Erstellt am: 22. 9. 2012 - 12:30 Uhr
Armutsbericht
Am Dienstag erschien der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und da wurde verkündet, was jeder sowieso schon wusste, der mit offenen Augen durchs Leben geht: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, die Armen ärmer und die Reichen reicher, wobei die Mittelschicht schrumpft. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen besitzen 53 Prozent des Privatvermögens, der unteren Bevölkerungshälfte bleibt gerade mal ein Prozent.
Zu dieser Erkenntnis wäre man auch gekommen, hätte man sich in Berlin in einer beliebigen belebten Straße mal vor ein Café gesetzt und hätte gemessen, wie oft der Abfallkorb nach leeren Pfandflaschen durchsucht wird. Alle drei Minuten etwa, und zwar nicht von Obdachlosen oder Junkies, sondern von ganz normal aussehenden, meist älteren Leuten. Schon bei den Rentenhiobsbotschaften der letzten Wochen - wer heute ganz "normal" arbeiten geht und wenig verdient muss später von Sozialbezügen leben - wurde abgewiegelt:
Alles kein Problem, da müssten die Leute eben länger arbeiten, auch im hohen Alter und das würde den Leuten ja Spaß machen und gut tun, so die zynische Antwort der liberalen oder christdemokratischen Politiker in den Talkshows. Sitzen die nie vor Cafés und sehen die Flaschensammler?
CC BY-SA 2.0 via flickr by amade_a
Auch die nervige Dienstleistung "Autofenster putzen", die einem in Berlin bislang von Roma- oder Sinti-Cliquen mehr aufgedrängt als angeboten wurde, hat unter deutschen RentnerInnen Nachahmung gefunden. Man kann es kurz skurril finden, wenn eine Siebzigjährige in ordentlicher Kittelschürze und mit Gummihandschuhen und Sprühflasche ausgerüstet an der Kreuzung steht und Autofenster putzt - aber es ist eigentlich eher traurig. Und auch, wer in Berlin früh aufsteht oder spät nach Hause kommt, wird schon bemerkt haben, dass die alten Leute, die zu dieser Uhrzeit mit kleinen Wagen mit Prospekten und Werbebroschüren unterwegs sind, kaputt und ungesund aussehen und nicht gerade aus reiner Lebensfreude und Lust an der Arbeit diese Armutsjobs machen.
Und doch ist Hoffnung da, dass sich die Sensibilität diesem Thema gegenüber erhöht, am Mittwoch in den "Tagesthemen", im staatstragenden ersten deutschen Fernsehprogramm, wurde der Themenblock "Armutsbericht" immerhin mit einem Brecht-Zitat eingeleitet. Eben jenem, in dem sich der arme und der reiche Mann gegen über stehen und der Arme sagt: "Wär' ich nicht arm, wärst Du nicht reich."
dpa/Wolfgang Kumm
Dieser simple Mechanismus wird natürlich in einer neoliberalen Gesellschaft, die verinnerlicht hat, dass es jeder schaffen könne, der sich genug anstrengt, nicht als solcher anerkannt.
Wer etwas leistet, soll auch die Früchte des Erfolgs tragen, große Vermögen wären schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern stammten aus fleißiger Arbeit und risikoreichem Unternehmertum, so das Credo in den Talkshows. Dass bei jedem unternehmerischen Erfolg des Einzelnen auch immer die Gesellschaft beteiligt ist, das hört man nur von den befragen Reichen, die ihr Geld in soziale Stiftungen stecken und dafür plädieren, dass Vermögende mehr als bisher zur Kasse gebeten werden.
Dass nur ein Zehntel des Reichtums in Deutschland auf eigener Arbeit und das meiste auf Erbschaften beruht, und dass nur jedem Fünften ein Aufstieg durch Bildung gelingt, fällt in der öffentlichen Diskussion auch gerne mal unter den Tisch.
Aber immerhin endete der Armuts- Beitrag in den "Tagesthemen" mit einem weiteren Brechtwort, zitiert von einem befragen Armutsforscher: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?"