Erstellt am: 29. 9. 2012 - 10:13 Uhr
Nerd mit Brecheisen
Er trägt Brille und Bart, hat einen Doktor in Experimentalphysik, schweigt wie Clint Eastwood und ist verantwortlich dafür, dass im Schweizer CERN seit 2008 ein Brecheisen auf Vorrat liegt - für Notfälle.
Valve
Gordon Freeman, der Nerd-Action-Held aus Valves "Half-Life"-Reihe, ist ein Superstar der Games-Szene, und das, obwohl man ihn in bislang vier Spielen eigentlich nie zu Gesicht bekommt und schon gar kein Wörtchen sagen hört. Stattdessen sehen wir wie im First-Person-Shooter üblich durch Gordons Augen und identifizieren uns umso mehr mit dem stummen Protagonisten, je weniger wir von ihm wissen: Gordon Freeman, das sind wir selber.
1998 schenkte uns Valve mit seinem Debüt "Half-Life" einen der Höhepunkte im erblühenden Genre des First-Person-Shooters: einen intelligenten, spannenden Science-Fiction-Action-Thriller, der uns auf zuvor nie dagewesene Weise eine Geschichte im Gewand des damals noch "Egoshooter" genannten Genres erzählte. Jetzt, 14 Jahre später, erinnert uns ein beispielloses Fan-Projekt wieder an die Größe dieses unvergessenen Ausnahmespiels: "Black Mesa Source", von freiwilligen Moddern und Hobbyprogrammierern in unglaublichen acht langen Jahren verwirklicht und vor kurzem zum kostenlosen Download bereitgestellt, hat den optisch angegrauten Klassiker minutiös mit nur minimalen spielerischen Anpassungen in die den heutigen Grafikvorstellungen entsprechende Source-Engine übersetzt. Das Ergebnis ist nichts weniger als die definitive aktualisierte Version eines erstaunlich zeitlosen Games-Klassikers geworden: "Black Mesa" ist ein mit Respekt und außerordentlicher Werktreue spektakulär verschönertes "Half-Life" - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Black Mesa Project
Theaterstück für einen Zuseher
"Black Mesa" ist der Name des experimentellen und supergeheimen Forschungslabors, in dem von Beginn an alles schief läuft. Die geniale Anfangssequenz vom Original wie Remake zeigt uns bereits eine Vorahnung des Kommenden: Auf einer Schwebebahn fahren wir langsam immer tiefer ins Herz des riesigen unterirdischen Komplexes, vorbei an Industriehallen, Canyons, Forschungslabors, Militärstützpunkten und Arbeitsrobotern. Dieser Ort, unser Arbeitsplatz und schon bald Schauplatz eines missglückten Experiments, das miesgelaunten Außerirdischen ein Einfallstor auf die Erde bieten wird, ist der grandiose eigentliche Hauptdarsteller des Spiels.
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Der Grund, warum "Half-Life" seinen Spielern wohl eine Spur lebhafter im Gedächtnis geblieben ist als seine Nachfolger, liegt in der spielerisch abwechslungsreichen Mischung aus Action, Puzzles und Erforschen, aber auch und vor allem in der meisterhaften Inszenierung: Mit fast klassischer Konsequenz lässt Valve sein Actionspektakel an einem Ort, an einem Tag und mit nur einer zentralen Hauptfigur voranschreiten und verwandelt dabei mit unzähligen kleinen Script-Ereignissen, liebevoll gestalteten Details und beeindruckenden Locations das Spiel zur Theaterinstallation zum Durchwandern. Es gibt keine Cutscenes, die Geschichte wird in Dialogen und Handlungen gezeigt statt schlicht erzählt. So konsequent wie Valve hat kaum ein Entwickler die First-Person-Perspektive als dramatische Chance begriffen.
Ausnahmespiel mit kleinen Schwächen
"Black Mesa Source" kann kostenlos von der Projektseite bezogen werden; für das Spiel werden Steam sowie das kostenlose "Source SDK 2007" benötigt.
Die aktuelle Version von "Black Mesa" umfasst etwa 80% des Inhalts von "Half-Life"; die restlichen Kapitel und das Finale sollen in Kürze folgen.
"Black Mesa" zeigt uns in seiner Treue zum Original, dass "Half-Life" auch nach 14 Jahren noch ein Ausnahmespiel ist, behält aber auch die Schwächen des großen Klassikers von 1998 bei: Manche der Industriehallen sind etwas zu groß und gleichförmig, und die in der Zwischenzeit aus gutem Grund in Vergessenheit geratene Tradition des "Crouch-Jump", des akrobatischen Verknotenmüssens der Finger beim zweiten möglichen Sprungmanöver, hat wohl niemand so richtig vermisst. Von diesen Kritikpunkten abgesehen ist "Black Mesa" aber trotz des Alters der Vorlage erstaunlicherweise so frisch, beeindruckend und spannend, dass sich viele der in der Zwischenzeit erschienenen und auch aktuellen First-Person-Shooter den Vorwurf der Stagnation oder gar des Rückschritts hinter den eigentlich uralten Klassiker gefallen lassen müssen - autsch.
Fans des Originals werden sich auf jeden Fall angesichts dieses liebevollen und spektakulären Remakes wundern, wie gut ihnen das Original in Erinnerung geblieben ist. Wer "Half-Life" bisher nie gespielt hat, hat mit "Black Mesa" die einzigartige und beneidenswerte Gelegenheit, einen der großen Klassiker der jüngeren Games-Geschichte das erste Mal zu erleben. Für beide Gruppen gilt: Es zahlt sich aus.