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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

17. 9. 2012 - 23:20

Freiwillig Zivildienst?

Sollte die Wehrpflicht in Österreich ausgesetzt oder gar abgeschafft werden, gäbe es auch keine Zivildiener mehr. Ihre Arbeit könnte dann von Freiwilligen erfüllt werden, die ein Sozialjahr leisten. Eine sinnvolle Lösung? Wir diskutieren in FM4 Connected.

"Ich bin ein neuer Mensch geworden", erzählt Lennart, "Der Zivildienst seit Februar hat mir die Augen geöffnet! Ich hab das noch nie erlebt, es ist, als ob ich schon immer dort gewesen wäre!" Lennart macht seit Februar Zivildienst in einer Werkstatt des Österreichischen Hilfswerks für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte. Er ist in der Künstlerei tätig: "Da wird viel gemalt und gebastelt. Wir stellen Geschenkpapier und Postkarten her. Wenn wir viel Zeit haben, dann filzen wir. Daraus werden dann so Filzkugeln für Schlüsselanhänger und Ohrringe."

Vor dem Zivildienst wusste Lennart über Menschen mit Behinderung sehr wenig. Auch für Sozialarbeit hat er nicht unbedingt so große Begeisterung aufgebracht. Bevor er Zivildienst gemacht hat, war er sich nicht sicher, ob die neun Monate nicht Zeitverschwendung wären. Mittlerweile weiß er, dass er auch selbst viel mitnehmen kann: "Ich bin viel geduldiger und verantwortungsbewusster geworden." Und ohne Zivildienst hätte er nicht gewusst, was er mit seinem Leben machen will, meint er. Er hat überlegt, die Krankenpflegeschule zu machen, aber jetzt ist er sich sicher: er möchte die Schule für Sozialberufe der Caritas besuchen.

Natürlich machen nicht alle Zivildiener solche lebensverändernden Erfahrungen wie Lennart. Er erzählt zum Beispiel vom Zivi-Kollegen in einem anderen Teil der Werkstätte, der bei weitem nicht so motiviert an die Sache herangeht, sondern das ganze eher als Pflichtübung sieht. Aber für einige wie Lennart ist der Zivildienst offenbar eine Bereicherung.

Zivildienst seit 1975

Seit 1975 können Wehrpflichtige in Österreich aus Gewissensgründen statt des Wehrdienstes Zivildienst leisten. Die Zahl der Zivildiener ist seitdem ständig gestiegen: 344 waren es 1975, letztes Jahr gab es dann 13.510 Zivildiener.

Fast 40% Prozent der Wehrpflichtigen haben sich 2011 für den Zivildienst entschieden, der immerhin drei Monate länger als der 6-monatige Wehrdienst dauert. Mit Abstand die meisten von ihnen arbeiten bei der Rettung, gefolgt von Behindertenhilfe und Sozialhilfe. Seit dem 1.2.2012 wird der Zivildienst mit 301,40 Euro im Monat entlohnt.

Im Gegensatz zu den über 13.000 Zivildienern haben 2011 etwa 400 Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr abgeleistet. 90% davon sind Mädchen. Dass die Frauen hier so viel mehr sind, liegt natürlich daran, dass die jungen Männer eben Zivildienst machen können.

Junge Hand mit alter Hand

dpa/Arne Meyer

Freiwillig für das Soziale

In Österreich gibt es verschiedene Organisationen, über die man derzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr machen kann: Die größte ist das FSJ - das Freiwillige Soziale Jahr, das v.a. von verschiedenen katholischen Einrichtungen getragen wird. Außerdem gibt es das Diakonische Jahr und die ARGE Soziale Berufsorientierung in Vorarlberg.

"Es ist irrsinnig schnell vergangen", erzählt Anna Hanser über ihr Freiwilliges Soziales Jahr. "Ich angefangen und schon war es wieder aus. Der Abschied ist mir sehr schwer gefallen! Ich hätte es locker noch länger ausgehalten." Anna hat zehn Monate in einer Wohngemeinschaft für Erwachsene und Senioren mit Behinderung in Mödling gearbeitet. Dort war sie zum einen für die Freizeitgestaltung zuständig: "Ich habe viel Gitarre gespielt mit den Menschen, Spaziergänge gemacht oder sogar Tagesausflüge!" erzählt sie. Aber auch zu weniger angenehmen Tätigkeiten, wie Körperpflege oder Hilfen im Haushalt wurde sie eingeteilt.

Anna sagt, sie habe schon immer etwas Soziales machen wollen. Nachdem sie auf der FH für Soziale Arbeit keine Studienplatz bekommen hatte, wusste Anna nach der Matura nicht so recht, was sie machen sollte. Mit dem Sozialjahr hat sie diese Leerstelle überbrückt. Sie konnte sich das aber nur deswegen leisten, weil sie noch zu Hause gewohnt hat und ihre Eltern sie finanziell unterstützt haben. Vom Taschengeld alleine kann man nicht leben.

Freiwillige sind motivierte Arbeitskräfte

Anna denkt, ein Freiwilliges Soziales Jahr könnte für viele Menschen in einer ähnlichen Situation eine gute Sache sein. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass sich die Einstellung von Zivildienern und Freiwilligen schon sehr unterscheiden kann: „Ein Zivildiener muss das machen und ich wollte das machen. Ich habe ja die sozialen Erfahrungen gesucht und hatte daher andere Aufgaben als der Zivildiener, der auch in unserer Einrichtung gearbeitet hat. Der hat eher Wäsche gewaschen oder Einkäufe gemacht. Viele von den jetzigen Zivis haben sicher nicht so ein Interesse an den Menschen.“

Elisabeth Mărcuş, verantwortlich für das Freiwillige Soziale Jahr in der Regionalstelle Wien, berichtet ähnliches: In Österreich wären wesentlich mehr als diese rund 400 Freiwilligen möglich, es fehlen aber die finanziellen und personellen Ressourcen. Die verschiedenen Einsatzstellen zahlen derzeit zwischen 150 und 300 Euro mehr für FSJlerInnen als für Zivildiener (Zivis sind öffentlich subventioniert, FSJ kaum bis gar nicht). "Trotzdem greifen Einsatzstellen vermehrt zu FSJlerInnen, weil sie ganz eine andere Motivation an den Tag legen, das Ganze freiwillig und mit riesigem Engagement machen", sagt Elisabeth Mărcuş. "Hinzu kommt, dass FSJlerInnen durch die vorgeschrieben Bildungsarbeit, durch Seminare und persönlichen AnsprechpartnerInnen durchs Jahr begleitet werden. Auch das steigert die Qualität ihrer Arbeit."

Zivildiener füttert eine alte Frau

dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

"Bufdis" in Deutschland

Vorbild für Österreich bei den Freiwilligen könnte Deutschland sein: Dort gibt es seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Juli 2011 auch keine Zivildiener mehr – stattdessen können jetzt Frauen und Männer ohne Altersgrenze ein sogenanntes Bundesfreiwilligenjahr absolvieren. Und das funktioniert besser, als von vielen Kritikern im Vorfeld befürchtet.

35.000 Stellen waren insgesamt zu vergeben, doppelt so viele Menschen haben sich beworben. Und, wie ORF-Korrespondentin Maria Seifert aus Berlin berichtet: Es melden sich vor allem Frauen und ältere Menschen. Die jungen Männer, die man früher über den Zivildienst zur Verfügung hatte, sind viel weniger geworden, sagt Rüdiger Kunz vom Roten Kreuz Berlin: "Das ist zum Beispiel eine Sache, die wir sehr bedauern. Weil Leute, die sich ansonsten nicht mit Pflege, Kindertagesstätten oder ähnlichem beschäftigen würden, konnten wir durch den Zivildienst an diese Tätigkeiten heranführen und dadurch haben wir viele junge Männer für Soziale Arbeiten gewinnen können." So wie Lennart eben.

Der deutsche Bundesfreiwilligendienst wird bezahlt, leben kann man davon aber nicht wirklich. Pro Monat bekommt einE sogenannte Bufdi maximal 330 Euro. Ein Freiwilligenjahr in Deutschland ist nicht selten eine willkommene Überbrückung, wenn man nach dem Abitur auf einen Studienplatz wartet. In Maria Seiferts Radiobeitrag begegnen wir der 21-jährigen Bufdi Alena Gerken, die das Team im Sportgesundheitspark Berlin unterstützt, und der 72-jährigen Bufdi Brigitte Brodhun, die, nachdem sie ihren Beruf als Buchhalterin an den Nagel gehängt hat, endlich ihrem Wunsch nachgeht und als Gärtnerin arbeiten kann.

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Wir diskutieren

Kann das Freiwillige Sozialjahr den Zivildienst ersetzen? Wir diskutieren das am Dienstag ab 15 Uhr in FM4 Connected. Zu Gast ist Alice Uhl von der Young Caritas. Sie hilft täglich dabei, wenn junge Menschen sich gerne sozial engagieren möchten und weiß, wie groß deren Beireitschaft ist, freiwilllig Sozialdienst zu leisten. Wenn du mitdiskutieren willst: am besten wie Posting im Forum oder Anruf im Studio! Die Nummer ist 0800 226 996!