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3. 10. 2012 - 06:02

"Mit keinem Vorwort von Sid Vicious"

...steht als kurioser Eyecatcher auf dem Buchcover von Dee Dee Ramones "Schmutz&Schund"-Roman "Chelsea Horror Hotel". Wer nach dessen Lektüre noch immer in dieser New Yorker Kultabsteige übernachten will, dem graust’s anscheinend vor gar nix.

"Chelsea Horror Hotel" ist anlässlich des 10. Todestages von Dee Dee Ramone (1951 - 2002) im Milena Verlag erschienen, kongenial schmuddelig übersetzt von Matthias Pentzel.

Präsentation des hübschen Machwerks: Mittwoch 3.10. (19 Uhr) in der Buchhandlung Thalia, Landstraßer Hauptstraße, Wien. Fritz O. liest und lässt den Fan raushängen, Bernhard Moshammer spielt dazu Ramones-Hits auf der Ukulele.

Der "Cretin-Hop" der Ramones beginnt mit der schön hirnrissigen Zeile: "There's no stoppin' the cretins from hoppin'". Noch schöner wäre es, brüllte die Band im Refrain dann "We are deppert and we are proud", doch der Refrain besteht - weniger ist mehr! - aus nur einem einzigen Wort, eben: Cretin! Wie jede gute Punkband feierten sich auch die Ramones als ordentliche Dumpfnüsse auf der Suche nach dem Glück des Augenblicks. Und sie machten dabei eine Zeitlang alles richtig, weil proletarische Selbstironie prinzipiell kein schlechter Ratgeber ist.

Das Sich-Selbst-Nicht-So-Wichtig-Nehmen ist auch eine der Stärken von Dee Dee Ramones autobiografisch daherstinkenden Trash-Stories in "Chelsea Horror Hotel" - neben einer fast schon ungesunden Portion Humor angesichts der Scheiße, in die man sich mithilfe sämtlicher Drogen hineingeritten hat:

"In meinem Zimmer sehe ich die ganzen Anzeichen, die auf einen hohen Grad an Negativität hindeuten – zum Beispiel die Bläschen, die sich in der Küche in jeder Flasche bilden. Das ist mit Sicherheit ein Hinweis auf die vorherrschende extrem negative Aufladung."

Dee Dee Ramone

CC-BY Michael Markos

Dee Dee Ramone 1977

Dee Dee, Bassist und neben Joey Ramone Haupt-Songwriter der Ramones, lebte bis kurz vor seiner Überdosis (2002) jahrelang - gelegentlich unterbrochen von Rehabs im Hotel Mama - im berühmt-berüchtigten Chelsea-Hotel in der 23. Straße von Manhattan. Meist mit seiner rasend eifersüchtigen Latina-Freundin Barbara und immer umgeben von zahlreichen Freaks als Nachbarn und Quälgeister. Dee Dee, ein hochgradiger Paranoiker vor dem Herr, schildert in diesem als Delirium funktionierenden Roman seine kranken Beziehungen zu diesem Narrenhaufen dermaßen komisch und - ja auch - tragikomisch, dass man zwar nicht unbedingt auch gleich ins Chelsea Hotel hätte einchecken wollen, um bei all den Gelagen und Niederlagen mit dabei gewesen zu sein, aber aus der voyeuristisch sicheren Distanz der Lektüre kippt man nur zu gern in diese Vorhölle aus Schmuddel-Glam und Heroin-Chic.

Commando, die Autobiografie von Johnny Ramone, besprochen von Natalie Brunner

Welche von Dee Dees katastrophischen Anekdoten und Gschichtl'n sich tatsächlich so zugetragen haben, wie er sie uns im schönsten Street-Slang unterjubelt, und welche allein seiner galoppierenden Fantasie entsprungen sind, bleibt letztlich g'hupft wie g'hatscht: es ist der pulp/comichafte und durchgeknallte Witzfaktor der Episoden, der zählt. Und der ist ziemlich hoch.

Buchcover Chelsea Horror Hotel, Dee Dee Ramone gezeichnet

Milena Verlag

"Meine Lüftung ist bis zur Hälfte vollgestopft mit Abfällen, die gelangweilte Hotelgäste da reingestopft haben. Diese Typen kennen nichts. Sie schmeißen einfach alles in die Belüftung - von Weinflaschen bis hin zu Damenbinden. Auch sind da drinnen tausende dieser mehlig-madigen Schmierläuse und tausende aufgebrauchte Crack-Ampullen. Es hat den Geruch von vergammeltem Fisch, und Gerüchten zufolge wurden auf dem Boden der Lüftungsanlage schon diverse menschliche Körperteile aufgelesen. Kurz und gut: für mich ist das nicht besonders motivierend, den Lüftungsschacht überhaupt zu öffnen. Würd ich auch nie machen. Warum sollte ich eine Invasion von Milliarden Maden riskieren?"

Da ist es dann auch schon wurscht, dass im Keller des Hotels eine Teufelssekte haust, die arme Obdachlose in Badewannen voller Blut steckt, in denen sie von Piranhas bis auf die Knochen aufgefressen werden. Das Rezept nennt Dee Dee Kannibalensuppe. Ein Delirium, wie gesagt, aber - bei allem Dreck bzw. gerade deswegen - ein höchst amüsantes. Auch wenn der Autor das Wort "Political Correctness" wahrscheinlich nicht einmal vom Hörensagen gekannt haben dürfte. Aber das war halt nie der Stoff, den sich ein Ramone freiwillig reingeknallt hätte.