Erstellt am: 23. 9. 2012 - 13:53 Uhr
Im Zentrum der Wahrheit
Wo Theorien des Widerstands auf künstlerischen Aktivismus treffen - ein Blick ins 24/7-Marathon-Camp beim Steirischen Herbst in Graz.
Man weiß es ja: Österreich ist eine Insel der Seligen. Im Rahmen von Truth is concrete, dem Auftaktprojekt des Steirischen Herbsts wird einem dieser glückliche Zufall wieder einmal deutlich vor Augen geführt.
Das Marathon-Camp am Grazer Opernring versammelt dieser Tage eine Heerschar an KünstlerInnen und AktivistInnen, die für ihre Ansichten täglich ihre Freiheit riskieren. Politische Verfolgung scheint ohnehin fast schon ins Portfolio jedes zeitgenössischen Kunstschaffenden zu gehören. Randmeldungen aus der Zeitung bekommen hier ein Gesicht.
Dazu muss man aber gar keine wütenden Punkgebete in die Welt geschrien haben. Um in Russland verhaftet zu werden, reicht es manchmal, nur weiße Kleidung zu tragen - die Farbe des Widerstands ist Provokation genug. In Belarus kann man für die Gestaltung von Kindermalbüchern angeklagt werden, und wenn's blöd hergeht, wird einem in Argentinien eine echte Waffe an den Kopf gehalten, weil man eine aus Plastik trägt.
- Porträts der TeilnehmerInnen folgen in den nächsten Tagen.
Geschichten wie diese hört man im Marathon-Camp fast im Minutentakt. Bei mehr als 200 TeilnehmerInnen und einem Programm, das sieben Tage lang 24 Stunden nonstop läuft, sind das ganz schön viele. Zu viele, um sie an dieser Stelle auch nur annähernd wiedergeben zu können.
Stattdessen hier nur ein kurzer Blick ins Zentrum des Geschehens.
Barbara Köppel
Das Marathon-Camp wurde vom Architektenkollektiv Raumlaborberlin entworfen. Im Blog House, gebaut aus alten Fenstern und Türen, ist das Studio von Radio Helsinki und der Garden of Biological Disobedience untergebracht.
Wolfgang Silveri
Katherine Ball, Hobbygärtnerin und Artivistin aus den USA, züchtet in ihrem Garden of Biological Disobedience Sabotage-Fruchtfliegen für den Einsatz in Genlabors, Pilze, die durch Beton wachsen und anderes subversives Grünzeug.
Barbara Köppel
Diese Pflanze sieht aus wie Audrey aus " Little Shop of Horrors" und ist resistent gegen Roundup, ein Unkrautbekämpfungsmittel von Monsanto. Ihre Samen geben wunderbares Pulver für Seedbombs auf genmanipulierte Monokulturen her.
Wolfgang Silveri
Der Black Cube ist das Herzstück des Camps. Hier finden die meisten Lectures und Performances statt. Politaktivist Srđa Popović aus Serbien hat erzählt, wie er und seine Studentengruppe mit cleveren Späßen zum Sturz von Slobodan Milošević beigetragen haben.
Wolfgang Silveri
Die Femen-Girls aus der Ukraine waren auch da. Alle Welt hat sie bei ihren Protesten schon oben ohne gesehen. Barbusig gegen Sextourismus und Prostitution. In Graz haben sie sich nicht ausgezogen, sondern ordentlich Feminismus-Bashing betrieben.
Thomas Raggam
Lexxus Légal ist Pionier der Hip-Hop-Szene in Kinshasa, Kongo. In seinen Raps spricht er die sozialen Probleme seines Landes an, von Korruption bis HIV.
Wolfgang Silveri
In Lailas Bar, benannt nach der ersten weiblichen Flugzeugentführerin Leila Khaled, gibt es gutes Essen und Trinken.
Wolfgang Silveri
Im anschließenden Kollektiv-Wohnzimmer kann man sich ausruhen, unterhalten, arbeiten oder einfach nur das Treiben beobachten. Überall stehen Kollagen aus Möbeln, die vor dem Sperrmüll gerettet wurden.
Wolfgang Silveri
Eine Bibliothek gibt es auch.
Barbara Köppel
Wer dann wirklich nicht mehr kann, zieht sich einfach in eines der Betten aus Paletten und Bierkisten zurück, die Benjamin Förster Baldenius vom Raumlaborberlin mitentworfen hat. Die sind zwar eigentlich für die TeilnehmerInnen gedacht, aber vielleicht erklären sie sich solidarisch.