Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Landjugend mit Heiligenbildern"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

25. 9. 2012 - 16:03

Landjugend mit Heiligenbildern

Erwachsenwerden, Langweiligbleiben: "Einen solchen Himmel im Kopf" - der Debütroman von Stephanie Gleißner.

Um herauszufinden, ob man es jetzt als Schon-halbwegs-Erwachsener zu ein bisschen was gebracht hat, muss man ab und zu trotzig da, wo man hergekommen ist, nachschauen, um sich zu vergewissern, das dort draußen, auf dem Land, immer noch alles dröge und verbohrt seinen trägen Gang geht. Die Flucht ins langweilige Grüne, wo die zu Stadtmenschen Gewordenen, die Kaputtmodernisierten, dann doch wieder "Werte" und, hoppla, am Ende auch noch zu sich selbst finden können - ein altes, ein ödes Thema.

Auch wenn "Einen solchen Himmel im Kopf" von der Ausgangslage der Schablone entsprechen mag - und auch vom Titel her schon ein wenig Heimats- und Ursprünglichkeits-herrlich tönt - so gelingt der jungen deutschen Autorin Stephanie Gleißner mit ihrem Debütroman doch, abseits einiger Klischeeübererfüllungen, ein trostloses, da und dort gar witziges Buch, in dem kalenderblatttaugliche Erleuchtungen auf sich warten lassen.

"Der Föhn ist eine anarchische Kraft. Er sorgt für Ereignisse. Die Hinterlandbewohner mögen den Föhn nicht, denn sie mögen keine Ereignisse. Sie mögen ein Leben in der Schneekugel: Eine überschaubare Anzahl von Zuständen, die einander abwechseln. Sie mögen die Zeit nicht. Von Steinen umgeben, die ihnen Zeitlosigkeit vorgaukeln, ärgert und beunruhigt sie der Föhn, der alles durcheinanderbringt. Johanna und ich gingen im Föhn spazieren, die Straßen gehörten dann uns. Wir lachten laut über die verwüsteten Vorgärten, die Gartenmöbel, die in die Blumenbeete geschleudert worden waren und abgerissene Blüten unter sich begruben."

Annemut, die Erzählerin des Romans, kehrt als junge Frau in ihre Heimat zurück, die Provinz, das sogenannte Hinterland. Die Zeit scheint hier stillzustehen: Die Alten, wie Annemut sagt, sitzen immer noch vor der Kirche und richten tuschelnd über die Vorgänge im Dorf. Annemuts Eltern verstehen noch immer nicht oder mittlerweile immer weniger was ihre Tochter - in Studium und Karriere durchaus erfolgreich - so treibt.

Stephanie Gleißner

Stephanie Gleißner

Stephanie Gleißner

Der Roman erzählt zu großen Teilen von Annemuts Erinnerungen an die Jugend: Von Kindheits - und Teenagerabenteuern mit ihrer besten und einzigen Freundin Johanna. Zwei Außenseiterinnen, die das Außenseitertum selbst gewählt haben. Annemut und Johanna, beide, was schulische Leistungen anbelangt, kaum zu tadeln, fühlen die Erhabenheit in sich: Sie wissen mehr als all die anderen im Dorf, mehr vom Leben, mehr als die Mitschülerinnen, mehr als die Sportbuben, mehr als die Erwachsenen. Sie verstehen. Sie sind von dieser Teenager-Überlegenheit beseelt, die zwischen Selbstüberschätzung und Trauer im Angesicht der vorherrschenden Trostlosigkeit sich nie so ganz entscheiden will. Gemeinsam jagen sie durch den Wald, verbringen Tag und Nacht im Gartenhäuschen von Johannas Familie, lernen "Heroin" von Velvet Underground kennen, trinken erste Wodka-Mischungen. Irgendwann jedoch beginnt die einst eng verschweißte Freundschaft auseinanderzudriften:

Einen solchen Himmel im Kopf

Aufbau

"Einen solchen Himmel im Kopf" von Stephanie Gleißner ist im Aufbau Verlag erschienen

"Die gemeinsamen Nachmittage wurden lang und bedrückend. Ich hatte das Gefühl in ihnen festzustecken, während alles in mir herausdrängte. Ich wurde ungeduldig und ungerecht. Johannas überirdische Träume fingen an, mir auf die Nerven zu gehen. Etwas musste geschehen, und als mein Vater, über meine Mutter vermittelt, mitteilen ließ, dass die anstehenden Klassenfahrten auch nicht umsonst seien und ich mir, statt den ganzen Tag bei den Lugers rumzulungern, etwas Geld hinzuverdienen sollte, war mir das gerade recht."

Immer schon hat sich Johanna für die Geschichte der Heiligen, ihr Leben, ihre Bilder interessiert. Sie scheint für sich selbst eine den Heiligen ähnliche außerweltliche Entrückung zu suchen - natürlich wird das Leben aber bloß wieder nur normal. Johanna bleibt im Dorf, Annemut bereist die Welt und bleibt genauso leer. Das Buch ist vom Setting und vom Stoff her also formelhaft angelegt: Den Ideen vom Heimkehrer-Roman, von Provinzmief und den ersten Discobesuchen kann Stephanie Gleißner dann aber doch einige neue Nuancen abgewinnen, vor allem weil sie sich nicht in doofem, "frechen" "So war es"-Popliteratur-Befindlichkeitsgetue ergeht, sondern eine seltsame, kühle Distanz zu den Figuren und der Geschichte konstruiert. So tolle Formulierungen wie "Mit Gesichtern wie nach fünf Stunden Tetris standen wir dann in den Blumenbeeten." fallen ihr dabei aber trotzdem ein.

Freundschaften zerfallen, Erinnerungen verblassen. Zum Glück versucht "Einen solchen Himmel im Kopf" nicht, Antworten herbeizubeschwören. Man kann aus der Provinz wegziehen. Meistens bleibt das Leben schwer und zäh.