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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

29. 9. 2012 - 22:00

Super Dense

Ein fast schon altes Gespräch mit Panda Bear und Deakin von Animal Collective über die superdichte Existenz der digitalen Ablenkung.

"Imagination won't get mouldy / Can't wait for time to unfold me" (Animal Collective, Father Time)

Dieser Blog kommt aus der säuberlichsten aller Müllhalden, dem Schrotthaufen meiner Festplatten, wo die unzähligen Opfer meiner großen digitalen Ablenkung ruhen.

Eine Beschwerde aus meinem Berufsleben:

Es ist ja so, dass wir MusikjournalistInnen (ein aussterbender Beruf bzw. ein boomendes Hobby, wie man unbezahlte Arbeit früher zu nennen pflegte) Bands generell noch immer zu kommenden Platten interviewen (weil diese Interviews immer noch von Plattenfirmen ausgemacht werden, welche jene Bands dankenswerterweise immer noch zwecks Promo über den Atlantik fliegen).

Animal Collective "Centipede Hz"

Domino Records

Sind diese Platten einmal veröffentlicht, wollen die - mit Schwinden ihrer Funktion als aktuelle Erstinformationsquelle umso zwanghafter von Aktualität besesseneren - Papiermedien auch schon nichts mehr von ihnen wissen, so als würde Musik im Moment ihrer käuflichen Erhältlichkeit augenblicklich irrelevant.

Das war bei weitem nicht immer so. Früher einmal nahm sich die Rockkritik oft Monate Zeit, um sich ihre Meinung zu gar nicht mehr so neuer Musik zu bilden.

Nicht zufällig ging es dabei um genau jene LPs, die heutzutage in voller Länge wiederaufgeführt werden, weil ihnen damals schon eine andere Art von Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

Wie wir mittlerweile wissen, besteht die Online-Welt - im Gegensatz zu ihrem schnelllebigen Ruf und zur immer dem Altpapier geweihten Printwelt - zu 99,9 Prozent aus veraltetem Serverschrott und Festplattenfüller.

Dieser Blog fühlt sich in jener Hi-Tech-Mottenkiste folglich wie zuhause, und das passt auch zu seinem Thema bzw. zu dem bereits vier Wochen alten Album, das ihn ausgelöst hat.

Ich hätte das alles ja schon vor langer Zeit hier erzählen wollen. In der fernen Vergangenheit, es war im Juli 2012, traf ich Noah Lennox alias Panda Bear und Josh Dibb alias Deakin von Animal Collective in London zum Gespräch über ihr damals noch künftiges, heute schon jurassisches, weil Ende August erschienenes Werk "Centipede Hz".

"Die Grundidee der Platte war, dass sich alles sehr strukturiert, aber auch spontan anfühlt, und dass es sich sehr oft sehr schnell verändert", beschrieb Panda Bear damals sehr treffend den an einen sich windenden, auf dem Rücken liegenden Tausendfüßler erinnernden Sound des Albums - ein komplexes Muster um Aufmerksamkeit konkurrierender Klänge.

Es fühle sich alles sehr dicht an, meinte ich.

"Yeah, super dense. There's a lot of information on there", sagte Panda Bear.

Der Hang zur Dichte, verlängerte Deakin, sei die natürliche Tendenz von Animal Collective. Die Band, Verzeihung, das Kollektiv, müsse sich immer zwingen, seine Musik zu verdünnen, um sie anhörbar zu machen.

Das gab mir den Mut, mit einer kleinen These aufzufahren, die mir beim Anhören von "Centipede Hz" eingefallen war:

Was dieser klingende Wettstreit einander ständig unterbrechender Motive, sich gegenseitig sabotierender Figuren und falscher Fährten darstellte, war nichts anderes als die Vertonung der permanenten Zerstreuung unserer aller Bildschirm-Existenz.

Und falls bei diesem Satz bereits ein paar Augen ins Rollen kommen sollten, weil der Gedanke allzu sehr nach altem Hut klingt, dann ist gerade seine gefühlte Obsoleszenz andererseits auch schon wieder die paradoxe Bestätigung seiner Gültigkeit.

Die Angst jeder Bloggerin und jedes Bloggers davor, sich mit dem Formulieren von anderswo bereits Gesagtem bloßzustellen, welche direkt in die vorsichtige Vermeidung jeder Stellungnahme oder die Flucht in die Sicherheit des Sarkasmus führt, ist schließlich auch nur ein Syndrom derselben Hilflosigkeit vor dem Unüberblickbaren.

Wie konkret sich all das in Animal Collective-Songs wie "Wide Eyed" oder "Today's Supernatural" äußert, hatte ich zum Zeitpunkt unseres Interviews ehrlich gesagt noch nicht erfasst.

In ihrer Musik, sagte ich also zu Panda Bear und Deakin, hörte ich die Kakophonie des Medienlärms, der andauernd auf uns nieder prasselt.

Panda Bear: "Yeah, I agree..."
Deakin: "I agree completely... Ich führe oft Gespräche mit meinem Großvater darüber. Er ist immer noch ein sehr aktiver Peacenik. Er leitet eine NGO. Er ist ein alter Linker, der versucht, die UNO dazu zu überreden, eine permanente Friedenstruppe einzurichten, die keinen individuellen Nationalstaaten untersteht, sondern nur dem Sicherheitsrat.
Er fragt mich oft, warum meine FreundInnen nicht politisch aktiv sind, und ich habe mich selbst dabei überrascht, wie ich ihm als Rechtfertigung angeboten habe, dass die Leute in meinem Alter sich einfach zu überrollt fühlen.
Es ist nicht wirklich Apathie, sondern die ungeklärte Frage, wie man sich selbst zu einem völlig kaputten politischen Prozess verhält, und was man angesichts all der unglaublich verstörenden Dinge tun soll, die auf der Welt passieren. Es ist sehr schwer, etwas zu tun, das tatsächlich eine politische Wirkung hat."

"Aber es sind nicht nur die Nachrichten", ergänzte Panda Bear, "Es ist auch die Werbung, das Marketing, die Information, die von dieser Seite her auf uns einströmt. All das hat mit dem Klima zu tun, in dem wir Musik machen."

"Und diese Dinge auch", sagte Deakin und deutete auf die vor uns auf dem Couchtisch versammelten Smartphones, "...und Laptops und das alles. Ich bin einer von diesen Leuten, die versuchen, sich nicht ganz in die Beschäftigung mit diesen Dingen zurückzuziehen, und trotzdem stehen wir alle in einem ständigen Konflikt zwischen dem unglaublichen Zugang, den einem diese Dinge bieten, und der Frage: 'Was habe ich die ganze Zeit getan? Während der letzten Stunde, dem letzten Tag, dem letzten Monat? Welche Bücher habe ich nicht gelesen? Was habe ich alles nicht getan, während ich dieses erstaunliche, scheinbar grenzenlose Portal verwendet habe?' Es ist dieses wirklich neue Ding, auf dessen Verwendung uns die Evolution nicht hinlänglich vorbereitet hat. Und dieses Gefühl spiegelt sich nicht nur in unserer Musik wieder, sondern auch in der anderer Leute."

Beim von Deakin ins Spiel gebrachten Stichwort Evolution fiel mir ein Ausflug neulich zum Down House, dem alten Haus von Charles Darwin im ländlichen Kent ein:

Charles Darwins Schreibtisch

English Heritage

Darwins Schreibtisch

Sein Schreibtisch, das Spielzeug seiner Kinder, mit denen er sich offenbar wesentlich mehr beschäftigte, als für einen viktorianischen Vater üblich, seine Bibliothek, die ausgestopften Tiere - all das weckte Vorstellungen einer Zeit, in der zumindest finanziell gesicherte Existenzen wie Darwin die Konzentration fanden, einen stimulierenden Gedanken zu Ende zu führen, bis er zur Erkenntnis wird, ohne sich dabei von Emails unterbrechen zu lassen oder alle dreißig Sekunden Facebook und Twitter zu checken.

Deakin machte mich auf den von Dave Portner alias Avey Tare geschriebenen Song "Amanita" aufmerksam, dessen Erzähler auf eine Wanderung geht. Er sucht nach einer verlorenen Zukunft.

"What have we done? What have we done? Fantasy is falling down", singt er. Und kommt zur Schlussfolgerung: "Go into the forest. Until I can't remember my name."

Deakin: "Ja, dieser Song handelt davon, wie wir den Kontakt zu unserer Geschichte verloren haben. Zu den alten Werten und Fertigkeiten. Wobei es ja umgekehrt wieder leichter geworden ist, Informationen über diese verlorenen Dinge zu sammeln und sich von kulturellen Mythologien faszinieren zu lassen."

Panda Bear (den Kulturpessimismus elegant abfangend): "Ich finde, dass wir gerade dabei sind, mit diesen Dingen fertig zu werden. Wir sind nur im Moment noch schwindlig davon. Aber wir kriegen das schon hin."

Deakin: "Ja, das ist, was ich vorher mit dem evolutionären Aspekt gemeint habe. Wir wissen ja noch gar nicht, was die Auswirkung von so Dingen wie iPhones sein wird, weil das noch zu neu ist. Vor zwölf Jahren gab es so was noch gar nicht (Anm.: Das iPhone gibt es tatsächlich erst seit fünf Jahren), und jetzt kann jeder immer alles gleich nachschauen. Und die Leute tun das auch ständig. Bei wie vielen Abendessen bin ich schon jemand gegenüber gesessen, den ich wirklich gut kenne, und der fährt auf seinem Bildschirm herum, während ich mit ihm rede und sagt 'Yeah, totally, totally...'? Dabei schickt er gerade was an einen anderen Freund, und ich sage: 'Warte einmal, hast du überhaupt gehört, was ich zu dir gesagt hab?' Und er sagt, 'I'm sorry, like what did you say?' Das passiert andauernd. Mit jedem. That's kinda crazy, you know."

Ich hatte Deakin und Panda Bear noch einen Vergleich anzubieten, von dem ich zugegebenermaßen erwartete, dass er ihnen gefallen würde:

Jon Savage nahm bekanntlich einst von einer Reise nach Sheffield die Beobachtung mit, dass die Musik von Cabaret Voltaire nichts anderes war als der Lärm der Stahlfabriken, der durch ihre Schlafzimmerfenster drang.

Während nun ein großer Teil der Nischenmusik einen Parallelwelts-Eskapismus der Vergangenheitsverklärung oder Gegenwartsvernebelung sucht, ist "Centipede Hz" mit seinem Sound der digitalen Selbstablenkung also eher sowas wie das methodische, postindustrielle Gegenstück zu Cabaret Voltaire?

"Interessant", meinte Deakin, "aber ich frage mich, ob nicht einige Leute deiner Einschätzung unserer Musik widersprechen würden. Ich könnte mir gut vorstellen, dass jemand das genaue Gegenteil davon sagt. Dass wir nämlich genau das tun, was du in Bezug auf andere gesagt hast." (Stimmt auch, denke ich mir, während er das sagt. Nicht zuletzt auf ihrem 2009, im Jahr nach dem Bankencrash erschienenen - übrigens ohne Deakins Mitwirkung entstandenen - letzten Album "Merriweather Post Pavillon" trieben Animal Collective eine mittlerweile ebenso oft kopierte wie erschöpfte Tendenz zur Hall-und-Echo-Saturierung voran; in der nicht von ungefähr auch die vernebelte Shoegaze-Rezessionsmusik der frühen Neunziger Jahre widerhallt.)

Panda Bear: "Aber ich denke schon so über unsere Musik."

Deakin: "Dass sie eskapistisch ist?"

Panda Bear: "Nein, dass sie eine Spiegelung dessen ist, was ich bin und was ich über das Heute denke."

Deakin: "Ich weiß, ich weiß. Totally. Ich stimme damit überein. Aber so gut es mir tut zu hören, was du (schaut dabei mich an, Anm.) sagst, bin ich doch misstrauisch, ob andere das auch so empfinden würden, oder nicht eher umgekehrt..."

Panda Bear: "Dass es eine Form der Flucht ist? Alle Musik ist eine rituelle Flucht, auf eine gewisse Art."

Deakin: "Aber du hast erst neulich mit mir über diese Kritik an uns gesprochen, den Unterschied zwischen uns und einem Bruce Springsteen, jemand, der konkret über sein Zeitalter spricht, und ich habe das sehr wohl schon von Leuten aus einer älteren Generation vorgehalten bekommen: 'Warum macht ihr nicht, was damals Neil Young tat, was Springsteen macht, was Dylan macht?'"

Diesen Leuten sei in der Blüte der Popkultur eine ganz andere Plattform zur Verfügung gestanden, halte ich dagegen.

"Ja, absolut. Es ist schwer zu erklären, warum diese Rolle und dieser Zugang zu diesen Gefühlen uns nicht offen steht, aber es ist so wie es ist, und ich empfinde das eher so, wie du es beschreibst, und wie Noah es bestätigt: Es geht mehr darum, heraus zu filtern, wie es sich anfühlt, heute zu leben."

Das erreichen Animal Collective auch, und um ehrlich zu sein, fühlt sich das Ergebnis bisweilen dementsprechend höllisch an, so als würden ihre Songs selbst ihre Emails checken und ihren Status updaten, während sie mit uns reden.

Ironischerweise lässt sich "Centipede Hz" nur begreifen und verdauen, wenn man das Album ohne jede simultane sonstige Tätigkeit anhört. Teetrinken vielleicht gerade noch.

Was auch mir immer seltener gelingt, genauso wie das Fertigstellen jeder Art von Denkarbeit.

Es hat schließlich einen guten Grund, dass diese Geschichte hier mit vier Wochen Verspätung daher kommt.

Auch dieser jüngste, vor zwei Tagen begonnene Anlauf war immer noch ein heillos zerstückelter, unter anderem unterbrochen von dem Versuch, den Decks and the City-Blog von Melissa Bradshaw zu lesen, auf den ich via Twitter gestoßen war.

Bradshaw entschuldigt sich darin gleich einleitend für die Länge ihres Texts und verspricht, dass er sich auch in Teilen lesen lasse.

Wir bewegen uns also in einem Medium, dessen Konsumform für unsere Gedankenketten nicht ausreicht.

Und das bringt uns zurück zum alten Paradoxon des Darwinismus: Dass die Evolution unseres Bewusstseins nämlich so weit gediehen ist, dass wir ihr uns auch bewusst widersetzen können.

In anderen Worten: Ich will erst ja gar nicht den perfekten Umgang mit dem Terror der Gleichzeitigkeit erlernen. Und ganz sicher stehe ich damit auch nicht alleine da.

Neulich hat mir ein Freund - ja, liebe Techies, auch das ein alter Hut - von jener Freedom-Software erzählt, mit deren Hilfe man sich von den Versuchungen des Internet abschotten kann. Und ich erzählte ihm von einem längeren Stromausfall am Tag davor, der zwar nicht mein Laptop, aber logischerweise mein Modem stillgelegt hatte.
Und wie ich, anstatt die Gelegenheit zum völlig ungestörten Arbeiten wahrzunehmen, erst recht per Telefon nach den Emails gesehen hatte.

Offline sein ist dieser Tage gar nicht mehr so leicht.

Aber es kann Beziehungen retten.

Ich für meinen Teil klappe jetzt zu.