Erstellt am: 24. 9. 2012 - 17:01 Uhr
Begnadete Handwerker
Vergangenen Juli im schönen Wiesen im Burgenland, an einem der ersten Pop-Festival-Orte in Österreich, wenn nicht gar dem allerersten: Mumford & Sons spielen vor den Headlinern, The Kooks. Diese kommen ebenfalls aus England, aber im Gegensatz zu Mumford & Sons sind sie nicht in einer Folk-Tradition verwurzelt, sondern zumindest mit einem Bein im klassischen Britpop stehend. The Kooks hatten nach Mumford & Sons am Harvest-Of-Art-Festival aber nicht mehr wirklich eine Chance. Mumford & Sons hatten die Headliner schon weggeblasen, noch bevor diese noch die Bühne betreten konnten, so mitreißend war das Konzert der Band. Und das, obwohl Marcus Mumford eine Handverletzung hatte und nicht Gitarre spielen konnte.

Mumford
Unlikely Rockstars
Zuvor, beim FM4-Interview, gaben sich Marcus Mumford und Bandkollege Ted Dwane höflich, angenehm selbstbewusst und in sich ruhend. Richtige Stars eben. Man ist ausgeruht, freudig, aber nicht überaufgeregt. Man sieht aus wie Stars eben aussehen: Menschen, die wissen, wenn sie sich nicht ganz blöd anstellen, müssen sie höchstwahrscheinlich in ihrem weiteren Leben niemals Not leiden. Mumford und Co. sehen nicht wirklich aus wie Menschen, die dem täglichen Bot hinterherhasten. À propos täglich Brot: Man bietet der Journalistin das Backstage-Obst an. Das essen wir nie, sagt Ted Dwane, der Mann der den Kontrabass spielt, und reicht mir Apfel, Birne, Banane. Hmm, Rockstars mit Angst vor Keimen auf und in den Früchten?

Universal
Im Hintergrund des Backstagebereichs sehe ich die sich einerseits unauffällig gebenden, aber dennoch einen gewissen britischen Pop-Glamour ausstrahlenden Freundinnen und Ehefrauen der Bandmitglieder. Ist Carey Mulligan etwa auch dabei? Ich blicke mich verstohlen um, wie das letzte Mal irgendwann am Southside Festival, wo Gwyneth Paltrow mit Coldplay dabei war, sehe Carey Mulligan aber nirgends. Die britische Schauspielerin ist seit Frühjahr die Frau von Marcus Mumford. Angeblich waren die beiden als Kinder Brieffreunde. Vor Miss Mulligan war Marcus Mumford mit Laura Marling liiert, jener Musikerin, die hierzulande kaum bekannt, in Großbritannien aber durchaus Star-Status genießt. Marling entstammt derselben Westlondoner Neo-Folk-Szene wie Mumford& Sons oder Johnny Flynn und Noah & The Whale.
"We still like to play in small venues, as well as big venues. We like to do it all really", sagt Marcus Mumford. Und Bandkollege Ted Dwane fügt hinzu: "A lot of people see us and what has happened over the last three years and think that it must just be a mind altering crazy time, but, honestly, things are very much the same: doing gigs and writing songs."
Wir sind noch immer jene Band, die sich nach einem Handwerksbetrieb, einem family run business, benannte, beteuern die beiden im FM4-Interview, und sagen, dass man die Beine noch immer am Boden hat. Um das auch zu belegen, steht man nach getaner Auftrittsarbeit noch ein wenig beim Tourbus herum und plaudert mit sich Dazugesellenden. Die Frauen und Freundinnen lächeln, stolz auf ihre Männer, die ihnen so ein gutes Leben bieten. Aber wer weiß, vielleicht ist die eine von ihnen ja Anwältin, und die andere Investmentbankerin?

Mumford
"Babel"
Mumford & Sons nahmen das neue Album "Babel" zusammen mit Marcus Dravs auf, wie schon das Debutalbum "Sigh No More". Der aus Frankfurt am Main stammende und in London tätige Dravs arbeitete im Studio von Brian Eno und produzierte Coldplay und Björk. Er war es, der die noch ungeschliffen Diamanten Mumford & Sons erleben durfte. Er schickte die Band sogar einmal aus dem Studio, damit sie sich einen ordentlichen Bass kauften und nicht mit dem halb kaputten spielen mussten. Ja, so waren sie, die alten Tage, die Anfänge von Mumford & Sons. Und besagter Marcus Dravs bot sich an, auch das neue Album mit der Band zu produzieren. Marcus Mumford erzählt: "We had a loving embrace and he agreed to do it, which is very kind of him. We love him very much, he´s a very clever man."

Island
"Babel" von Mumford & Sons ist bei Island/Universal erschienen.
Inzwischen sind alle von dieser Westlondoner New-Folk-Szene ein wenig auseinandergedriftet. Noah & The Whale etwa legten sich einen neuen Sound zu, Mumford & Sons wurden Superstars. Und die anderen? Na ja, eigentlich war das alles nur ein kurzer Moment. "Es war nicht so, dass wir alle zusammen in einem Haus wohnten und in ein und demselben Café abhingen", sagt Ted Dwane. Ein klein wenig Diplomatie schwingt da mit, ein bisschen etwas von einem schlechten Gefühl, jemanden verlassen zu haben, die anderen zurückgelassen zu haben, oder so, ist da dabei. Oder bilde ich mir das nur ein?
Marcus Mumford sagt im Interview: "We´ve gone on to build larger communities in other places. We were probably more like minded in the beginning than like sounding." Überhaupt klingen Mumford & Sons - Neo-Folk-Schild um den Hals oder nicht - einfach wie niemand sonst und verkauften damit sage und schreibe acht Millionen Stück ihres ersten Albums. Bevor ich Angst bekomme, wie das denn zu toppen sein soll, rein in den neuen Mumford-Longplayer "Babel".
The Lord, The Devil und States of Grace
Marcus Mumfords Eltern sind aktiv in einer Bewegung evangelikaler Christen. Babel steht für Babylon, ist das hebräische Wort dafür. Mumford & Sons sind nach wie vor Mumford &Sons, eh klar irgendwie. Routinierter klingen sie, auch klar, nach so vielen Konzerten, und abgeklärter sind sie. Stars eben, zu denen selbst Obama stampft, wenn sie in den Staaten spielen, wie zuletzt wieder. Will sagen, man macht keine großen Experimente, aber wer würde das schon wollen. Oder hieß es irgendwo, Enttäuschung würde sich breit machen, weil Mumford nicht wie Black Sabbath meets Nick Drake klingen? Bullshit. Stay steady ist das Motto. Man konzentriert sich weiter auf die Hauptinstrumente, Kontrabass und Banjo, und die Bariton-Stimme von Marcus Mumford ist nach wie vor intakt. Jene Stimme, mit der er auch auf einer Shakespeare-Bühne stehen könnte. Sir Marcus Mumford, der beste Shakespeare-Darsteller gleich nach Richard Burton, Sir Lawrence Olivier und Sir John Mills? Vielleicht irgendwann einmal. Ach was, bleiben wir mit den Füßen am Boden, worauf Mumford & Sons ja bestehen. Das Thema am Debütalbum war - unter anderem - der starke oder nicht so starke Mann, der Little Lion Man. Das diskutieren Marcus Mumford und Band jetzt nicht mehr, oder? Worum geht es also jetzt? Das Dunkle der Seelein allen Varianten ist Thema.
Einige der Songs:
- "I Will Wait": die erste Single vom Album. Schöne, aber gar nicht so unkomplizierte Mainstream Musik.
- "Whispers In The Dark": die robusten Mumford. Ein Stampfer zum Mitgrölen, samt Zeile "I´m worried that I blew my only chance."
- "Lover Of The Light": Eyes like marbles im Text. Ein smoother Song, wo das Banjo nicht gar so dominiert. Trotzdem: Throw your hands in the air!
- "Holland Road": Auch hymnisch. Tolle Trompete.
- "Broken Crown": Touch my mouth and hold my tongue. I will never be your chosen one, saved and tucked away. Betörend.
- "Not With Haste": noch betörender. "I am what I am" singt Marcus Mumford.
- "Lover´s Eyes": The ghosts in my head they are wild and they wish me dead. Tolle Bläser. Sehr schön. Die zarte Seite von Mumford & Sons.
- "Babel": I believe in grace and choice. Babel, Babel, look at me now.
- "Ghosts That We Knew": wieder die zarte Seite von Mumford & Sons: "You saw my pain washed out in the rain, broken glass saw the blood run from my vein. But you saw no fault, no cracks in my heart", singt Marcus Mumford. Ein wirklich großer Song.
- "Reminder": nocheinmal die zarte Mumford-Seite. Marcus Mumford als Acoustic-Troubadour.
- "Hopeless Wanderer": noch eine Ballade, eine Weile jedenfalls, dann Powerballade. Clevere Studioarbeit von Marcus Dravs. I came out of the woods by choice, but in the dark I have no name.
Die Deluxe-Ausgabe von "Babel" enthält drei weitere Songs - "For Those Below", "Where Are You Now" und eine superschöne, sensible und gleichzeitig höchst dynamische Coverversion von Simon & Garfunkels "The Boxer", aus dem 1968er Album-Klassiker "Bridge Over Troubled Water".