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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

14. 9. 2012 - 17:39

Die vergessene Welt

Die Bücher von Daniel Woodrell sind düster, brutal und hoffnungslos. Aber auch tieftraurig, romantisch und schön.

Manchmal dauert es mit dem Ruhm ein wenig länger. Wie im Fall von Daniel Woodrell. Erst nachdem die Verfilmung seines Romans "Winter's Bone" 2011 mehrfach für den Oscar nominiert wird, wird die Welt auf den außergewöhnlichen Schriftsteller aufmerksam. Davor nennt ihn Kollege Dennis Lehane den unbekanntesten unter den großen Autoren der USA. Im Schatten bleibt Woodrell, obwohl Ang Lee seinen Bürgerkriegsroman "Woe to Live On" als "Ride with the Devil" verfilmt.

Mann auf Stiege

http://www.culturesnob.net/2010/06/follow-the-character/

Wie seine Figuren lebt auch Woodrell abseits von Scheinwerferlicht, Glanz und Glamour. Menschen, die mit ihm sprechen wollen, müssen stundenlang durch das unwirtliche Ozark-Plateau in Missouri knattern, bevor sie bei dem Haus ankommen, in dem Woodrell mit seiner Frau lebt. Vor kurzem ist mit „Der Tod von Sweet Mister“ einer seiner früheren Romane ins Deutsche übersetzt worden.

Auf dem Friedhof wuchsen Bäume, große mächtige Eichen und Säulenkiefern, außerdem hüpften Eichhörnchen frei auf dem Gelände herum, aber es waren diese Reihen von Grabsteinen, die einen starken, lang anhaltenden Eindruck hinterließen. Und wenn man genau hinschaute, dann sah man die Toten, die alten Toten, die frischen und die dazwischen.

Leben am Friedhof

Shug Akins ist dreizehn und lebt auf einem Friedhof. Also eigentlich mitten im Friedhof. Dort steht das kleine Häuschen seiner Mutter Glenda. Die nennt ihre Rum-Cola Tee und trinkt sie stilecht aus der Thermoskanne, die sie freilich überall hin mitnimmt. Shug liebt seine berauschte Mutter: immer wieder erlaubt Autor Daniel Woodrell den beiden sinnliche Momente, die sich zunehmend erotisch aufladen.

Cover

Liebeskind

Der Tod von Sweet Mister ist beim Liebeskind Verlag erschienen. Deutsche Übersetzung von Peter Torberg.

Ich tat es ihr nach und goss wieder und wieder Wasser über sie. Es plätscherte ihr über die Schultern, floss ihr bis in die Shorts und durchnässte sie. „Das ist gut“, sagte sie. „Sehr gut. Das reicht.“ Sie stand auf, und man konnte den Schlüpfer unter ihren weißen Shorts sehen; der war wohl auch feucht, nehme ich an. Man sah die Hautfarbe und ein paar dunkle Flecken. Sie hatte ihre Figur behalten, und die war gut bis richtig gut.

Glenda und Shug, oder „Sweet Mister“, wie sie ihn auch manchmal nennt, könnten ein schönes Leben haben. Aber dann ist da noch Red, Glendas Freund. Ein primitiver Schläger von einem Mann, der Shug in die Häuser von Schwerkranken schickt, um deren Medikamente zu klauen. Kein Wunder also, dass Glenda sich in einen attraktiven Fremden verliebt, als der plötzlich in einem Waldstück auftaucht. Gemeinsam wollen sie ein neues Leben aufbauen. Und dafür muss das alte sterben.

Das Tischbein war hinter dem Kühlschrank gelandet. Ich hob es auf. Am schweren Ende klebten Blut und Haut. Ich trug das Tischbein ins Bad, kratzte es über dem Klo mit dem Messer ab. Da klebte ein Stück Fleisch, das von irgendeiner Stelle eines Menschen abgerissen worden war. Vielleicht von einer Lippe. Vielleicht von einem Ohr. Oder einem Augenlid, aber wahrscheinlich nicht. Der Fetzen wirkte traurig ohne das richtige Gesicht drum herum.

Zu Hause am Ozark-Plateau

2001 erscheint die Originalausgabe von „Der Tod von Sweet Mister“. Der damals knapp 50-jährige Woodrell schreibt aus der Perspektive eines 13-Jährigen. Authentisch und aufrüttelnd. Schauplatz ist wie in seinen anderen Roman das Ozark-Plateau in Missouri: ein bettelarmer Landstrich, der seinen eigenen Regeln folgt.

Gebirgsregion

ozarkmountain.org

In den frühen Siebziger Jahren flieht Woodrell aus Missouri, geht zu den Marines und wird auf Guam stationiert. Die Erfahrungen, die er dort macht, fließen in seine Romane ein. Erst in seinen späten Zwanzigern beginnt er ernsthaft eine Karriere als Schriftsteller zu verfolgen.

Nach der Uni zieht er nach Kalifornien und will eigentlich eine "sophisticated novel" schreiben. Zu seiner eigenen Stimme findet er aber erst, als er wieder zurück nach Missouri geht und auch seine Bücher dort, auf dem Ozark-Plateau, spielen lässt.

Die unwirtliche Landschaft produziert unwirtliche, unfreundliche Figuren. Bei aller Härte und Finsternis blitzen aber immer wieder Schönheit und Anmut auf, auch in "Der Tod von Sweet Mister". So schön und anmutig der Tod der Unschuld und das Ende einer Kindheit eben sein können. In der Mitte eines Friedhofs, irgendwo in Missouri.