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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

11. 9. 2012 - 11:00

Don't touch me don't push me ...

... you can't give me no satisfaction. Nach gefühlten 68 Stunden Schlaf bin ich nun in der Lage, meine sortierten Eindrücke des zweiten Tages vom Berlin Festival zu dem digitalen Äquivalent von Papier zu bringen.

Ich scheine unter einem Zustand des Reverse Entertainments zu leiden. Wenn alle wach sind, werde ich müde, wenn die kollektive Aufgeregtheit Spitzen erreicht, steigt proportional mein Desinteresse. Bei Dingen, die andere aufwecken. Es wird also ZeitgenossInnen geben, die behaupten, dass Berlin Festival ist erst am zweiten Tag so richtig in Schuss gekommen, der Tag, an dem man merkte, dass der Laden bzw. Flughafen ausverkauft ist. Ich war top in Form am Freitag, als es Platz und Gelassenheit gab.

nataliebrunner

20 000 Menschen und 30 Stunden Programm, was das bedeutet, bemerkte man am Samstag schon beim Einchecken aufs Festivalgelände, lange Schlangen von BändchenträgerInnen, die jetzt schon ganz nervös deswegen waren, mit welchen musikalischen Abfahrten uns Paul Kalkbrenner in sechs Stunden beglücken wird. Ich hab sein Set nicht gesehen, war aber entzückt am Montag Morgen in der Berliner Zeitung eine Review zu lesen, die all meine Erwartungen oder Moment, wollen wir es doch Vorurteile nennen, bestätigt. Ich erlaube mir zu zitieren:

„Auf der Hauptbühne bot Paul Kalkbrenner seinen ebenso regredierten wie beliebten Billigheimer Bums Techno dar, ein unfassbar ödes Set ohne Übergänge, Dynamik oderDramaturgie. Das wurde auchdurch Kalkbrenners affige Art des Posierens nicht unbedingt besser: wenn er wiedermal auf den Gedanken gekommen war den Bass erst raus und dann rein zudrehen wischte er sich hernach so triumphierend zackig über die Glatze , als habe er die elektronische Musik neu erfunden.“

Ich danke dem Autor für diese Zeilen, ich hätte mich - persönlich anwesend - nicht besser amüsieren können, als beim Lesen dieser Kritik und auch Tobias Jundt von Bonaparte in der Überschrift als „singenden Busch“ neben dem blanken Busen der Tänzerin von Grimes zu erwähnen, zeugt von schelmischen Genius.

berlinfestival/timmyhargesheimer

Aber damit ihr nicht den Verdacht bekommt, ich habe Jabba The Hutt-gleich halb dösend auf irgendeinem Sofa backstage mit Twi'leks an meiner Seite das Berlin Festival verschlafen, ich habe Bonaparte mit eigenen Augen gesehen, und wünschte, die wirkliche Weld wäre ein bisschen mehr so wie die Auftritte dieses anarchischen Kollektivs. Kann man nicht in der vierten Klasse Volksschule einen Sonderkurs einschieben: Realitätsverhöhnung und Autoritätsuntergrabung mit Bonaparte? Ich glaube auch die Zehnjährigen würden die Zirkusgang lieben und würden als moralisch gestärkte, mit eigenem Kopf denkende Menschen durchs Leben gehen.

Das was als singender Busch beschrieben wurde, erinnerte mich mehr an Marjorie, die allwissende Müllhalde. Die Fitzcarraldo unter den Spreepiraten begannen ihr Set mit "Quarantine", und die Menschen um mich herum kennen nicht nur den Text auswendig, sondern scheinen Bonaparte auch sehr für diese Zeilen zu verehren:
„I've made one mistake in my life
I should have burned Berlin down
And now the drugs are slowly wearing off
And your smile looks more like a frown“
Es folgte "Anti Anti", die Nummer deren Text ich in mein Kopfkissen einsticken werde, sollte ich jemals in Pension oder Rehab gehen.

Who made Who, erlauben einen in einen rhythmusgepeitschten Sound-Ozean einzutauchen, aus dem sich dann doch wieder Popstrukturen wie kleine Inselarchipele auftauchen. Ich stehe an der Seitenwand des Hangars und bilde mir ein, richtig zu erkennen, wie das Publikum in die von dem dänischen Trio geschaffene Soundblase eintaucht. Da ich vor Benni Benassi genau soviel Angst habe wie vor Eric Prydz musst ich bei der Zugabe schnell an einem schallsicheren Ort fürchten, weil sonst wäre "Satisfaction" wieder drei Tage der Soundtrack zu meinen Alpträumen und daran ändert es leider gar nichts, dass es die Who made Who Coverversion ist.

Ich verbarrikardiere mich vor "Satisfaction" in einem Akt der umgekehrten Logik, an dem Ort, wo man normalerweise derartige Verbrechen hören würde, dem Autodrom. Heute anders als gestern keine Nummern zum Thema Autounfälle, dafür aber die Jan Delay Coverversion von "Irgendwie Irgendwo Irgendwann". Und siehe da, ich bin wieder 13 und am Dorffest und die Welt ist unglaublich fad, klein und überschaubar. Ein gutes Gefühl für drei Minuten dann geh ich aber doch lieber wieder zurück ins Hier und Jetzt, ins unüberschaubare, doppelbödige amoralische Chaos.

iamamiwhoami

Die schwedische Band Iamamiwhoami wollen uns verstören um jeden Preis. Ich bin mir noch nicht im Klaren darüber, ob hinter dem ganzen Konzept mit den Releasen, die aus Zahlencoden bestehen, die dann ins Alphabet transkribiert Tiernamen ergeben, etwas stecken könnte, das mich interessiert, oder ob die Seltsamkeit, das Mysterium bei der Band Selbstzweck ist und somit relativ platt. Ich huldige Fever Ray zu jedem Electro-Hexensabbath aber bei Iamamiwhoami bin ich mir noch nicht sicher, ob es mehr als Oberfläche und Geste gibt, oder, ob Oberfläche und Geste für eine Popband diese Formats alles ist was man sich wünschen darf. Frauen, die sich als Star Wars-Bantha verkleiden, finde ich im zweifelsfall aber immer gut.