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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

12. 9. 2012 - 14:02

Die Welt ist noch da

Gestern, am 11. September 2012, flog ich nach Wien.

Die Flugtickets an diesem Tag waren viel billiger als am Tag vorher oder nachher. Die einstürzenden Türme des World Trade Center: ein Anblick, den wohl keiner vergessen kann. Was solls, sagte ich mir. In Wien gibt es keine so hohen Gebäude.

Mit Akzent
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Allerdings kann man nicht wissen, wo die Terroristen ihren Unfug treiben werden. Nur vor einem Monat sprengte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft. Neben einem Bus mit israelischen Touristen auf dem ruhigen provinziellen Flughafen in Burgas am Schwarzen Meer. Gigantische Rauchwolken stiegen in den türkisen Himmel empor. Freunde haben mir erzählt, dass die Strände in Burgas zwei Tage lang nach verbranntem Stoff rochen.

Dieser Geruch war viel beängstigender als die Meldungen in den Medien. So wie damals, als die Türme des World Trade Centers einstürzten und alles in riesigen Staubwolken verschwand. Diese Staubwolken bedeckten alles - von der Wall Street bis nach Chelsea. Die Menschen sahen aus wie einbetoniert. Sie ähnelten vor Angst erstarrten Skultpuren. Ich erfuhr vom 11. September 2001 von meiner Mutter. Jemand rief meine Mutter an. Danach sagte sie nur ein Wort - "Krieg!".

World Trade Center mit riesiger Rauchsäule

dpa / Hubert Boesl

Mein Vater wusste nichts von den Terrorattacken, da er weder Zeitung liest, noch fernsieht. Meine Mutter erzählte ihm schnell, was passiert war. "Die Welt geht bald zu Ende!", schrie sie. Mein Vater ging ruhig zur Wand, wo unsere Familienfotos hängen. Auf einem der Fotos steht mein Vater lächelnd auf dem obersten Stock des World Trade Centers und zeigt in Richtung der Freiheitsstatue, die stolz in der Ferne steht. "Schau mal", sagte mein Vater, "Ich bin immer noch auf diesem Foto! Die Welt kann nicht so einfach enden."

Meine Mutter schaute zuerst auf meinen Vater, dann auf das Foto. Dann wieder umgekehrt. Langsam erreichte auch sie der Glaube, dass unsere Welt ewig ist, da mein Vater immer noch auf diesem Foto lächelnd auf dem obersten Stock des World Trade Centers steht.

Meine Mutter lächelte auch. Ich kann mich heute noch an dieses Lächeln errinern. Der Glaube hat über die Verzweiflung gesiegt. Gestern, bevor ich zur Flughafen fuhr, schaute ich mir auch das Foto an. Das Gebäude exisitiert seit elf Jahren nicht mehr, mein Vater aber zeigt immer noch auf die Freiheitsstatue. Ich bestieg lächelnd meinen Flieger. Heute fotografiere ich mich vor dem Stephansdom. Man weiß ja nie.