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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 9. 2012 - 10:54

Vorfreude in Blutrot

Trio Infernal: Kaminplaudereien dreier Filmbesessener zum /slash Filmfestival 2012 und dem gegenwärtigen Zustand des Horrorgenres.

CHRISTIAN: Da sitzen wir wieder mal rund um den virtuellen Kamin und schwärmen, Sebastian Selig, Doc Nachtstrom und meine Wenigkeit. Drei Filmbesessene, die sich diesmal aus einem ganz besonderen Anlass zusammengefunden haben. Zum dritten Mal kommen Fans blutiger, kontroversieller und fantastischer Filme beim /slash-Festival in Wien nun auf ihre Kosten. In Deutschland bist Du, Sebastian, ja schon seit langem mit dem Fantasy Filmfest verwöhnt, in Österreich schließen Festivalchef Markus Keuschnigg und seine engagierten Kollegen eine essentielle Lücke. Was springt Dich in dem zehntägigen Programm denn besonders an?

SEBASTIAN SELIG (Splatting Image, Deadline) lebt im Kino, einem immer wieder auch verdammt unheimlichen Ort, der, kaum fällt etwas Licht durch den Projektor in sein Schwarz, oft genug anfängt untot aufzuerstehen, wenn auch meist mit recht beglückenden Folgen.

SEBASTIAN: Tatsächlich war hier im, was den kontroversiell fantastischen Film angeht, eher verdammt verträumten Deutschland gerade erst besagtes Fantasy Filmfest. Und so kann ich tatsächlich einiges aus dem diesjährigen Line-Up bereits wärmstens empfehlen. Schon gesehen habe ich beispielsweise „The Tall Man“, nach "Martyrs" der neue Film des wohl derzeit spannendsten Franzosen überhaupt, Pascal Laugier, und was soll ich sagen: der Film ist ein Fest. Weniger vielleicht eine erneute Belastungsprobe in Sachen Terror, aber kaum weniger dicht inszeniert als sein Vorgänger. Ein großer, kluger, durch und durch französischer Film mitten in den kalten Wäldern des amerikanischen Nordens. So verdammt schön inszeniert und mit einer Jessica Biel, wie man sie so eindringlich noch nicht zuvor gesehen hat.

CHRISTIAN: Ich gehöre ja, im Gegensatz zu euch beiden, nicht zu den fast schon religiösen Verehrern von „Martyrs“, ganz im Gegenteil. Aber das ist ein anderes Thema und für mich ist tatsächlich „The Tall Man“ der Film auf dem Festival, dem ich am meisten entgegenfiebere. Der nasskalte Trailer, die Geschichte vom großen, schwarzen Mann, der die Kinder holt, die zu erwartende Ernsthaftigkeit der Geschichte, all das zieht mich magisch an.

DR. NACHTSTROM verlässt sein Chalet in den steirischen Wäldern nur, um als Co-Host zusammen mit Christian Fuchs das House of Pain zu betreuen. Seinen unersättlichen Hunger auf Horrorerzeugnisse aller Art teilt er auf dem Blog Blutundbeuschel zusammen mit einer Dame namens La Comtesse Noire mit der Öffentlichkeit.

The Tall Man

Slash Filmfestival

DOC: Als großer Fan von Pascal Laugier bin ich natürlich ebenso auf “The Tall Man” gespannt. Aber weil du die Ernsthaftigkeit angesprochen hast: Die hat sich für mich bei den letzten gefühlten zehn Genrestreifen eigentlich vertschüsst. Das liegt einerseits am niederen Niveau der vielen B- und C-Movies, die mit aller Macht den DVD-Markt überschwemmen. Und auch daran, dass ich kürzlich gemerkt habe, dass ich mich einfach nicht mehr so gruseln, das heißt auf das Horror-Paradigma einlassen kann wie früher.

CHRISTIAN: Da geht es mir leider genauso. Das ist wohl der Fluch, den man als Genrekino-Veteran mitschleppen muss. Wobei ich in meinem Fall gar nicht von Abgebrühtheit sprechen würde. Auch nach gefühlten Zehntausenden Blut- und Beuschel-Streifen bin ich noch nicht zu jenem desensibilisierten Betrachter mutiert, den Medienwissenschaftler als Schreckgespenst an die Wand malen. Sonst würden mich so unterschiedliche Filme wie eben „Martyrs“, „Srpski Film“ oder „Human Centipede 2“ nicht aufwühlen. Aber da geht es eher um einen Ärger meinerseits über aufgesetzte Tabubrüche, nicht um Furcht. Die finde ich im Kino wirklich nur selten, weil mir die tausendfach gesehenen Klischees immer in den Weg kommen, bevor sich wohlige Angst einstellt.

DOC: Zum Glück kam da ein großartiger Film zur richtigen Zeit, nämlich die Wunderschachtel “The Cabin in the Woods”. Eine Meta-Meta-Meditation über die Geschichte des Genres an sich, wunderbar in Szene gesetzt von “Lost”-Autor Drew Goddard und dem noch immer hochoriginellen Joss Whedon an den Drehbuchreglern. “Cabin in the Woods” fand ich zwar auch nicht im klassischen Sinne gruslig, aber zumindest mal einen sehr frischen Ansatz in einem inzwischen mehr als ausgelutschten Genre.

Mann verletzt

Constantin

CHRISTIAN: Das Tolle an dem Film ist ja, dass er die Klischee-Müdigkeit, von der wir reden, nicht bloß mitspiegelt, sondern zu einem der Hauptthemen macht. Es ist der Horrorfilm to end all Horrorfilms sozusagen. Aber natürlich geht es immer weiter. Und glücklicherweise, das zeigt das Programm des heurigen /slash Filmfest, gibt es kreative Regisseure, die ausgetretene Pfade verlassen, beim Versuch uns gründlich zu schocken.

SEBASTIAN: Man sollte auch erwähnen, dass die „Cabin in the Woods“ bereits lange vorher beim /slash Filmfest gezimmert wurde, bevor der Film nun auch ganz regulär die Kinoleinwände unter Starkstrom setzt.

CHRISTIAN: Ja, auf das Festival ist Verlass, wenn man Dinge sehen will, die viele Monate oder oft erst ein Jahr später in aller Munde sind.

SEBASTIAN: Um bei eurem Thema nochmal einzuhaken - was schreckt euch überhaupt heute noch?

DOC: Wie schon gesagt, im traditionellen Horrorfilm eigentlich kaum noch was - das müssen dann schon Filme sein, die über dem Genre stehen oder einen anderen Ansatz haben - als Beispiele möchte ich hier den großartigen Thriller “Kill List” nennen, oder den Indie-Mystery-Streifen “Take Shelter”, beides Filme, die nicht zum strengen Gruselkanon gehören, mir aber mehr Schauer über den Rücken gejagt haben als jeder x-te Torture-Porn-Abklatsch.

The Kill List

Slash Filmfestival

CHRISTIAN: Exakt diese beiden Streifen würde ich auch als Beispiele nennen. „Kill List“ war im Vorjahr die intensivste /slash-Erfahrung für mich. Der Angstfaktor kommt da einerseits aus einem Zusammentreffen von grobkörnigem Realismus und dann einem Schwenk ins Irrationale, an den Punkt, wo Worte und Erklärungen nicht mehr greifen. Ich hoffe heuer auch auf solche Momente im Wiener Filmcasino, wo mir meine horrible Gelassenheit einfach weggefetzt wird.

DOC: Ein unglaublich arger Film, der bis jetzt für mich eigentlich noch nicht getoppt wurde. Der ist nämlich genau so, wie ich mir das viel öfter wünschen würde: Ein Konglomerat aus verschiedenen Stilen, mal Familiengeschichte als Indiefilm, mal spannender Krimi, mal tribalistischer Anklang an Kultwerke wie “Wicker Man”. Durch diesen Stil-Mix, der natürlich ebenso mühelos ineinanderfließen muss wie bei dem vielbewunderten “Drive”, ist man als Zuseher nämlich Out of the Box. Soll heißen, man hat keinen lähmenden Erwartungsfilter mehr. Wenn dann das Grauen hereinbricht, dann fährt es dir wirklich ins Gesicht. Genau solche Erlebnisse erwarte ich mir auch vom heurigen /slash-Festival, aber ich kenne Markus Keuschnigg durch unsere gemeinsame Arbeit am FM4 Movie Dungeon schon ein bisschen und weiß, das er ähnlich denkt, immer auf der Suche nach Ungewöhnlichem, Neuen ist. In diesem Sinne freue ich mich also schon sehr auf das /slash.

SEBASTIAN: Blickt ihr aufs diesjährige Programm des Festivals, wo bricht sich denn da bei euch die Vorfreude am stärksten Bahn?

DOC: Also ich freu mich vor allem auf “V/H/S”, dieser Film soll ja, vor allem was Schocktaktiken betrifft, richtig progressiv sein. Ich wünsche mir das ja so sehr, dass es mich auch wieder mal richtig fetzt, also da erwarte ich mir einiges. Auch “Citadel” und “The Squad” am selben Tag könnten in die gleiche Kerbe schlagen - das sind alles Filme, in denen sich eher junge Regisseure daran machen, das Schreckmoment neu zu definieren und die Angst der filmischen Protagonisten in neuer Art auf den Zuseher zu übertragen. Vielleicht kuriert mich so eine ganztägige Schockkur von meiner Langeweile am derzeitigen Horrorfilm.

VHS

Slash Filmfestival

SEBASTIAN: „V/H/S“, der „Found Footage Film to end all Found Footage Films". Die Überdosis. Mehr „Trash Humpers“ als „Blair Witch Project“. Experimentell überschäumend und darin speziell in der ersten Hälfte verdammt mitreißend. Klar geht im weiten Feld bei unzähligen Beteiligten auch manches schief und summiert sich gegen Ende vielleicht auch viel zu dicht auf, als dass man nicht manchmal wünschte, es wäre doch endlich vorbei. Aber spannend ist der auf jeden Fall. Ein noch sehr viel kälteres, reichlich unbarmherziges Wunder allerdings: „Chained“ von Jennifer Chamber Lynch. Vielleicht die härtesten zwei Stunden ihrer Art seit „Henry – Portrait Of A Serial Killer“.

Ebenfalls auf dem Programm: Zombie-Flashmobs auf der Mariahilferstraße, ein Special zur Beziehung von Film und Computerspiel, ein Videogame Character Cosplay Contest und ein Computer Games Drag Ball.

CHRISTIAN: Umwerfend fand ich auch den Trailer zu „Excision“, der um eine asoziale Vorstadtjugendliche kreist, die sich im Krieg mit der Welt befindet. Das sieht nach bösartigem Punkrock-Kino aus und für amoklaufende Außenseiter-Satiren haben Keuschnigg & Co. ja immer ein besonders gutes Gespür. Die göttliche Traci Lords und der nicht minder anbetenswürdige John Waters sind auch mit von der fiesen Partie.

SEBASTIAN: Da passt auch „God Bless America“ ganz gut rein, auch wenn der Amoklauf hier aus der mitunter etwas belehrend abgeklärten Sicht einer Midlife-Crisis heraus erzählt, mitunter nicht ganz so ungestüm daherkommt. Aber spätestens dann, wenn in der Casting-Hölle der Super-Talente die Kalaschnikow gezückt wird und Dieter Bohlen sich mit Bauchschuss am Boden windet, hatte das schon Drive, ist das schon irgendwie süß.

God Bless America

Slash Filmfestival

CHRISTIAN: „The Aggression Scale“, eine Art Hardcore-Version von „Kevin - Allein zu Haus“, schlägt wohl in eine ähnliche sarkastische Kerbe. „Redd Inc“ verspricht wiederum eine brachiale Satire auf inhumane Unternehmenspolitik in neoliberalen Zeiten, inklusive derber Make-Up-Effekte von FX-Guru Tom Savini.

SEBASTIAN: Unheimlich gespannt bin ich auf den diesjährigen Eröffnungsfilm „Escape“ des Norwegers Roar Uthaug, dessen „Cold Prey“-Trilogie mich mit ihrem präzisen Auge für bitterkalte Schnee- und Herbstlandschaften bereits maßlos verzückt hat. Hier nun endlich sein erster richtiger Wikingerfilm und wieder geht es in diese unbarmherzig prachtvolle Natur und wieder auf die Jagd. Schön.

Als Gäste begrüßt die /slash Crew zum Beispiel Joshua Grannell aka Peaches Christ, die vor dem Screening von „All About Evil“ eine Drag Queen Performance bieten wird oder auch Russel Cherrington, den „Restaurations-Regisseur“ von „Nightbreed“.

CHRISTIAN: Ich glaube, ein Werk dem wir allesamt entgegenfiebern, ist der irrlichternde „Beyond The Black Rainbow“. Der junge Panos Cosmatos, dessen Papa George P. Cosmatos zu den legendärsten Euro-Schundfilmern zählt, schenkt sich das Korsett des konventionellen Storytelling und kreierte einen hynotischen Fluss aus Bildern und Sounds. „2001“, „Solaris“ und das neo-psychedelische Science-Fiction-Kino der 60ies und 70ies lassen grüßen. Ein Film nahe an der rauschhaften Drogenerfahrung, hoffe ich zumindest.

SEBASTIAN: Neugierig wäre ich auch auf den liebevollst, in jahrelanger Kleinarbeit restaurierten Director's Cut von Clive Barkers „Nightbreed“ über den man allerorten nur Gutes hört.

CHRISTIAN: Wovon ich mir herrlich bizarres Amüsement statt geballtem Schrecken erwarte, ist Francis Ford Coppolas neuester Film, der, wie so viele, auf dem /slash seine Österreichpremiere feiert. „Twixt“ heißt der und zeigt den molligen Val Kilmer als abgehalfterten Horrorautor, der bei einer Lesereise durch die Provinz dem Schrecken begegnet. Ein skurriles Gruselvergnügen, wurde mir erzählt, mit lustigen 3-D-Effekten und einer superen Besetzung, inklusive Bruce Dern, Elle Fanning und Tom Waits. Ich fand ja Coppolas Low-Budget-Experiment „Tetro“ auch ziemlich lässig, der Mann altert auf wunderbar losgelöste Weise.

piranha-3dd

Slash Filmfestival

DOC: Aus Partygründen möchte ich natürlich “Piranha 3DD” am Freitag, dem 28. September, keinesfalls versäumen, und ein Film, der mich aufgrund des Trailers sehr interessiert - ich gebe zu: es war hauptsächlich das fantastische Sounddesign - ist “The Pact”. Der läuft zum Abschluss des Festivals am Sonntag, dem 30. September. Ich hoffe, dass mich dieser Streifen auch ordentlich in Stimmung bringt für meine Geisterperformance mit David Pfister im Anschluss.

Das /slash Festival findet von 20. bis 30. September im Wiener Filmcasino statt.

CHRISTIAN: Psst, darüber sollten wir hier nicht sprechen. Sonst kommt noch raus, dass meine Wenigkeit auch in einen schaurigen Event rund ums Festival involviert ist. Aber allen unvermeidlichen Nepotismus-Rufern sei gesagt: Uns geht es hier tatsächlich nur um die kollektive Vorfreude auf herrlich blutgetränkte zehn Tage.

SEBASTIAN: Wien, Du schreckst niemals wundervoller wie in der blutroten Herbstsonne dieses zauberhaften /slash-Septembers. Vorfreude Deluxe.

Gewinnspiel beendet

Wir haben 2x2 Tickets für den /slash-Eröffnungsfilm "Escape" am Donnerstag, 20.9.2012 um 20.30 Uhr im Wiener Filmcasino verlost:

Mit welcher TV-Serie schrieben die "Cabin in the Woods"-Macher Drew Goddard und Joss Whedon gemeinsam Fernsehgeschichte?

Richtige Antwort: Buffy - The Vampire Slayer

Vielen Dank fürs Mitmachen, die GewinnerInnen wurden per Email verständigt. Herzlichen Glückwunsch!