Erstellt am: 10. 9. 2012 - 16:26 Uhr
Du, Entschuldige
Das war jetzt also das am heißesten erwartete Album des Jahres. Der Veröffentlichung der neuen Platten von anderen großen Konsensbands der avancierten Indiesphere, wie beispielsweise dem Animal Collective oder Grizzly Bear, hat doch die breite Öffentlichkeit kaum so angespannt geharrt wie jener von "Coexist" - an diese Bands hat man sich eventuell schon ein bisschen gewöhnt. "Coexist" aber, das zweite Album von The xx, hat lange im Vorfeld schon die Frage aufgeworfen, wie es denn weitergehen kann mit so einer Band, die mit ihrem Debüt soundtechnisch für eine Sekunde lang den Blitz in der Flasche gefangen und damit die halbe Welt umgekrempelt hat. James Blake nennt wahrscheinlich heute noch diese Platte, die da zu Recht einem ewiggültigen Statement gleich schlicht "xx" geheißen hat, als Haupteinfluss auf sein Debütalbum.
Das Londoner Trio The xx hat vor drei Jahren mit seinem ersten Album eine neue Welt errichtet, eine kleine, zerberechliche, gut durchlüftete Puppenstube aus Mikadostäbchen zusammengebaut, in der jedes Knacksen und der kalte Atem einer unglücklichen Liebe hörbar werden konnten. Dabei wirkte "xx" auch zu großen Teilen wie das geglückte Ergebnis eines dilettantischen Ausprobierens, das Erproben der Instrumente und der Soundmöglichkeiten. Bei kaum einer Band ist der Gesamtklang so deutlich auf das Zusammenspiel ihrer Einzelkomponenten, eine junge Frau und zwei junge Männer, zurückzuführen - um dann dennoch freilich weit größer zu tönen als die bloße Summe. Wie Romy Madley Crofts Gesang und Gitarrenspiel, Oliver Sims Stimme und Bass und Jamie Smiths rudimentäre Elektronik zu einer so noch nie gehörten Versuchsanordnung zusammenfallen, war und ist richtungsweisend. Und hat mittlerweile Methode.
"Coexist" geistert natürlich schon seit einiger Zeit durch die Welt, dennoch ist das hier ein Album, dessen man vielleicht doch noch legal und in der real angreifbaren Variante habhaft werden möchte - nicht zuletzt zum Beispiel auch wegen der schönen Aufmachung in der Vinyl-Ausgabe. Hier kann man einer großartigen Band, der im Proberaum vor ein paar Jahren eine großartige Idee zugeflogen ist, beim letztverfeinern und noch weiterherunterdimmen zuhören, fast schon zusehen. The xx arbeiten sich am schönen Satz "Music is the space between notes" von Claude Debussy ab. Wieviel Musik kann man aus der Musik herausnehmen, sodass am Ende aber trotzdem noch ein bisschen Musik übrigbleibt? Kommt da noch was? Die Antwortet lautet: Nein.
The xx
"Neu" ist hier also kaum etwas, außer die Erkenntnis, dass Weiterkommen nicht immer Expansion heißen muss, man nicht zwangsweise einen Kinderchor und zwei Saxophone addieren muss, sondern dass Introspektive und Entschlackung den Kern freilegen. Wie in graue Luft eingebettet schweben hier die Töne einsam in der leeren Kammer. Einzig der Einfluss von Clubmusik und Dancefloor hat sich dezent erhöht: Jamie xx lässt keck die Steel Drums singen, so wie er das schon in seinem Solo-Stück "Far Nearer" getan hat, da und dort kann schon so etwas wie ein House-Beat ausgemacht werden. Dennoch bleibt hier alles Aura und Ahnung. Große Hits wie auf "xx", wie "Islands", "Crystalized", "Shelter" oder "VCR", wird man hier vielleicht nur wenige aufspüren können, die Songs "Chained", "Reunion" oder "Tides" möglicherweise, vielmehr ist "Coexist" ein auf konstantem Ruhepegel vor sich hin dampfender Nebel. Das seltene Kunststück, in dem ein rigoroses Auf-Den-Punkt-Bringen und das Aufschäumen von "Atmosphäre" dasselbe sind. Das ist nicht langweilig.
Auch textlich dringen The xx ins Allerinnerste vor: Zeilen von der Liebe, kleine Gedichte, die in ihrer Schlichheit aus dem jugendlichen Poesiealbum ins Fast-Schon-Erwachsenenleben herübergerettet scheinen. Hier wird erinnert und vergessen, es werden Blicke getauscht, denen der Glanz abhanden gekommen ist, man verliert sich und trifft sich wieder, driftet in- und auseinander - was bleibt, sind blasse Gefühle. Es ist ein scheinbar emotionslos gewordenes Nebeneinanderher-Durch-Die-Welt-Schlurfen. Bitte, mach den Vorhang wieder zu.
"Coexist" handelt von der Essenz, von den simplen, wie aus hundert Lovesongs herausgezogenen Abzählreimtexten, die sagen: Ich will doch nur fühlen. Das letzte Stück ist "Our Song", der bislang einzige Song von The xx, in dem Romy Madley Croft und Oliver Sim tatsächlich den jeweils anderen Bandkollegen - und nicht wie sonst in den anderen Stücken fiktive oder reale Personen aus dem jeweils privaten Liebesleben - ansingen: "There is no one who knows me like you do/ What I've done, you've done too." Hier ist eine Band, die weiß, wer sie ist. Dies ist unser Lied, dies ist unsere Platte, dies ist unsere Musik. Wir haben sie gemacht.