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Daniel Grabner

Geschichten aus on- und offline, zwischen den Zeilen und hinter den Links

19. 9. 2012 - 14:33

Kohlkopf-Idylle im Schwarzwald

Matthias Nawrats respektables Roman-Debüt "Wir zwei allein" erzählt von der Idylle zwischen Steckrüben, Salat und Tannennadeln und vom Bruch dieser Harmonie in einer schwierigen Liebschaft.

Der namenlose Protagonist in Matthias Nawrats Roman fährt täglich mit Kohlköpfen, Salat und Kürbissen über die Passtraßen des Schwarzwaldes, um die Gegend mit Gemüse zu beliefern. Sein Studium hat er abgebrochen, aber das macht nichts. Er stellt nur geringe Ansprüche an sich selbst und seine Umwelt. Der Schwarzwald muss es sein, hier will er leben. Mit dem Sprinter durch die Gegend fahren, sich ab und zu eine Zigarette drehen und abends in der Stammkneipe Bier mit Freunden trinken. Er hat sich eine Nische gesucht, eine Mulde, in der die Zeit scheinbar stehen geblieben ist.

Der Ich-Erzähler hat seine Ansprüche mit der Außenwelt abgeglichen, wie ein Chamäleon verschwindet er vor diesem Hintergrund. Zwischen Gemüsekisten, Landbier, dem Duft von Tannennadeln und dem "Atem der Bäche" ist es ein Nichtexistieren, ein Sich-Auflösen in seiner Umwelt.

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"Ich bin das Rückgrat der Nation, das im Schrank hängt und verstaubt. […] In wenigen Jahren wird es so sein, als hätte ich nie gelebt. Es sind die anderen, die mal gelebt haben werden."

Doch dann verliebt sich der Protagonist in die elfenhafte und unberechenbare Künstlerin Theres. Vorbei das Phlegma, vorbei die konturlose Zufriedenheit. Er beginnt zu träumen, utopische Pläne zu schmieden. Plötzlich leben Irokesen im Schwarzwald und in seiner Vorstellung unternehmen er und Theres abenteuerliche Reisen ins Amazonasgebiet und andere unerreichbare Orte.

"Theres. Wir könnten uns als Wissenschaftler ausgeben, die den Mechanismus der Städte erforschen. Wir würden alles umsonst bekommen. In jedem Hotel würden wir das schönste Zimmer haben. Tarifa, Marseille, Târgu Mures, Odessa."

So träumerisch die Beziehung der beiden ist, so sehr sie sich im Fiktiven abspielt, so sprachlos ist sie auch. Nawrats Dialoge zwischen Theres und dem Protagonisten umschiffen alles Essentielle. Man möchte sie bei den Schultern nehmen und ihnen die Trägheit aus den Gliedern schütteln.

Eine ungewöhnliche Karotte, die sich ineinander schlingt, Buchcover von Matthias Nawrat "Wir zwei allein"

Nagel und Kimche

"Wir zwei allein" von Matthias Nawrat ist im Nagel & Kimche Verlag erschienen.

Nach ein paar gemeinsamen Nächten verschwindet Theres spurlos. Der Protagonist steht allein mit seinen neuen Ansprüchen. Ein Zurück in die vertraute Existenzlosigkeit scheint nicht mehr möglich.

"Theres, wie sehr sind meine Organe schon in dich hinübergewachsen. Es muss nachts passiert sein, die Blutgefäße und Nervenbahnen haben unbemerkt Kontakt aufgenommen. Wo sollst du denn hingegangen sein? Mit wem?"

Als Theres wiederkommt, gesteht sie, von einem anderen Mann schwanger zu sein. Der Protagonist empfindet zwar unglaubliche Enttäuschung und Schmerz, stellt ihren Vertrauensbruch jedoch in einem unmenschlichen Kraftakt beiseite. Er verzeiht nicht, sondern macht einfach weiter. Was zählt ist Harmonie zu jedem Preis.

"Wir zwei allein" ist Nawrats zweiter Text mit lokalem Bezug zum Schwarzwald. Bereits beim Bachmannpreis 2012 las er den Text "Unternehmer", eine Geschichte, ebenfalls im Schwarzwald angesiedelt und gewann den Kelag-Preis. "Wir zwei allein" ist das respektable Debüt des Jungautors. Detailreich und homogen erzählt Nawrat die Geschichte des jungen Gemüselieferanten und Theres. Seine Sprache ist bildreich, stellenweise lyrisch.

"Noch in derselben Nacht trommelt der Regen gegen mein Fenster. Ich mixe mir in mein Wasserglas die Lichter, die sich in der Scheibe spiegeln. Ich mache drei Tanzschritte durch den Raum, schließe die Augen."

Am 19.September liest Matthias Nawrat aus seinem Roman im Literaturhaus am Inn in Innsbruck.