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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 9. 2012 - 22:30

Fußball-Journal '12-36.

Reportage von einer dieser David-Goliath-Idyllen: wie der Alkbottle den Europapokalsieger gebogen hat.

Auch in der aktuellen Saison begleitet das Fußball-Journal '12 (wie schon in den Vorjahren) die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das mediale Umfeld.

Heute mit einer kleinen Cup-Geschichte aus Wien-Meidling, anlässlich des Spiels Wiener Viktoria gegen den Kapfenberger SV.

Nicht dass Kapfenberg ein Teil der großen weiten Welt wäre. Aber wer jemals im herbstlich vor sich hinblätternden, halb in die Voralpen-Ausläufer hineingebauten Stadion der obersteirischen Metropole gesessen ist, der hat schon eine Ahnung davon, wie richtiger Fußball riecht.

I

Insofern war der heutige Ausflug des Kapfenberger Busses in die Hauptstadt kein Besuch in der Metropole. Denn man parkte in der Meidlinger Oswaldgasse, gleich hinter einem Nebenschienenstrang, nächst eines sehr kleinen Fußballplatzes eines Vororte-Vereins par excellence. Um seine Pflicht in der zweiten Runde des ÖFB-Cups zu erfüllen.

Der SC Wiener Viktoria spielt in der Wiener Landesliga, auf Amateur-Basis, um die Menschen zwischen Philadelphia-Brücke und Schöpfwerk mit brauchbarem Sport und einer kleinen Identifikations-Plattform zu versorgen.

II

Und die längst dem Qualtinger-Spruch entwachsenen Kapfenberger waren es, die Glanz in die außerhalb seines Bezirks unbekannte Hütte brachte. KSV-Coach Thomas Von Heesen ist Europapokal-Sieger (in Happels großem HSV-Team), Sanel Kuljic, Joachim Standfest und Patrick Wolf sind vormalige ÖFB-Teamspieler. Und allesamt sind sie Profis, die Kapfenberger.

Die Wiener Viktoria der letzten Jahre ist die Idee von Roman Gregory, in Meidling beheimateter Rockstar, der nicht nur den e.h. Präsidenten für den Verein macht und seine Kontakte in die Musikbranche weidlich bemüht, sondern auch die kleine Vision eines halbwegs am 21. Jahrhundert orientierten Fußballs hat. Da spricht zwar die Verpflichtung des berüchtigten Initiativ-Knausern Toni Polster als Coach eindeutig dagegen - die kann man aber auch als rein auf die Torheit der Medien abgestimmte Showtrainer-Verpflichtung lesen.
Hinter dem Kantinen-Dippler steht nämlich eine ambitionierte Truppe samt Mental-Coach, die die Vereinspolitik (die sich etwa über soziales Engagement und Freundschaftsspiele mit dem FC St. Pauli definiert) nicht nur als leere Hülse dastehen lassen.

III

Kapfenberg ist im Mai aus der Bundesliga abgestiegen - das hat großteils Werner Gregoritsch, der Typ, der jetzt das U21-Team verunstalten darf, verbockt. Sein Nachfolger, eben Thomas von Heesen, scheiterte im Frühjahr mit einem grotesk überfüllten Einkaufswagen von zufällig eingesammelten Legionären und hat jetzt, in Liga 2, einen unerwartet verheerenden Start hinter sich. Als Co-Favorit hat man einen mauen Sieg am Konto und liegt auf Platz 8. Die vielen von Sturm Graz geholten Profis machen Fehler wie die Anfänger und selbst Hoffnungsträger wie Elsneg oder Grgic kriegen keine zwei Pässe hintereinander zustande.

IV

In so einer Situation ist ein ÖFB-Cupspiel geradezu prädestiniert für ein Husarenstück des Underdogs und einen weiteren psychologischen Selbstfaller des Höherklassigen. Zudem nahm die Viktoria den Kapfenberger Falken ihre rote Dressfarbe - der Gegner musste auf Gelb ausweichen. Das unter der nachmittäglichen Meidlinger Sonne stattfindende Match hatte also alle Voraussetzungen.

Und erfüllte sie dann auch gleich.

V

Ein schlimmer Fehler des zweiten Tormanns Gacevski (Von Heesen lässt nach alter deutscher Tradition die Nummer 2 im Cup ran) und ein herrlich ausgespielter und von der Abwehr nicht unterbundener Gegenangriff bedeuten eine 2:0-Führung zur Halbzeit; da kann der KSV noch so spielerisch überlegen sein.
Zu allem möglichen Pech (nach jedem Gegentor in diesem Spiel vergibt Kapfenberg im nächsten Angriff eine hunderprozentige Ausgleichschance) und grindiger Tagesform (Tormann Gacevski legt sich fast jeden Corner oder Freistoß-Cross vor lauter Nervosität fast selber ins Tor) kommt auch noch sträfliche Unkenntnis des Terrains: erst in Habzeit zwei kommt Gacevski mit einer langen Tormannhose aus der Kabine - auf einem Kunstrasenplatz wie in Meidling die erste Bürgerpflicht.

VI

In der Halbzeit blühen dann Geschichten von unter dem Wettradar, angeblich und überhaupt wäre genau dieses Match aufgetaucht - und schon erklärt die Ur-Wiener Verschwörungstheorie die Schwächeperiode der (leider tatsächlich historisch belasteten) Kapfenberger.
Ich kann und will das angesichts der eindeutig psycholgisch blockierten Mannschaft nicht so sehen. Was da an Fehlpasses und wegspringenden Bällen passiert, lässt sich nicht faken.

Coach Von Heesen ist massiv angepisst; seine Anweisungen - die auf diesem schmalen Platz die Adressaten tatsächlich erreichen - beziehen sich auf Selbstverständlichkeiten, sowas hätte ich eher bei Trainingsspielen erwartet. Verunsichert die Akteure noch zusätzlich. Toni Polster ist hingegen nur genau einmal zu hören (als er sich quer über den Platz nach einem Verletzten erkundigt.)

VII

Wr. Viktoria: Safin; Ikis, Tokgöz, Mann, Netsch; Gordon, Blair (54. Kranz), Bernhard Ungerböck, Christoph Ungerböck; Milosavljevic (2H Serdar), Kapeller (112. Özmen).

Kapfenberg: Gacevski; Pitter, Schönberger, Pürcher, Standfest; Sencar, Grgic, Elsneg; Wendler (65. Ramos), Kuljic (2H Babangida), P. Wolf.

Tore: Milosavljevic (6.), Gordon (31.), Kapeller (94.) bzw. Ramos (74.), Sencar (78.), Elsneg (100.).

Elferschiessen: Tokgöz rechts flach 1:0, Elsneg rechts flach 1:1; Özmen rechts flach 2:1, Sencar links flach, Safin hält; Chr. Ungerböck halblinks 3:1, Standfest drüber; Mann flach rechts 4:1.

Von Heesen bleibt in der 2. Halbzeit bei seinem System, das er selber als 4-3-3 sieht, bringt statt dem alten Kuljic den winzigen Haruna Babangida als zentrale Spitze.

Polster bleibt bei seinem brav inszenierten 4-4-1-1, das vor allem deshalb gut läuft, weil einige Eckpfeiler strategisch denkende Köpfe sind. Kapitän Ibrahim Ikis etwa, der Rechtsverteidiger, ist ein wichtiger Beruhiger; Innenverteidiger Deniz Tokgöz schießt bösartige Bananenfreistöße; im zentralen Mittelfeld agieren der staksig aussehende, aber technisch erstaunlich fitte Lulatsch Bernhard Ungerböck und Kollege Nigel Blair mehr als umsichtig; rechts treibt der ebenso wie Blair aus der Schulz-Academy stammende Ami Darryl Gordon sein Team mächtig nach vorne, wo mit Markus Kapeller ein echter Uli-Hoeneß-Typ lauert.

VIII

Das reicht um den KSV einzuschüchtern.
Letztlich tut es ein völlig kopfloses Team selber; und ein Coaching-Team, das die Truppe wie Hilfsschüler behandelt - sowas wird auf einem kleinen engen Platz, vor allem, wenn man direkt neben den Bänken steht, allzu deutlich sichtbar. Wenn ein Freistoß-Trick von Trainer mit dem Ruf "Baba! Hole!" angekündigt wird, dann ist das kein Zeichen für professionelle Selbstständigkeit.

Dann kommt in der 65. der Spanier Ramos, Von Heesen zieht Babangida hinter ihn und stellt Elsneg auf der Seite.

IX

Da das nicht zu reichen scheint, schlägt Co-Trainer Von Ahlen per Scoreboard ein 3-4-3 vor, das nach kurzer Diskussion mit Von Heesen aber nicht verwirklicht wird. Es gibt auch keine Wechsel mehr, Von Heesen hat nur noch zwei Kids auf der Bank. Burgstaller ist kurzfristig ausgefallen, sowie verletzt sind Felfernig, Micic, Gollner, der zweite Spanier Barragan, Weinberger hat einen Virus.

Plötzlich erhöht sein Team aber auch ohne Umstellung den Druck und schafft mit einem Ramos-Lauf (74.) und einem Sencar-Corner (78.) den Ausgleich und spielt ein paar kurze Minuten, so wie man sich das von der individuellen Klasse dieser Mannschaft erwarten darf.

X

Danach erstarrt Kapfenberg wieder in Ängstlichkeit, die wie Absicht aussieht, aber durch die Lage des Teams erklärbar bleibt. In der 81. chipt Ramos eine Chance übers Tor, die Bank applaudíert und feuert mit "Super, Miguel!" an. Von Heesen ist anderer Meinung: das könne Ramos machen, wenn es 3:0 stehen würde, nicht aber bei diesem Stand, da müsse er draufknallen.

XI

Von Heesen bleibt auch in der Verlängerung knurrig. Als Dieter Elsneg in Minute 100 das 3:3 schafft (Kapeller hatte die Viktoria mit einem Sensationsschuss in Führung gebracht) und sich bei Patrick Wolf einiges in Richtung Viktoria-Fans (die ihn davor minutenlang unschön besungen hatten) entlädt, sagt der deutsche Coach einen sehr kritischen und sehr wahren Satz über seinen Spieler. Ich hoffe, dass er Wolf das später, in angemessener Form, auch selber sagt.

Die erste Halbzeit der Verlängerung hat einiges an Spannung zu bieten; die zweite ergibt sich dann ins Vorhersehbare.

XII

In Minute 111 kommt dann Erkan Özmen, der einzige bei Viktoria, dessen Geschichte ich kenne. Özmen ist einer der vormaligen Mitspieler der grauslichen und glückhafterweise eingestellten Austria Next Football Star-Show, die neben Frenk Schinkels auch Toni Polster mitzuverantworten hatte. Nach einem wenig erfolgreichen Ausflug in die deutsche Halbprofi-Szene ist er nach Wien heimgekehrt und Arbeitskollege einer Freundin meiner Freundin, topseriöses Business. Heute hat er sich freigenommen, um das Spiel mit Anpfiff 16 Uhr mitmachen zu können, und dann gegen viertel sieben wird er eingewechselt. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er ein guter Elferschütze ist.

Özmen verwertet seinen Elfer, den dritten des Shoot-Outs, dann auch sicher. Nach ihm scheitert Konkurrent Sencar am Tormann, später schaufelt Standfest den Ball drüber und die Wiener Viktoria gewinnt das Elferschießen mit 4:1.

XIII

Gern wird ein Sieg im Elferschießen als glücklich bezeichnet. Trifft in diesem Fall nicht zu. Wie schon in der Pause vor der Verlängerung hat die Körpersprache alles gesagt: die Gelben sind - bis auf den standfesten Standfest - herumgelegen, und waren auch vor den Penaltys ein loser Haufen; die rote Viktoria bildete hingegen einen starken Kreis, war sich ihrer Sache sicher.

Das Resultat: eine Sensation am Spätnachmittag. Die Typen, die sich freinehmen mussten, werfen die Vollprofis raus. Der Alkbottle biegt den Europapokalsieger.

XIV

Der Alkbottle läuft nach dem Abpfiff wie damisch übers Spielfeld, das Glück springt ihm aus den Augen, ich habe sein Gesicht noch nie so leuchten sehen. Später, als er das Stadionmikrofon überantwortet bekommt, ist Gregory, der ansagenerprobte Vollprofi, immer noch hörbar überwältigt. Das ist der Beginn einer kleinen improvisierten Block-Party.

XV

Die Kapfenberger sind mittlerweile längst abgetaucht. Draußen steht der Tormanntrainer mit dem Einser-Goalie Patrick Kostner vor dem Bus, plaudert gedämpft und lässt die letzten Sonnenstrahlen ins Gesicht tropfen. Kostner ist der einzige Kapfenberger Tagessieger.

In der Oswaldgasse telefoniert ein Pensionist, der auf einem Bankerl sitzt; er erzählt die frohe Botschaft weiter: A Wahnsinn, die Viktoria. Erst auf der Philadelphia-Brücke deckt der Straßenlärm die Meidlinger Idylle langsam zu.