Erstellt am: 18. 9. 2012 - 15:38 Uhr
Vom Schnitzel im Tank und den bösen Spekulanten
So richtig spannend wäre das gestrige ZIB2 Interview mit Umweltminister Nikolaus Berlakowitsch wohl erst nach der Verabschiedung geworden. Da meinte der VP-Minister nämlich sinngemäß, dass alle Umwelt-NGOs, die den Anbau von Nahrungsmitteln zur Gewinnung von Biotreibstoff kritisieren, daneben liegen.
APA / Robert Jäger
Mehr oder weniger Alleinschuldiger einer zunehmend kritischen Versorgungssituation (die laut Experten bald die Dimension von 2008 erreichen könnte), sind nämlich keinesfalls derlei geförderte Experimente, sondern vor allem die "Spekulation auf den großen Agrarbörsen", so Berlakowitsch.
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Seit einigen Tagen ist klar, dass die EU einen recht deutlichen Schwenk in Sachen Biotreibstoff vollzieht - so will man aktuell die "Situation neu bewerten" und plant, bis 2020 auch die Förderungen für den Anbau von Pflanzen, die der Ethanol-Gewinnung zugeführt werden, zu streichen. Offenbar haben sich also EU-intern jene Kräfte durchgesetzt, die dem Plan, durch Biotreibstoffe den Klimaschutz zu forcieren, wenig abgewinnen können - nicht zuletzt wohl auch durch massiven Druck verschiedenster Player. In Österreich sind etwa nicht nur die Autofahrerclubs , die Mineralölindustrie und die NGOs dagegen, im Prinzip haben auch alle Parteien außer der ÖVP die Einführung von E10 ab Herbst abgelehnt.
E10 steht dabei für eine zehn Prozent Beigabe von Biotreibstoff (Ethanol), derzeit verwenden wir E5, also eine fünf prozentige Beimischung von "nachwachsendem" Treibstoff.
dpa / Oliver Berg
Einer der größten Enthusiasten in Sachen E10 war - und ist wohl noch immer - der österreichische Umweltminister; was ihm auch international schon durchaus einiges an Kritik bescherte. Für Berlakowitsch ist Biotreibstoff eine Maßnahme in einem Portfolio an Maßnahmen, die die EU ergreift, um weniger fossile Brennstoffe zu vergeuden und damit auch Klimaschutz zu betreiben.
Er steht dabei naturgemäß in einer Interessensabwägung mit seiner Funktion als Landwirtschaftsminister und Bauernvertreter, denn in Österreich ist Biotreibstoff vor allem für die Raiffeisen-Tochter Agrana und die ihr zuliefernden Bauern ein Geschäft. Dort, und auch im Ministerium, verteidigt man den Einsatz von "minderwertigem Getreide" zur Ethanol-Gewinnung. Solange nur Rohstoffe verwendet werden, die dem Nahrungsmittelkreislauf nicht entzogen werden, sondern eben gezielt dafür abgebaut werden, kann man dem "No Food For Oil"-Argument wenig abgewinnen.
Ihnen gegenüber steht fast schon eine Art Common Sense der globalen Umweltaktivisten, die sich genau diesen Slogan (No Food For Oil) zur Agenda gemacht haben. In einer Welt, die mit Engpässen in der Nahrungsmittel-Versorgung und mit steigenden Preisen auf Grundnahrungsmittel kämpft, sei es demnach unsinnig, große Anbauflächen der Spriterzeugung zu widmen.
Und wie auch immer die persönliche Einschätzung dieses Konflikts ausfällt, so lässt sich wohl eines kaum bestreiten:
Gerade im Landwirtschaftsbereich sind die planwirtschaftlichen Eingriffe der entwickelten Welt, also vor allem der USA aber natürlich auch der EU, ein Problem für die Produktion in den Entwicklungsländern. Da braucht man noch gar nicht die Unfassbarkeit strapazieren, dass in Südost-Asien oder Südamerika sogar Urwaldflächen zur Gewinnung von Anbauflächen von Biotreibstoff abgeholzt werden - auch die großzügige Subventionierung heimischer Landwirtschaft hat einen nicht zu unterschätzenden Impact. Werden nämlich Erzeugnisse oder subventionierte Überschüsse zu Dumpingpreisen exportiert, kann das mitunter gesamte Produktionen in Afrika unwirtschaftlich machen und damit Abhängigkeiten vom Weltmarkt verstärken. Erst recht in einer Zeit schwieriger Ernten und Dürren.
dpa / Stefan Rampfel
Das System von globaler Produktion und Handel mit Nahrungsmitteln ist also ein sehr fragiles, das auf Eingriffe sensibel reagiert und oft bewahrheitet sich leider auch, dass unüberlegte Eingriffe eine ganze Latte an weiteren Maßnahmen nötig machen.
Marktversagen und böse Spekulanten
Sind jetzt also die Politiker die Bösen und die Marktkräfte, also die "Spekulanten", die Guten?
Nein, das wäre natürlich auch zu einfach, natürlich kann man der Profitmaximierung über das Verschieben lebensnotwendiger Güter wie Weizen, Mais oder Reis zurecht kritisch gegenüber stehen. Und natürlich hat auch Jean Ziegler Recht, wenn er sagt, dass ein Kind, das "heutzutage am Hunger stirbt, ermordet wird". Oder weniger polemisch ausgedrückt, zum Opfer einer haarsträubend ungerechten Verteilung wird.
Dass aber ein Umwelt-Minister, der gleichzeitig auch Bauernvertreter ist, nicht sehen kann und will, wie planwirtschaftliche Experimente und Subventionen zum Nutzen einer stimm-willigen Klientel möglicherweise allen anderen schaden - und sich in der Analyse nicht zu schade ist, diese Teilschuld der politischen Intervention als "Marktversagen" zu titulieren und den "bösen Spekulanten" in die Schuhe zu schieben, ist trotzdem bemerkenswert.
Selbst in einer bürgerlichen Partei, deren Innenministerin gerne "Her mit dem Zaster, her mit der Marie" ruft.