Erstellt am: 15. 9. 2012 - 11:55 Uhr
Viel Holz vor der Hütte
Cannes im Mai 2011. Da ich nur mit einer regulären Markt-Akkreditierung (und nicht mit Supersonder-Berechtigungen) ausgestattet bin, versperrt mir ein höflicher, aber tendenziell unheimlicher Suit den Eingang in den Kinosaal. Zehn Minuten, einige Telefonanrufe und eine Lüge später lasse ich mich dann doch noch in den Sessel fallen und fühle mich wie ein Lausbub, der den Fehler im System gefunden hat, der jetzt gerade irgendwo ist, wo er eigentlich nicht sein dürfte.
Über The Cabin in the Woods weiß ich damals nichts, außer, dass Joss Whedon wohl daran beteiligt war und dass er aufgrund der drohenden Insolvenz des Produktionsstudios MGM fast zwei Jahre lang unberührt im Lost Movie’s Dungeon lag. Gute zwei Stunden später kratze ich meine Kinnlade vom verklebten Fußboden und schleppe mich mühselig wieder hinaus in die schnöde Wirklichkeit, im Wissen hier jetzt einen zukünftigen Klassiker gesehen zu haben, einen Film, der sich gleichzeitig dekonstruiert und bestätigt, in dem die Dekonstruktion nicht in einen müden postmodernen (wie ich dieses Wort schon hasse) Schmäh mündet, sondern zur Essenz der Handlung gemacht worden ist.
Constantin
Erwartungsenthaltung
Darauf folgt die Ernüchterung, denn: mit wem soll ich das teilen, wenn ich und eine Handvoll Suits die einzigen Menschen zumindest in Europa gewesen sind, die den fertigen Film gesehen haben? Wie eine Cartoon-Figur stehe ich an diesem Abend mit meinen Kollegen in einer Bar und gestikuliere wild um mich; mit Luft gefüllte Wangen, Tränen unterlaufene Augen, unzusammenhängende Silben purzeln aus meinem Mund, erinnern mich daran, wie schwierig es ist, wenn man über etwas nicht reden oder schreiben darf. Es sei denn, man nimmt in Kauf, damit allen anderen die Überraschung zu verderben.
Das ist in etwa so, wie wenn ich dir ein Geschenk überreiche und dir gleichzeitig sage, was drinnen ist. Denn das schönste an Filmen wie „The Cabin in the Woods“ gleich nach dem eigenen Sehen ist das Gesicht der Anderen zu sehen, wenn sie schrittweise dahinter steigen, wie geil das alles ist. Also ja, „The Cabin in the Woods“ ist die Mutter aller Spoiler-sensiblen Filme. Insofern sollten AB HIER bitte nur mehr all jene mitlesen, die den Film bereits gesehen haben oder ihn nie mehr sehen wollen.
Die fünf Freunde
Fünf Freunde fahren in eine Hütte im Wald. Ein feistes Wochenende soll es werden, mit Alkohol und Sex. Gleich am Anfang weisen Drehbuchautor Joss Whedon und Regisseur Drew Goddard das Publikum unmissverständlich darauf hin, dass es keinen konventionellen Horrorfilm zu erwarten hat. Ein Adler kreist als halbwegs gut animierte Digitalkreatur zwischen Felswänden und knallt plötzlich gegen eine unsichtbare Barriere, deren Wabenstruktur kurz aufflackert, während die jungen Leute im Hintergrund die Bergstraße entlangfahren.
Constantin
Die Hütte schließlich ist ein romantischer Holztraum, wird aber rund um die Uhr von einem gewaltigen, retrofuturistisch anmutenden Monitorraum aus überwacht. Ein Stab von feierlustigen, alltagszynischen Bürokraten beobachtet sie und manipuliert ihre Umgebung. Eine Kellerluke fliegt auf, unheimliche Artefakte (ein jedes davon eine Referenz an eine Horrorfilm-Tradition) bitten um Interaktion, biochemische Stoffe in der Luft beeinflussen die Handlungen und Entscheidungen der Hüttenbewohner. Und wofür all das? Um die Götter zu besänftigen. Und für Sigourney.
Monster und Pheromonster
Goddard und Whedon bauen die dem Horrorkino und anderen Genres gerne und oft vorgeworfenen Stereotypisierungen, die interessanterweise auch immer nur jene Leute ärgern, die mit solchen Filmen eh nix anfangen können, gleich in die Grundstruktur ihres Films ein. „The Cabin in the Woods“ ist deshalb irgendwo jenseits von Meta: er kommentiert nicht, sondern naturalisiert. Ohne das ewig gleiche Raster von Figuren (die Intelligente und die Scharfe, der Jock und der Nerd), ohne den von in die Luft gesprühten Pheromonen und sonstigen Stoffen ausgelösten hirnrissigen Entscheidungen, ohne den immer gleichen Ablauf und immer gleichen Ausgang, fällt die Welt auseinander.
Constantin
„The Cabin in the Woods“ mag sich kopflastig anhören, ist aber eine Geisterbahn von einem Film. Spätestens wenn die zwei Überlebenden in die Verwaltungszentrale einsteigen und die dort in Glaskuben vor sich hintreibenden Monster alle auf einmal los lassen, hüpft das Herz eines jeden Horror- und Monsterfans im Quadrat.
Konservierte Killer
Und irgendwie würde ich dann selbst gerne ein Praktikant sein in der Kommandozentrale, darauf wetten, welches Monster diesmal losgelassen wird, darauf hoffen, dass mein Favorit überlebt. Und dann fällt mir auf, dass ich ja schon längst in der Kommandozentrale sitze, dass die Filme, die ich sehe, so sind, weil ich sie so haben will. Und dass vermutlich irgendetwas ganz im Argen läge, wenn plötzlich keine Horrorfilme mehr gemacht werden würden. Ich will, dass die Teenager in Waldhütten fahren, will, dass es verschämte Erotik und Drogen gibt, will, dass dann etwas ganz Schlimmes passiert und Blut fließt und Köpfe rollen. „The Cabin in the Woods“ ist ein Nerdfilm, da es ein Film über das Nerdtum ist, über dessen Konservatismus, Traditionalismus und Isolationismus.
Mit "The Cabin in the Woods" fordern Goddard und Whedon dieses Nerdtum jetzt heraus. Statt erwartbarem Body Count servieren sie Subversion und Dekonstruktion und Kontemplation, verpackt als Abend füllendes Remmidemmi mit viel Sinn und Verstand. Und ich liebe sie dafür.