Erstellt am: 27. 9. 2012 - 16:30 Uhr
Moskitos ergreifen keine Partei
Malaria ist eine der tödlichsten Infektionskrankheiten der Welt. Jährlich fallen ihr rund eine Million Menschen zum Opfer, die meisten davon sind Kinder unter fünf Jahren in Afrika. Erreger der Malaria sind einzellige Parasiten (Plasmodien) die durch den Stich weiblicher Stechmücken der Gattung Anopheles von bereits infizierten Menschen auf gesunde übertragen werden. Bis heute gibt es keinen Impfstoff gegen Malaria.
Die Macht der Natur ist es, den Tod in ein winziges Wesen, wie ich es bin, stecken zu können. Eines, das man übersieht. Das nichts ist. Ein krakeliges T in Schwarz.
Am Nachmittag läuft Carmen noch am Strand mit ihrem Freund um die Wette, in der Nacht wird sie von Schüttelfrost, hämmernden Kopfschmerzen und Brechreiz geweckt. Ein Jahr hatte sie in Rio de Janeiro in einem Architekturbüro gearbeitet. Danach stand noch eine Reise in den Amazonas an. Man kann Brasilien nicht verlassen, ohne den Wald gesehen zu haben. Den wiederum verlässt man nicht, ohne Schwärmen von Moskitos begegnet zu sein. Eines der Exemplare, auf die die 27-Jährige traf, trug den Malariaerreger in sich.
Tim Flach—Stone/Getty Images
Durch einen einzigen Stich und die damit übertragenen Parasiten gehen Carmen und die Stechmücke eine Verbindung ein. Durch sie fließt nun dasselbe Blut. Das Insekt teilt fortan die Empfindungen der jungen Frau, und schildert ihren Krankheitsverlauf, als würde es selbst daran sterben.
Tödliche Triade
Jonas Unger
Carmens Pech ist, dass sie der einzige Malaria-Fall inmitten einer Dengue-Fieber-Epidemie ist. Die Ärzte sind blind für die sonst so typische Tropenkrankheit. Nach einer Reihe von Fehldiagnosen und falschen Behandlungen verschlechtert sich ihr Zustand zusehends. Dem Moskito ringt die Macht- und Ahnungslosigkeit der vermeintlichen Krone der Schöpfung bald nur mehr bitteren Hohn ab. Die kleinen schwarzen Parasiten, die sowohl Mücken als auch Menschen infiltrieren, stehen eindeutig an der Spitze der tödlichen Triade.
Die Geißeln wollen euch nicht vernichten. Sie wollen überleben. Sie haben keine weiteren Ambitionen. Eure Schmerzen, euer möglicher Tod sind nichts weiter als ein Kollateralschaden für sie. Ist das nicht phantastisch, ihr Menschen seid nur eine unnütze Hülle für Wesen, die es nicht mal zu Fühlern geschafft haben, die nicht mehr als ein Klumpen ohne Geist und Seele sind.
Sprachrohr der Natur
Carmen Stephan macht die Stechmücke zum Sprachrohr der Natur. Sie lässt sie erzählen, wie die Malaria entdeckt worden ist und wie stark sie die menschliche Kulturgeschichte beeinflusst hat. Manche Schlachten seien nicht durch Kanonen geschlagen worden, sondern durch hungrige graue Schwärme.
Tatsächlich gehen Historiker davon aus, dass Malaria-Epidemien die Feldzüge von Alexander dem Großen abgebrochen haben und maßgeblich am Untergang des Römischen Reichs ("Römisches Fieber") beteiligt waren. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war die Tropenkrankheit auch in Mitteleuropa verbreitet ("Marschenfieber"), wo sie in beiden Weltkriegen gewütet hat.
"Moskitos ergreifen keine Partei", quittiert die kleine Mücke ihre Berichte, während sie sich am Krankenbett ihrer letzten Blutmahlzeit niederlässt.
Der Name Malaria kommt vom Lateinischen "mala aria", auf Deutsch "schlechte Luft", weil man glaubte, die Krankheit werde über giftige Dämpfe aus den Sümpfen übertragen. Bis heute ist daher auch der Begriff Sumpffieber gebräuchlich.
Zudem ist die Geschichte der Malaria eine Entwicklung voller haarsträubender Aberglauben, wirkungsloser Hausmittel und fataler Irrtümer.
Ferdinand de Lesseps, der Kanalbauer hatte von Malaria gewusst. Aber nichts von einem Insekt. De Lesseps wollte mit aller Macht einer Epidemie zuvorkommen. Noch bevor die Arbeiter in Panama anreisten, ließ er hochmoderne Krankenhäuser bauen. Mit blühenden zauberhaften Gärten. In Colón hatten die Patienten Blick auf das Meer und die tropische Luft wehte durch die offenen Räume. Ja, und die Füße ihrer Betten standen in Wassertöpfen. Hübsche, kleine Wassertöpfe, um Ameisen und Spinnen am Hochklettern zu hindern. Darin brüteten wir.
S. Fischer Verlag
Carmen Stephan ist am stärksten, wenn sie wissenschaftliche Erklärungen und historische Anekdoten in gut lesbare Prosa packt. Die Personifizierung des Moskitos geht aber stellenweise zu weit. Etwa als das Insekt ein Gewissen entwickelt, und versucht mit Blütenstaub das Wort "Malaria" zu schreiben, um die Menschen endlich auf die richtige Spur zu bringen und Carmen zu retten. Oder wenn es seinen Stechrüssel wie einen mahnenden Zeigefinger hebt und sein hochfrequentes Sirren in einen pathetischen Bass umschlägt.
Ihr plündert die Natur, genauso wie euch die Geißeln plündern. Ist das nicht gerecht?
Diesen moralinsauren Ton nimmt man in Kauf, weil es auf eine makabre Weise faszinierend ist, wie diese einzelligen Parasiten seit Jahrtausenden mühelos ganze Populationen einer hochentwickelten Spezies hinwegraffen, der sie zugleich durch die Entwicklung von Resistenzen immer einen Schritt voraus sind.
Wer auf dramatisch inszenierte Naturdokus steht, dem wird auch "Mal Aria" gefallen.