boris Hegenbart

Gegen das Klirren von Christbaumkugeln stoßen

Live-Webcast vom musikprotokoll, 4. bis 7. Oktober, täglich ab 15.00

Christbaumkugeln und Gläser hat Anke Eckardt für ihre multisensorische Installation zerschlagen. In "Between | you | and | me" bewegen sich BesucherInnen in Lichtstrahlen, brechen es und bringen durch ihr Voranschreiten Lautsprecher zum Tönen. Bei der Ars Electronica sprach die Jury eine lobende Anerkennung für das Vorhaben aus, nun wird die deutsche Klang- und Medienkünstlerin Eckardt die Wand aus Licht und Sounds in Graz beim musikprotokoll des steirischen herbst aufbauen. Klang buchstäblich wie eine Skulptur formen will Eckardt. Wenn Menschen nach der "Wand" tasten, ist ihr das wahrscheinlich gelungen (Eröffnung: 4. Oktober, 19.30, 5. Oktober bis 7. Oktober, Eintritt frei).

Eine Hand tastet im Dunkeln

Anke Eckardt

Ins All

Der steirische herbst auf fm4.orf.at

Wenn Reni Hofmüller und Jogi Hofmüller nicht ihren eigenen Satelliten bauen und Kleinteile im reallabor in Auftrag geben, widmet sich das in Graz lebende Künstlerpaar unerhörten Klangwelten. Jüngstes Vorhaben: Mit Christian Lammer installieren sie eine "Resonating Sculpture" und nützen dafür das Lichtschwert neben der Grazer Oper als Antenne. Wie es aktuell um ihren Mini-Satelliten steht, werden die Hofmüller beim musikprotokoll berichten. Insgesamt finden zehn Kurzvorträge zu "Enharmony" statt. Ob der mur.Satellit wie geplant je Geräusche aus dem All liefern wird? Besteht das musikprotokoll weitere 44 Jahre, so bleibt Hoffnung.