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25. 9. 2012 - 16:55

"Illegalität sieht man nicht"

Ed Moschitz erzählt in seinem ersten Dokumentarfilm "Mama Illegal" von moldawischen Frauen, die illegal in Österreich arbeiten. Im Interview mit Erika Koriska erzählt er von den Hintergründen des Films.

Frauen, die von der Armut getrieben illegal im Ausland arbeiten, während ihre Kinder daheim ohne ihre Mütter aufwachsen. Darum geht es im Dokumentarfilm „Mama Illegal“ von Ed Moschitz. 2004 hat der Journalist Ed Moschitz zum ersten Mal über das Schicksal moldawischer Frauen berichtet, die illegal in Österreich arbeiten - und zwar in der Schauplatzdokumentation „Dorf ohne Mütter.“ Über sieben Jahre lang hat Ed Moschitz dann drei Frauen aus diesem moldawischen Dorf begleitet. Daraus ist sein erster Kinodokumentarfilm entstanden, der ab Freitag in den österreichischen Kinos zu sehen ist. Im Interview mit Filmredakteurin Erika Koriska erzählt Ed Moschitz, wie es war, diesen Film zu drehen.

Erika Koriska: Wie hast du die Frauen gefunden, die illegal in Österreich und Italien arbeiten, und bereit waren, vor der Kamera über ihre Situation zu sprechen?

Ed Moschitz

Pool Filmvereleih

Ed Moschitz

Ed Moschitz: Die Aurica habe ich gut gekannt, denn die hat auf meine Kinder aufgepasst. Ich habe sie einfach irgendwann einmal gefragt, ob es die Möglichkeit gibt, auch mit anderen Frauen Kontakt aufzunehmen und ich hatte dann innerhalb kürzester Zeit Kontakt zu sehr vielen Menschen, die illegal in Österreich leben. Interessant ist, dass es ungefähr 50.000 bis 100.000 in Österreich geben soll. Menschen, die illegal eingereist sind, sich einen Job suchen und hier leben. Es war dann auch möglich, andere Frauen aus diesem Dorf kennen zu lernen. Eben Nataşa und Raia, die in Bologna arbeitet.
Insgesamt habe ich mit sieben, acht Frauen begonnen zu arbeiten. Die Restlichen sind aber wieder abgesprungen. Die hatten nicht die Nerven, sich während ihrer Illegalität von einer Kamera beobachten zu lassen. Das war sehr schwierig für sie.

Ich denke mir auch: es ist eines, darüber zu reden, wenn die Kamera nicht läuft. Aber dann aber vor der Kamera zu stehen, wenn man sonst versucht möglichst nicht aufzufallen…

Ja, es braucht sehr viel Vertrauensarbeit. Man muss die Leute gut kennen, man muss sich mit ihnen beschäftigen, man muss ihnen immer wieder gut zureden… Sie müssen einfach die Gewissheit haben, dass man verantwortungsvoll mit dem Material vorgeht. Sie haben zum Beispiel unglaubliche Angst vor ihren Nachbarn oder vor der Polizei. Das sind Frauen, die gehen Abends niemals in ein Kaffeehaus, weil sie sich davor fürchten, dass es vielleicht eine Polizeikontrolle gibt.

Aurica umarmt jemanden, Filmstill Mama Illegal

Poool Filmverleih

Aurica

Vor dem Kinofilm gab es die Schauplatzreportage "Dorf ohne Mütter". Wann hast du dich entschlossen zum Thema Illegalität einen Kinodokumentarfilm zu drehen?

Saubere Dienste
Die Journalistin Sibylle Hamann war undercover als Putzfrau unterwegs und erzählt von einer Welt voller Lügen und Scham.

Es gab einen Moment, bei "Dorf ohne Mütter", wo ich mir gedacht habe: 'Um Gottes Willen, ich bin ja Teil von dem Ganzen!' Und zwar war das der Besuch in einer Schulklasse. Ich hatte vorher keine Ahnung, wie viele illegale Menschen in Westeuropa sind. Aber in dieser Schulklasse, als die Lehrerin von Kind zu Kind gegangen ist und erzählt hat, wo die Mütter jeweils sind, ist mir bewusst geworden, welche Dimension dieses Problem hat. Man sieht Illegalität ja nicht, hier in Österreich. Wahrscheinlich sitzen Leute in der U-Bahn oder der Straßenbahn neben uns und sind illegal und wir wissen es einfach nicht! Aber man sieht es eben dort in den Dörfern und man sieht es in der Schule, wenn die Lehrer erzählen, wo die Mütter hingehen. Da war mir klar, welche Bedeutung das für Westeuropa hat. Hier ist das ein Tabuthema und niemand spricht darüber.

Es war auch ganz schwer, jemanden dazu zu bewegen, vor die Kamera zu gehen und zu erzählen, warum er einen Illegalen beschäftigt. Ein paar Leute haben etwas erzählt. Das war im Rohschnitt drinnen - aber ich hab das dann wieder rausgenommen aus dem Film, weil ich mir gedacht habe: Man kann es diesen Wenigen, die da erzählen, nicht antun, dass sie Teil dieses Films sind und vielleicht Probleme bekommen. Ich habe mir gedacht: Ich habe so jemanden mal beschäftigt, ich stehe dazu und mir ist das Thema einfach wichtig genug, dass ich das auch erzähle und dazu stehe.

2 Kinder schaukeln auf einer Teppichstange

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Kinder in Moldawien

War von Anfang an klar, dass du die drei Frauen – Aurica, Raia, Nataşa - so lange begleiten wirst, von 2004 bis 2011?

Es gab so einen Moment, bei der Aurica: Nach ihrer Rückkehr hat sie mich in Wien angerufen und mich gebeten, ob ich ihr in bisschen Geld schicken kann fürs Begräbnis, weil ihr Mann gestorben ist. Sie war sehr betroffen und hat mir erzählt, dass ihr Mann vom Dach gestürzt ist. Wir sind dann hingefahren und haben gedreht und sind später draufgekommen, dass der Mann nicht vom Dach gefallen ist und dass das kein Unfall war, sondern dass der Mann sich eigentlich im Keller erhängt hat. Das war so ein Moment, wo ich mir gedacht habe: Das ist etwas, das illegale Migration anrichtet. Sie zerstört Familien. Und dieser Moment - auch der in der Schulklasse - da bin ich mir dessen bewusst geworden, wie schwierig das ist für die Leute und was diese Gesellschaft alles erleiden muss.

Begräbnis Aurica

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Das Begräbnis von Auricas Mann

Es gibt diese Szene von dem Begräbnis, und eine andere, wo Nataşa wegen einer Kontrolle zusammenbricht - gab’s Momente, wo du dir gewünscht hast, jetzt nicht filmen zu müssen? Bzw. Momente, wo du die Kamera abgedreht hast, weil es dir sonst zu weit gegangen wäre?

Natürlich gibt es immer wieder Momente, wo man sich unwohl fühlt. Wo man das Gefühl hat: Darf die Kamera das noch zeigen? Ist das noch möglich? Ich denke mir: Wenn man das Thema angeht, dann muss man es auch in der vollen Härte zeigen, mit allen Konsequenzen. Es gab natürlich auch viele Momente, die wir nicht zeigen können. zum Beispiel, wie die Frauen bei Nacht und Nebel mit Schleppern über die Grenze gehen. Oder wie sich die Kinder verhalten, nachdem die Mutter mehrmals von daheim weggegangen ist. Es gab immer wieder Passagen, wo es nicht möglich war, zu drehen. Aber das muss man akzeptieren und ich glaube, dass es trotzdem ein starker Film geworden ist, der von sehr viele anderen starken Momenten lebt.

Was wär dein Wunsch: Was soll der Film bei deinem Publikum bewegen?

Mit wäre wichtig, dass Menschen, die solche Leute treffen oder sie sogar daheim beschäftigen, bewusst ist, was der Preis für diese illegale Wanderung ist. Eine Gesellschaft wie die unsrige sollte eigentlich soweit sein, dass man für diese Menschen Lösungen anbietet. Wenn das stimmt das 50.000 bis 100.000 Illegale in Österreich sind, da kann es doch nicht sein, dass wir einfach zuschauen und das Thema weiter tabuisieren. Es wäre doch besser zu sagen: Diese Menschen gibt es hier, was können wir für sie tun, was können wir ihnen anbieten? Weil offenbar gibt es ja einen Bedarf, sonst würden sie ja nicht herkommen.

Also auch ein Appell an die Politiker, dass da auf der Gesetzesebene etwas passiert.

In Italien ist das zum Beispiel so: Immer wieder ruft die Politik dazu auf, dass es eine Legalisierungswelle gibt. Da können sich Menschen melden, die illegal im Land sind, wenn sie einen Job haben. Die werden legalisiert und so haben die Menschen dann eine Krankenversicherung, haben Rechte und eine legale Beschäftigung. Und wie man bei Raia im Film sieht: Dann können sie auch wieder nach Hause fahren und ihre Kinder treffen.

Raia aus dem Film "Mama Illegal"

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Raia

Im Abspann gibt es noch diese Song „Mama Illegal“ wie bist du auf diesen Song gekommen?

Zdob şi Zdub, die Musikgruppe, die den Song geschrieben hat, kommt aus Moldawien. Die Bandmitglieder sind so 25 bis 30 Jahre alt, machen irrsinnig coolen Ethno-Rock und ich habe versucht, ihre Musik im Film sehr stark einzusetzen. Das Interessante ist, das vier Bandmitglieder auch Mütter in Westeuropa haben, die auch einmal Wohnungen geputzt haben und die konnten sich mit dem Thema sofort anfreunden, haben sofort gewusst, worum es geht.
Zdob şi Zdub sind übrigens bekannt geworden, weil sie zwei Mal Songcontest-Teilnehmer waren für Moldawien. Sie waren total begeistert von dem Film und dass sie die Musik dafür machen dürfen. Es wird sicher in der nächsten Zeit einmal eine Filmvorführung mit Konzert von ihnen in Österreich geben!