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9. 9. 2012 - 16:09

"Wie Berlin in den Neunzigern"

Das Kollektiv A MAZE ist nach Südafrika gereist. Mitten in Johannesburg konnte man Videospiele und Medienkunst entdecken.

von Tim Rittmann

Tim Rittmann ist freier Journalist und Texter in Berlin. Er war für FM4 beim Südafrika-Auswärtsspiel der Berliner Games-und-Kunst-Initiative A MAZE. FM4 hat über frühere Veranstaltungen bereits mehrfach berichtet: [1] [2]

Johannesburg ist eine Stadt, die sicherlich schon viel hat mitansehen müssen. Doch selbst für die südafrikanische Metropole war es ein ungewöhnliches Bild, das sich Ende August im Studentenviertel Bramfontein bot. Auf einer 25 Quadratmeter großen LED-Wand, die extra für die Weltmeisterschaft 2010 errichtet wurde und auf der ansonsten tagein, tagaus Rugby-Matches gezeigt werden, liefen Animationsfilme, die mit Computerspielen gemacht worden waren - sogenannte Machinimas.

Auf dem warmen Steinboden von The Grove, einem Platz, der nicht durch hohe Mauern und Stacheldraht abgeschirmt ist, hatten es sich etwa 150 geladene und ungeladene Gäste bequem gemacht. Sie nuckelten an Bier- und Ciderflaschen, die kostenlos an der Bar ausgegeben wurden. Sichtlich gerührt waren die meisten von Machinimas wie etwa "Kara", einem Film über einen weiblichen Sex-Androiden, der versehentlich eine Seele bekommt und von seinem Schöpfer gleich wieder deaktiviert werden soll.

Eine Frau sitzt im Schneidersitz am Boden, dahinter wird ein roter Bogen projiziert, davor in blauer Schrift das Wort A MAZE.

Tim Rittmann

Der insgesamt knapp halbstündige Showcase war der Auftakt des Festivals A MAZE Interact 2012, einer deutsch-südafrikanischen Koproduktion. In regelmäßigen Abständen zeigt A MAZE die Schnittstellen von Games und Kunst auf. Auf Drängen von Pippa Tshabalalla, einer der wenigen bekannten Personen der recht übersichtlichen Videospiel-Community, findet das nun erstmals an der Südspitze von Afrika statt.

"Johannesburg hat ein sehr großes Herz", sagt Festivalleiter und A MAZE-Chef Thorsten Wiedemann. "Es ist ein Mash der Kulturen, dadurch entsteht viel Reibung - perfekte Voraussetzungen, um Medienkunst zu machen." Wiedemann hat für die A MAZE Interact 2012 lokale Partner mit ins Boot geholt, etwa das Goethe-Institut, die Witwatersrand Universität und deren angegliedertes Museum.

Blick von oben: Vier Menschen sitzen an einem lachsfarbenen Tisch und spielen ein Brettspiel.

Tim Rittmann

Man könnte nun denken, Südafrika habe als Land krasser Gegensätze - Arm und Reich, und auch immer noch: Schwarz und Weiß - andere Probleme, als sich um ein Thema zu kümmern, das selbst in Europa ein Nischendasein fristet. Aber die zeitgenössische Kunst Afrikas verarbeitet, ebenso wie die unsrige, das Leben im Informationszeitalter eben auch mit dessen Mitteln.

Internet und Mobiltelefone sind hier allgegenwärtig nur die Netzqualität lässt teils zu wünschen übrig. In den Vororten von Johannesburg führen die Friseurgeschäfte auch Elektrogeräte und USB-Tastaturen. Die Kids aus dem Township Soweto spielen Fußball nicht nur auf der Straße, sondern auch auf der Konsole. Und in Vierteln wie dem zentralen Maboneng schaffen sich Künstler und junge Medienschaffende günstige Ateliers. Cafés und kleine Geschäfte folgen, es ist die Gentrifizierung, wie wir sie aus allen großen Städten in Europa kennen, nur dass sie hier noch in einer Blase stattfinden, bewacht von den omnipräsenten Sicherheitsleuten. Aber man merkt: Langsam passiert etwas.

Ein Bub hält einen leuchtenden PlayStation-Move-Controller in der rechten Hand.

Tim Rittmann

"Es ist vielleicht wie in Berlin in den Neunzigern, als Künstler das Gefühl hatten, sich austoben zu können, weil ihnen die Stadt unendlich viele Möglichkeiten bot," so Wiedemann. "Die Leute, die kreativ sind, wünschen sich eine Plattform, weil sie sichtbar sein wollen."

Die Zuschauer, die im Wits Museum of Modern Art und im nahen Alexander Theater, das zum Festivalzentrum umfunktioniert worden ist, die dortigen Ausstellungen besuchen, gehören allen Volksgruppen an. Der allererste Jahrgang von Game-Design-Studenten der Wits University stellt selbstgemachte Boardgames aus. Der nigerianische Audiokünstler Emeka Ogboh zeigt eine Soundinstallation, die auf Bewegungen reagiert. Im Keller des Alexander Theaters lassen sich allerlei Indie-Games anspielen, darunter auch das sehr witzige "Desktop Dungeons" des südafrikanischen Gamedesigners Danny Day. Auf dem mit grünem Kunstrasen ausgelegten Dach des alten Theaters ist eine Light Painting Perfomance des Tschechen Andrej Boleslawsky zu sehen.

Zwei Frauen sehen lachend an der Kamera vorbei an die Projektion auf der gegenüberliegenden Wand.

Tim Rittmann

Neben den Installationen der insgesamt 38 Künstler und Game Designer aus Europa und Afrika gibt es Workshops und Vorträge, unter anderem vom Medienwissenschafter und Coded-Cultures-Mitveranstalter Georg Russegger zum Thema "City as Interface" und dem Programmdirektor der Transmediale, Markus Huber. Natürlich repräsentieren weder die Künstler noch die Kunstinteressierten in vollem Maße die südafrikanische Bevölkerung. Medienkunst und Indie-Games sind nun einmal nicht Mainstream, besonders in einem Land, dessen Mittelschicht sich erst nach und nach herausbildet. Aber wer schon einmal ein Spiel wie "Johann Sebastian Joust" gespielt hat, weiß, wie unmittelbar das Verständnis und groß die Begeisterung auch bei denen ist, die vorher keinerlei Berührungspunkte damit hatten. Egal, welcher Bevölkerungsgruppe sie angehören - den Zulu, Xhosa, Österreichern oder Deutschen.

Eine rote Projektion mit dem Schriftzug A MAZE INTERACT, davor Schatten von drei Menschen.

Tim Rittmann