Erstellt am: 1. 10. 2012 - 11:48 Uhr
Theatre Is Pretentious
Desi
Ben Folds hat ihn ihr verliehen, und sie trägt ihn mit Stolz, ihren Mittelnamen: Amanda Fucking Palmer, kurz A.F.P., nennt sich die 36jährige gerne, und wenn sich jemand dran stört, ist ihr das herzlich egal. Oder scheißegal, wie sie vermutlich sagen würde, würde sie ihre Interviews auf Deutsch geben.
Amanda Palmer ist bekannt geworden als Stimme und Pianistin beim Brechtian Punk-Cabaret-Duo Dresden Dolls. "Brechtian Punk-Cabaret" ist ein Ausdruck, den sie erfunden hat, damit sie ja niemand gothic nennt, bloß weil die Dresden Dolls gern stark geschminkt und in altertümlichen Kostümen posierten. Denn Amanda Palmer behält gern die Kontrolle über ihre Musik und über das, was dabei mitschwingt; das ist ihr so wichtig, dass es ihre Musik schon manchmal überlagert und ein Teil ihres Œuvres geworden ist.
Live in Österreich
Am 5. November spielt Amanda Palmer in der Arena Wien.
Amanda Crowdfunding Palmer
Liest man Berichte über Amanda Palmer und ihr neues Album Theatre Is Evil, das sie mit ihrer Band als Amanda Palmer And The Great Theft Orchestra in Australien eingespielt hat, so steht meistens ein Thema im Mittelpunkt: Crowdfunding. Amanda Palmer hat ihr Album nämlich über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter finanziert, und statt der anvisierten 100.000 US-$ sind gar 1,2 Millionen zusammen gekommen. Ganz schön viel für ein Album, und damit es so viel wird, ist Amanda Palmer auch sehr professionell vorgegangen: Sie hat die Pakete, die Fans erwerben konnten, in genau der richtigen Größe geschnürt, sie hat einen Spendenaufruf auf Youtube gestellt und sie hält über Twitter und Facebook sowieso permanent Kontakt mit ihren Followern.
Auch das ist Teil des Gesamtkunstwerks Amanda Palmer: die permanente Kommunikation mit der Öffentlichkeit, mit ihren Fans und Followern, die ihre künstlerische Person zu einer öffentlichen und öffentlich verfügbaren Person macht, und in deren Gefolge es auch logisch und konsequent ist, dass Amanda Palmer auf Fotos und in Musikvideos auch mal nackt zu sehen ist, nicht als billige Provokation, als die man ihren Mittelnamen noch abtun könnte, sondern, weil es künstlerisch sinnvoll ist und unsinnig wäre, wegen der öffentlichen Prüderie in ihrem Heimatland darauf zu verzichten. Das Amanda Palmer Universum als Schutzschild.
Amanda Gesamtkunstwerk Palmer
Und natürlich ist ihr Abschied von der Plattenindustrie ein weiterer Schritt, um ihren künstlerischen Output keiner externen Kontrolle unterwerfen zu müssen. Um den Ein-Frau-Betrieb Amanda Fucking Palmer unbehelligt von Einwürfen und kommerziellen Interessen anderer in Bewegung halten zu können. Dabei ist ihr durchaus bewusst, dass sie ohne die PR-Maschine ihres alten Labels nie so bekannt geworden wäre, dass sie sich ein solches Vorgehen leisten könnte. Aber es ist der für sie logische Schritt, und in Bewegung ist Amanda Palmer ja permanent.
cc Foxtounge
Die Dresden Dolls machen zwar keine neuen Alben mehr, trotzdem tritt Amanda Palmer noch immer ab und zu mit ihrem Bandpartner Brian Viglione auf. Mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Neil Gaiman, dazu Ben Folds und Damian Kulash von OK Go!, hat sie unter dem Namen 8in8 eine EP im Netz veröffentlicht; mit dem Musiker Jason Webley tritt sie als Evelyn Evelyn auf, verkleidet als siamesische Zwillinge Evelyn und Evelyn Neville. Und mit einer Ukulele bewaffnet hat sie sich über Radiohead Songs hergemacht und das auch gleich zum Download ins Netz gestellt.
Opulenz und Pianoabstinenz
Amanda Palmer
Theatre Is Evil ist ein typisch kraftvolles Amanda Palmer Album, gleichzeitig aber sehr heterogen arrangiert: da gibt es die Klavier-plus-Band-Stücke wie den Opener Smile oder die wundervolle erste Single Want It Back, da gibt es das grandios knallige Do It With A Rockstar, das sich trotz Bandbegleitung ganz auf das alte Dresden-Dolls-Zwiegespräch zwischen Klavier und Drums fokussiert; da gibt es das schöne nur-Klavier-Stück The Bed Song, da gibt es Grown Man Cry, auf dem sich Amanda Palmer der Depeche Mode-Vorliebe ihrer Jugend besinnt – was leider scheitert; und da gibt es eine ganze Menge Stücke, auf denen das Piano in den Hintergrund tritt oder gar nicht zu hören ist – wie die zweite Single The Killing Type mit dem verstörend blutrünstigen Video. Die Pianolosigkeit als erster Schritt einer künstlerischen Emanzipation vom angestammten Instrument? Jedenfalls nur der erste, denn man merkt es auch den pianolosen Songs an, dass sie am Klavier geschrieben wurden, und genau das ist es auch, was das Album zusammenhält, was es in eine Reihe stellt mit Dresden Dolls-Platten und ihrem ersten Solowerk.
Weniger Blut, aber nicht weniger körperbetont: Das Video zu "Want It Back"
Und ja: man merkt dem Album an, dass genug Geld dafür zur Verfügung gestanden ist. Opulent produziert ist es; Bläser hier, Streicher da, kein geknappstes Lo-Fi-DIY-Werk. Kein Track (außer Intro und Intermission) ist unter vier Minuten, es wird geschwelgt. Amanda Palmer genießt es sichtlich, eine Band zu haben, und es scheint eine harmonische und befruchtende Zusammenarbeit zu sein. Trotzdem wirkt Theatre Is Evil nie überproduziert, sie verliert sich nicht in Details, sondern behält stets den Popsong im Auge. Die Musik verschmilzt mit der Person Amanda Palmer, man nimmt es ihr sofort ab, dass sie neben dem Wort freedom am liebsten das Wort passion gebraucht, wenn sie über ihre Kunst spricht.
Die CD kommt mit ebenso liebevoll und opulent gestaltetem Booklet, für das gemalte Portraits und aufwändig inszenierte Bandfotos zusammengestellt wurden; es gibt für 50 $ sogar einen begleitenden Bildband zu erwerben, The Grand Theft Art Companion, in dem 70 Werke von mehr als 30 KünstlerInnen enthalten sind. Alles vorfinanziert von der Crowd.
Amanda Palmer
Tücken des Crowdfunding: Tariflohn statt Freibier
Natürlich gibt es das Album, wie die Produkte der anderen Amanda Palmer Projekte auch, als pay-as-you-wish per Download zu ordern. Dass der Beteiligungs-Gedanke auch seine Tücken hat, hat Amanda Palmer im Vorfeld ihrer aktuellen Tour, die sie Anfang November auch nach Österreich führen wird, erlebt. Denn jetzt, mit crowdgefundetem Kapital im Rücken, ist es plötzlich nicht mehr so einfach wie früher, für Gratisticket und Freibier lokale Musiker für Bläser- und Streichersätze für ihre Live-Auftritte zu rekrutieren. Nach Beschimpfungen, Protesten und heftigen Debatten in ihrem Blog zahlt Amanda Palmer den MusikerInnen jetzt Tariflöhne fürs Mitspielen.