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Roland Gratzer

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22. 9. 2012 - 09:48

"Die deutsche Sprache kennt keinen Ablativ"

Mit "untertan" legt der deutsche Schriftsteller Joachim Zelter viel mehr als eine Neubearbeitung des Heinrich Mann-Klassikers vor.

Untertan - Buchcover

Klöpfer&Meyer

"untertan" von Joachim Zelter ist im Klöpfer&Meyer Verlag erschienen.

"Die deutsche Sprache kennt keinen Ablativ" - Diesen Satz hat Friederich Ostertag verinnerlicht. Es ist ein intelligenter Satz, ein Satz der nie falsch ist. Ein Satz, mit dem er Lehrer und Mitschüler beeindrucken kann. Aber auch nicht ewig. "Bach ist das Alpha und Omega der Musik" - auch gut, aber auch nicht ewig haltbar.

Der Vater verzweifelt. Da hat er seinen Buben extra schon mit fünf eingeschult und dann fällt er zurück. Selbst die üppig ausgestattete Bibliothek im Kinderzimmer und die Nachhilfelehrerin mit den immer klugen Sätzen helfen da nichts mehr. Friederich muss ins Internat für Söhne von berühmten Menschen. So unberühmt ist Friederichs Familie auch nicht. Schließlich hat sein Ururgroßvater das allseits beliebte Spiel "Fang den Hut" erfunden. Doch gespielt wird im Hause Ostertag nicht. Der Vater hat zwar ein Spielwarengeschäft, aber deutsche Klassiker sind wichtiger.

Nicht-Entwicklungs-Roman

Dieser "untertan" basiert schon auch auf "Der Untertan" von Heinrich Mann aus dem Jahr 1914. Dort heißt der Hauptcharakter Diederich und unterwirft sich dem wilhelminischen System. Heinrich Mann zeichnet darin den deutschen Weg in den Ersten Weltkrieg. Das Buch selbst erschien nur kurz vor dem Ausbruch.

Joachim Zelter erzählt in "untertan" einen "Nicht-Entwicklungsroman", wie das Tagblatt richtig festgestellt hat. Friederich Ostertag ist ein unterdurchschnittlicher Schüler und noch schlechteres Sozialwesen. Im Internat wird er solange gehänselt und geschlagen, bis er seine wahre Profession entdeckt. Schreiben. Aber nicht für sich selbst, sondern für andere. Er beginnt, Briefe an Eltern und Tanten seiner Mitschüler zu schreiben. Irgendwann schafft er sein Abitur und beginnt zu studieren. Soziologie und Politwissenschaften. Der Beginn des Studiums ist der erste Moment, in dem beim Lesen Hoffnung entsteht. Findet er wirklich eine Freundin? Wird er langsam zum normalen sozialen Wesen? Doch dann kommt Conti. Der ehemalige Mitschüler und die künftige Nemesis von Friederich.

So als wäre der Professor, für den er eine Hausarbeit schrieb, eigentlich nur nur ein Onkel. Oder eine besorgte Tante. Eine Tante, die sich um den Zustand der deutschen Soziologie sorgte. Was wird nur aus der deutschen Soziologie? Und es war Friederich, der diese Sorgen aufnahm und in seinen Hausarbeiten Trost spendete. Er tröstete nicht nur, sondern er zitierte auch - aus den Büchern der jeweiligen Professoren. Tröstende Zitate oder zitatenschwere Trostworte. Ein Professorenzitat zum Anfang, ein Professorenzitat zum Ende, und zahlreiche Professorenzitate in der Mitte... Kaum ein Student konnte einfühlsamer zitieren als Friederich.

Adelige Polit-Popstars

Joachim Zelter

Burkhard Riegels

Joachim Zelter schreibt viel, aber nie lang. Der "untertan" ist ganz ein wenig biographisch. Zelters Vorfahre Carl Friedrich Zelter hat zwar kein Brettspiel erfunden, war aber ein Freund von Goethe. Darauf kann eine Familie schon stolz sein.

Der "untertan" folgt dem Leben eines Verlierers, für den aber trotzdem kaum Sympathie entsteht. Furchtbar erzogen von einem Vater, hineingeworfen in eine erzwungene Bürgerlichkeit, eine Erhebung über das normale Leben da draußen. Besser sein als die, die im Spielwaren-Geschäft des Vaters tatsächlich auch was kaufen. Doch Friederich kann diese Erwartungen nicht erfüllen. Also hilft er denen, die diese Erwartungen auch nicht erfüllen können. Die Figur des Conti erinnert fast schon schmerzhaft an die einstige deutsche Politikerhoffnung Karl Theodor zu Guttenberg. Adeliger, Popstar, Hochstapler. Mit Argumenten angefüttert, die sich ein abgemagerter und verzehrter Friederich aus den Fingern saugt.

"untertan" liest sich wie eine am Stück geschriebene Mischung aus "Wie man leben soll" und "Der talentierte Mr. Ripley". Manchmal schleicht sich auch ein wenig "Forrest Gump" rein. Bildungsbürgerliche Phrasendrescherei und popkulturelle Geisteswissenschaft ("Die Soziologie des Trinkgeldes") werden kritisiert, aber ohne anti-intellektuell zu sein. Für dieses Buch braucht Zelter 211 Seiten, der Leser zirka fünf Stunden. Und selbst nach dem verwirrenden und doch auch tragischen Ende hat man immer noch keine Sympathie für diesen Friederich Ostertag. Und das, obwohl sein Ururgroßvater "Fang den Hut" erfunden hat.