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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

27. 9. 2012 - 14:25

Für den Sternenhimmel über dem Dorf in der Stadt

Unser Artist of the Week: Mit "Shields" haben Grizzly Bear erneut ein Meisterwerk der Neo-Romantik geschaffen.

Old Manhattan and New Brooklyn

Mehr noch als die erfolgreichen Kollegen vom Animal Collective, Beirut oder TV On The Radio symbolisieren Grizzly Bear den Aufstieg Brooklyns zu Amerikas most talked about Kreativviertel. Mit der ihrer Musik innewohnenden, sanften Nachhaltigkeit, der Experimentierfreude am Objekt und einer Erfolgsgeschichte, die lieber mit robusten Schuhwerk abgeschritten wird als mit sündteueren Edelbling-Sneakers, stehen sie stellvertretend für eine Haltung, die nur wenig mit der Ellbogenmentalität Manhattans, aber viel mit dem Wandel der Boheme hin zur reformistischen Bürgerlichkeit zu tun hat.

Grizzly Bear

Warp Records

Während an der Wall Street in Downtown Manhattan der Kasino-Kapitalismus seine Parties auf Kosten der Allgemeinheit schmiss und im Post-9/11-New-York kaum eine U-Bahnfahrt ohne Lautsprecherwarnung vor dem eventuell verdächtigen Sitznachbarn auskam, holte man in Brooklyn im Lauf der letzten Dekade die romantisch verklärte Natur zurück in die Stadt. Brachen und Industrieruinen verwandelten sich in blühende Community-Gärten, Künstlerateliers und Konzertvenues; die Bärte der Urban Farmers, Locavore-Experten und Artisanal-Foodies wuchsen so wild wie ihre Dachpflanzungen und Bordsteingewächse.

Typen in Schlabberhüten und Goldgräber-Kleidung brauten Bier und kochten Schokolade wie Urgroßvater, hemdsärmelige Frauen mit großen Guckis gründeten Biomarmeladefirmen, die Anarchie im Einmachglas versprachen. Erst in Brooklyn wurde ich zum Quasi-Kommunisten. So bin ich Mitglied in einer sogenannten Food-Coop, einem Non-For-Profit-Biosupermarkt, geworden, der von der Arbeitsleistung seiner Mitarbeiter und lokal erzeugten Nahrungsmitteln lebt. Ich schlichte einmal im Monat Einkaufsregale und bekomme dafür im Gegenzug erschwingliches Gemüse, das tatsächlich nach Gemüse schmeckt und tatsächlich bereits nach wenigen Tagen seine Farbe ändert.

Mast Brothers Chocolate

Christian Lehner

Zwischen Smithsonian, Dickens und Bio-Zukunft: Artisanal Foodies in BK - Mast Brothers Chocolate, zu sehen im Portrait am kommenden Kulturmontag auf ORF2

In der Indie-Musik minus Hip Hop kann man den Wandel Brooklyns am Generationswechsel Mitte der Nullerjahre festmachen. Die aus der DIY-Szene entsprungenen Yeah Yeah Yeahs und Liars, die wie aus einer anderen Zeit kommend noch den rauen Charakter des alten Brooklyn verkörperten, machten sich auf zu neuen Ufern. Übernommen wurde der Stall von fantastischen Sporen- und Pilzanbetern wie Devendra Banhart, White Magic oder CocoRosie, bis auch sie ihren introspektiven Weird-New-America-Folk in die Welt hinaustrugen. Ihnen zur Seite stellten sich robustere Popentwürfe von Bands wie Animal Collective, Yeasayer, TV On The Radio und eben auch Grizzly Bear.

One Roarrr! for BK

Dass ausgerechnet das von Ed Droste gegründete Quartett für Albenproduktionen das Dorf in der Stadt verlässt, steht nicht im Widerspruch zu ihrem Status als „one of Brooklyn’s finest“. Im Gegenteil, kommen die Bären doch stets mit einem noch pralleren Sack voller Äpfel zurück.

Neben der noblen Enklave Cape Code an der Küste von Massachusetts, wo Eds Großmutter ein Yellow House besitzt, in dem Grizzly Bear seit jeher aufnehmen und wo schon mal das eine oder andere Feuerknistern in einem Song landet, ist die Band für das neue Album „Shields“ auch wieder in die Einschicht von Upstate New York gerauscht und sogar in die Wüste nach Texas gegangen.

Ed Droste Grizzly Bear

Christian Lehner

Ed Droste am Vorabend der großen Tour in seiner Wohnung, BK September 2012

Der Trip nach Howdie-Land hatte allerdings einem gruppendynamischen Zweck. Nach einer längeren Pause, in der Chris Taylor und Daniel Rossen Soloprojekte forcierten und Ed Droste seinen im Hit Two Weeks besungenen Lebensgefährten geheiratet hat, wollten die Bären herausfinden, ob sie sich künstlerisch überhaupt noch etwas zu sagen haben. Der internationale Erfolg des Vorgängeralbums Veckatimest hob die Band zuvor in die lichtesten Höhen einer irdischen Indie-Existenz. „Da muss man erst einmal wieder runterkommen und sehen wie es weitergeht“, so Ed Droste beim Interview in seiner Wohnung in East Williamsburg.

Shields

Was bei „Shields“ sofort auffällt: der Grizzly Bear hat gelernt zu steppen. Songs wie „Sleeping Ute“ (Ed Droste: „kein deutsches Mädchen, sondern eine Berg in Colorado!“), „Speak In Rounds“ oder auch die zweite Single „Yet Again“, überraschen mit fast schon aggressiven Gitarrenriffs aus der Klampfe Daniel Rossens. Droste führt die Gefühlswallungen der sonst so manierlichen jungen Männer auf die ersten, frustrierenden Fehlversuche in Texas zurück und die daraus resultierende Dynamik „erst recht ein echtes Bandalbum zu produzierenen.“ Das Vorhaben ist gelungen. Rossens Gitarre und Chris Bears Schlagzeug stehen gleichwertig neben Chris Taylors Produktion und Ed Drostes Gesang, der seine Expressivität noch ein wenig nach oben geschraubt hat.

Grizzly Bear

Warp Records

Es ist schier unglaublich, wie reich an Schätzen dieses Album ist. Die Arrangments sind so deep, dass man immer wieder die Stopptaste drücken möchte, um sie näher zu betrachten und sich in ihnen zu verlieren. Wenn der Vorgänger „Veckatimest“ einige Fleetwood-Mac-Momente hatte, so ist „Shields“ ein Beatles-freundliches Wesen geworden. Besonders wird das in meinem kleinen Favoriten „Gun-Shy“ deutlich. Über den dynamischen Beat von Chris Bear lassen die etwas angetupften Vocals von Ed Droste die Schmetterlinge flattern und Käfer fliegen. Ähnliche Fab-Four-Momente post Pilzkopfhaarschnitt stellen sich in den String-Arrangements des weitere Höhepunkts „Half Way“ ein. Den Solo-Lennon kann man sich dann bei „A Simpler Answer“ abholen. Aber bitte vergesst diesen übermächtigen Vergleich auch gleich wieder. Das Album steht für sich allein und zeigt die Grizzlies am Höhepunkt ihres Schaffens.

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Thematisch steigen Ed Droste und seine Bären erneut hinab in die Welt der Träume und begegen dort Beziehungsmonstern und den unguten Geistern der Heimat. Das Ziel bleibt der Sternenhimmel über dem Dorf in der Stadt.

Ungeduldige Musikfreunde werden auf „Shields“ erneut wohl eher nicht auf ihre Rechnung kommen. Und wer in den Barden Brooklyns bloß preppy Soundtrack-Komponisten der Gentrification sieht, hat eines nicht bedacht: Gegen den prognostizierten Impact des kommenden Wochenende unter der Obhut von Jay-Z eröffnenden Mega-Sport-und-Entertainment-Tempels Barclays Center im kulturellen Herzen Brooklyns ist die gesamte Musik-, Locavore- und Artisanal-Foodie-Szene des Boroughs das sprichwörtliche Lercherl im Wald. Aber das ist eine andere Geschichte, die demnächst erzählt werden will.