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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

19. 9. 2012 - 11:15

Gleiches Recht für alle?

Für Auto- und RadfahrerInnen sollen die gleichen Regeln gelten, fordert die Wiener ÖVP. Das hätte ein paar recht skurrile Konsequenzen.

FM4 zur Europäischen Mobilitätswoche: Mittwoch 19.9. gehts in FM4 Connected ums Radfahren, am autofreien Tag (Samstag 22.9.) um das Sterben der Regionalbahnen.

  • Gleiches Recht für alle? Die Wiener ÖVP fordert gleiche Regeln für Auto- und RadfahrerInnen (Rainer Springenschmid)
  • Die Velovignette Schweizer Erfahrungen mit der Vignette und der Nummerntafel fürs Rad (Irmi Wutscher)

Stellt euch vor, ihr fahrt mit dem Auto auf einer Vorfahrtstraße. Vor jeder Kreuzung, an der keine Ampel steht, müsst ihr das Fahrzeug auf 10 km/h runterbremsen, dann langsam über die Kreuzung rollen, erst danach dürft ihr wieder beschleunigen. Bis zur nächsten Kreuzung. Blödsinn? Wenn ihr nicht mit dem Auto, sondern mit dem Rad unterwegs seid, müsst ihr es genau so machen: auf dem Fahrrad darf man sich einer ungeregelten Kreuzung nämlich nur mit 10 km/h nähern. Auch wenn es kaum einer weiß und noch weniger machen - bei einem Unfall kann das, wenn es um die Schuldfrage geht, zum Problem werden.

"Sowas gibt es nur in Österreich"

Eine solch groteske Regelung gebe es in keinem anderen Land der Welt, sagt Radlobbyist Alec Hager von der IG Fahrrad. Und es sei nur ein Beispiel dafür, wie Radfahrer von der Straßenverkehrsordnung benachteiligt werden. Alec Hager zählt noch mehr auf: die Radwegbenützungspflicht zum Beispiel, die Radfahrern das Fahren auf der Straße verbietet, sofern es einen Radweg gibt - egal wie unsicher oder zugeparkt der auch sein mag.

Alec Hager von der IG Fahrrad

ORF.at/Simon Hadler

Auch Fahrrad-nummernschilder sind ein österreichisches Unikum. Im Austrofaschismus (1934-38) gab es sie schon einmal und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg - seither nie wieder. Die viel zitierten Schweizer Nummerntafeln gabs bis 1989, danach nur mehr Versicherungsplaketten, genannt Velovignette.

Die im Sommer diskutierten Forderungen aus ÖVP und SPÖ (die auch von der FPÖ begeistert aufgenommen wurden) nach Handyverbot, Radnummerntafeln und einem niedrigeren Alkohollimit für Radler sind für Hager purer Populismus. "Jedes Verkehrsmittel ist anders", sagt er, "und deshalb soll auch jedes Verkehrsmittel seinen Eigenschaften entsprechend behandelt werden. Es kann nicht um Gleichheit gehen, sondern nur um Gerechtigkeit."

Das fängt für Hager schon bei den Verkehrsstrafen an. Denn wenn man mit einem Fahrrad bei Rot über eine Kreuzung fährt, könne man anderen weit weniger Schaden zufügen als mit einem Auto. Und deswegen gehöre das Vergehen auch weit weniger teuer bestraft.

Die autogerechte Stadt

Die österreichische Straßenverkehrsordnung stammt aus dem Jahr 1960, einer Zeit, als man unter Verkehrsteilnehmer vor allem Autofahrer verstanden hat. Die mussten vielleicht noch auf Pferdefuhrwerke Rücksicht nehmen und in manchen Städten auf Straßenbahnen. Die Zukunft malte man sich damals aber vor allem als Autozukunft aus. Fußgängerzonen gab es keine, Busspuren auch nicht und Verkehrsplaner dachten darüber nach, in Innenstadtnähe große Autobahnkreuze zu errichten. Die autogerechte Stadt war das Leitbild. Oberste Maxime: der Verkehr muss fließen, also natürlich der Autoverkehr.
Der sollte deswegen von Fußgängern und Öffis möglichst unbehelligt bleiben. An Radfahrer, die größere Strecken n der Stadt zurücklegen, dachte damals kaum jemand.

Unfall mit Fahrrad, Polizeiauto im Hintergrund, Schlapfen

APA / WWW.FOTOPLUTSCH.AT

Natürlich wurde die Straßenverkehrsordnung seit den Sechziger Jahren laufend adaptiert. Aber die Grundstruktur für die aktuellen Konflikte zwischen Autos und Radlern bleibt: Jahrzehnte lang wurde - wie auch in der Verkehrsplanung - die Straße einzig und allein als Territorium der Autofahrer betrachtet. Irgendwann begann man, gegen große Widerstände, Fußgängerzonen einzurichten und den öffentlichen Verkehr zu beschleunigen.

Den Radverkehr hat man seit den Neunziger Jahren dazwischen gepfriemelt, wo halt noch Platz war. Möglichst nah an den Fußgängern und weit weg vom Autoverkehr, denn der sollte ja immer noch fließen. Doch seit ein paar Jahren beansprucht der Radverkehr auch Platz, der vermeintlich den Autos zusteht; Platz, den den Autos jahrzehntelang niemand streitig gemacht hat. Dass das nicht konfliktfrei abgehen kann, kann man sich vorstellen, zumal Platzhirschgehabe ja im Straßenverkehr nicht unbekannt ist.

Röhrende Platzhirschen

Am Mittwoch ab 15 Uhr live in FM4 Connected: Christian Gratzer vom VCÖ zum ewigen Aufregerthema Radfahren in der Stadt. Diskutiert mit! Die Nummer ins Studio:
0800 226 996

Wenn die Wiener ÖVP jetzt fordert, für Radfahrer und Autos müssten gleiche Regeln herrschen, dann will sie natürlich nicht mit 10 km/h über Vorrangkreuzungen tuckern. Vielmehr will sie ein Handyverbot auch am Steuer eines Fahrrads und ein Alkohollimit von 0,5 Promille wie bei Autofahrern.

Fahrrad und Auto bei Nacht

APA / HANS KLAUS TECHT

Mit der Unfallstatistik ist eine solche Forderung nicht zu rechtfertigen, denn dann müsste man sich zuallererst um alkoholisierte oder handynutzende Autofahrer kümmern, verursachen die doch ein Vielfaches an Unfällen mit Toten und Verletzten. Was logisch ist, weil Autos auch um ein vielfaches schwerer und schneller sind als Fahrräder.

In anderen europäischen Ländern trägt man dem Rechnung. So gibt es in Großbritannien und Dänemark beispielsweise gar keine Promillegrenze für Radfahrer - auch, weil Menschen eher mit dem Fahrrad als mit dem Auto auf Kneipentour gehen sollen. Nichtsdestotrotz hat auch in Deutschland heuer ein prominenter Politiker eine Senkung der Promillegrenze für Radfahrer gefordert. Der nordrhein-westfälische SPD-Innenminister Ralf Jäger will, dass dort für Radler künftig 1,1‰ gilt, statt 1,6‰.