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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

26. 9. 2012 - 15:05

Was wirst du, wenn du groß bist?

Immer wieder wurde mir diese Frage von meinen Eltern gestellt. Ich antwortete immer mit einem Schulterzucken: "Na, eben groß!"

Es gibt einen alten bulgarischen Aberglauben, dass der Ort, wo die Nabelschnur des Kindes hingeworfen wird, die spätere berufliche Laufbahn bestimmt. Bleibt die Nabelschnur im Krankenhaus, dann wird das Kind Arzt, wird sie heimlich im Theater versteckt, dann wartet eine Karriere als SchauspielerIn. Das schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Nabelschnur im Müll landet. Mein Vater warf meine auf das Dach der bulgarischen Akademie der Wissenschaften.

Mit Aktzent!
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov

Danach kommt noch eine weitere Probe fürs berufliche Interesse des Kindes. Sobald es seine ersten Schritte macht, werden auf einen kleinen Tisch, einige Meter entfernt, verschiedene Gegenstände gelegt. Angelockt von den interessanten und unbekannten Sachen, geht das Kind zu ihnen und nimmt natürlich einen der Gegenstände in die Hand. Und sein beruflicher Weg wird erneut bestimmt.

Baby mit Krawatte

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Da meine Verwandten ja schon entschieden hatten, dass ich ein Professor werden soll, gab es auf dem kleinen Tisch ein dickes Buch, ein Stück Kreide, einen Zeigestock und ähnliche Gegenstände, die mich in die wissenschaftliche Laufbahn zwingen sollten. Ich ignorierte die dicken Bücher, die große Brille und den Zeigestock und zielte ohne Bedenken in Richtung dieses wunderbaren Stocks mit Löchern und einem Kabel am Ende. Jemand hatte dort auch ein Mikrofon liegen gelassen. Heute gibt keiner zu, wer es war. Jeder beschuldigt den anderen, dass er so die für mich erhoffte Laufbahn sabotiert hatte.

Ich habe nie gewusst, was ich mal werden soll. Immer wieder wurde mir diese Frage von meinen Eltern gestellt. Ich antwortete immer mit einem Schulterzucken. "Was wirst du werden, wenn du groß wirst?" - "Na, eben groß!"

Ganz anderes tat es mein Freund Milan. Wir beide waren das beste Schul-Tandem, das man sich vorstellen kann. Ich schrieb von ihm in den Fächern ab, in denen er gut war und er machte das gleiche bei mir. Milan war seit seinem achten Lebensjahr sicher, dass er im Ausland Architektur studieren wird, um die Baufirma seines Vaters in Sofia später zu übernehmen. Er konnte es gar nicht erwarten, mit dem Studium anzufangen, damit er schnell wieder zurück kann.

"Mach deine Rechnung nie bevor der Kellner kommt", sagt ein bulgarisches Sprichwort. Milan ist immer noch nicht zurück, er hat eine Freundin aus Mexiko in Spanien und hat überhaupt kein Verlangen, wieder in Bulgarien zu sein. "Das Sicherste bleibt immer, nur das Nächste zu tun, was vor uns liegt", schreibt Goethe in seinem Bildungsroman "Wilhelm Meisters Lehrjahre".

Meine Verwandten haben sich längst von der Hoffnung getrennt, dass ich eines Tages ein Professor werde. Ab und zu sagt jemand mit Lächeln "Ja, als Kind warst du ein Professor und jetzt…" Keiner spricht den Satz bis zum Ende und so weiß ich immer noch nicht, was hinter diesen drei Pünktchen steckt. Aber ich will auch nicht fragen.

Da ich immer viel zu viel spreche, sagt meine Mutter manchmal zu mir: "Die anderen Mütter gebären ihre Kinder mit einem goldenen Löffel mit Mund, ich habe meines mit einem Mikrofon mit Mund bekommen." Ob sie darüber froh ist oder traurig, will ich auch nicht fragen.

Da ich immer noch nicht weiß, was ich werden will, wenn ich groß genug bin, und was ich im Leben machen werde, beantworte ich diese Frage wieder mit einem Zitat aus demselben Goethe-Roman: "Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen."

Ich glaube, die klugen Schriftsteller haben ihre Bücher geschrieben, um uns Normalsterbliche aus den schwierigsten Situationen des Lebens herauszuziehen und vor den heikelsten Fragen zu retten.